Sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union haben ein klares Ziel: Die Luftfahrt in Deutschland und Europa soll bis spätestens 2045 klimaneutral werden. Das europäische Gesetzgebungspaket mit dem Titel "Fit for 55" beschreibt, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Nachhaltige Treibstoffe oder Sustainable Aviation Fuels (SAF) spielen dabei eine wichtige Rolle. Von 2025 an ist für Flüge, die von europäischen Flughäfen aus starten, eine Beimischquote von zwei Prozent SAF vorgeschrieben. Im Jahr 2030 beträgt die Beimischquote bereits fünf Prozent. Der Anteil synthetischer Energieträger wird ebenfalls festgelegt - er liegt zu Beginn bei 1,2 Prozent. Aber die Vielfalt dieser Nachfolger des klassischen Kerosins ist verwirrend. Wir erklären den Stand der Forschung – und welche Veränderungen diese neuen Treibstoffe mit sich bringen.
Was sind Sustainable Aviation Fuels?
Sustainable Aviation Fuels (SAF) - dieser Begriff steht für eine Vielzahl an nachhaltigen Flugzeugkraftstoffen aus höchst unterschiedlichen Ausgangsstoffen. Alle haben zwei Dinge gemeinsam: Sie sind chemisch nahezu identisch mit Kerosin, basieren aber nicht auf fossilen Rohstoffen, und sie haben über ihren gesamten Lebenszyklus (von der Quelle bis zur Verbrennung) einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck als Kerosin. Deshalb sollen nachhaltige Kraftstoffe fossile in all jenen Bereichen des Verkehrs ersetzen, die schwer zu elektrifizieren sind –beispielsweise in der Luftfahrt auf Mittel- und Langstrecken, im Schwerlastverkehr und in der Schifffahrt. Der erste halb-synthetische SAF der südafrikanischen Firma Sasol wurde im Jahr 1998 zertifiziert. Inzwischen sind neun Herstellungswege zugelassen. Am weitesten entwickelt und am meisten verfügbar sind HEFA-Kraftstoffe.
Zum Vergleich - woraus besteht ein klassischer Jet Fuel?
Herkömmlicher Treibstoff für Flugzeuge ist ein Gemisch, das durch Destillation und Raffination aus Rohöl gewonnen wird, dem sogenannten Crude. Bei der Raffination werden im gleichen Durchlauf neben Kerosin auch noch Diesel, Benzin und weitere Produkte wie Naphta gewonnen, ein Grundstoff für die Petrochemie. Kerosin enthält verschiedene Kohlenwasserstoffe wie Paraffine, Cycloparaffine und Aromaten. Die Gruppe der Aromaten ist beispielsweise wichtig, um Dichtungen elastisch zu halten. Allerdings entstehen aus ihnen im Verbrennungsprozess auch Rußpartikel, die später zur Bildung der unerwünschten Kondensstreifen führen. Kerosin werden oft noch weitere Verbindungen zugesetzt, die für den sicheren Betrieb eines Flugzeugs wichtig sind - dazu gehören Stoffe wie Antistatikmittel, Vereisungshemmer, Korrosionshemmer und Stoffe, welche die thermische Stabilität verbessern. Die Spezifikationen für Treibstoff schreiben nicht vor, wie der Treibstoff zusammengesetzt sein muss. Sie definieren vielmehr die physikalischen Eigenschaften, die der Treibstoff aufweisen muss.
Wie werden die nachhaltigen Flugkraftstoffe produziert?
Aktuell gibt es neun zugelassene Herstellungsverfahren - darunter sind Alcohol-to-Jet, Catalytic Hydrothermolysis Jet (CHJ), Fischer-Tropsch (F-T), Fischer-Tropsch Synthetic Kerosene with Aromatics (F-T SKA), Hydroprocessed Esters and Fatty Acids (HEFA) und Hydrocarbon HEFA (HC-HEFA). Den größten Marktanteil haben zurzeit die Treibstoffe, die auf dem HEFA-Verfahren basieren. Als Ausgangsstoff werden hier pflanzliche und tierische (Alt-)Öle und Fette verwendet, zum Beispiel gebrauchtes Fett aus Fritteusen. Die Fette und Öle werden zunächst hydriert. Das so entstandene Öl wird ähnlich wie Rohöl zu Kerosin raffiniert. Allerdings wird sich diese Herstellung nicht unbegrenzt nachhaltig skalieren lassen.
Wie werden sich diese chemischen Energieträger weiter entwickeln?
HEFA-Treibstoffe wird es auch in Zukunft geben, aber den größten Teil des Bedarfs werden voraussichtlich synthetische Treibstoffe decken, die in sehr großen Mengen nachhaltig hergestellt werden können - was bei den biobasierten Treibstoffen nicht möglich ist. Hier wird zunächst mit Hilfe von elektrischer Energie Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff getrennt und dann mit CO2 in einem zweiten Schritt der Synthese zu Rohöl verarbeitet. Für diesen zweiten Schritt kommen entweder die Fischer-Tropsch-Synthese oder Methanol-Synthese in Frage. Moderne Verfahren könnten es ermöglichen, Methanol in einem weitgehend geschlossenen Kohlenstoff-Kreislauf zu nutzen. Wir arbeiten in mehreren Projekten an der Entwicklung einer modernen Methanol-to-Jet-Route mit.
Was ist der ungewöhnlichste Ausgangsstoff für einen nachhaltigen Kraftstoff?
Den ungewöhnlichsten Ausgangsstoff bearbeitet wohl das britische Startup Firefly: Es will menschliche Fäkalien nutzen. Den Berechnungen von Firefly-Gründer James Hygate zufolge produziert jeder Mensch pro Jahr genug, um vier bis fünf Liter SAF produzieren zu können. Würde Großbritannien diese Mengen komplett nutzen, könnte das den Berechnungen von Hygate zufolge immerhin fünf Prozent des Treibstoffbedarfs in Großbritannien decken.
Die Vielzahl der Namen ist verwirrend – welche sollte man sich für die Zukunft merken?
Der Begriff Sustainable Aviation Fuels oder nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF) wurde geprägt, als man nach Alternativen zu Kerosin zu suchen begann. Heute ist die Forschung weiter gediehen und orientiert sich eher an den Anforderungen der Zukunft. Die SAF werden aktuell hauptsächlich in zwei Gruppen eingeteilt – in Treibstoffe biologischen oder nicht-biologischen Ursprungs. Zu den Treibstoffen nichtbiologischen Ursprungs gehören die synthetischen Treibstoffe. Das DLR konzentriert sich auf die Erforschung, Erprobung und Optimierung dieser SAFs: In Jülich wird an Sun-to-Liquid-Verfahren im solarthermischen Versuchskraftwerk geforscht. Außerdem soll im Chemiepark Leuna eine semi-industrielle Anlage für PtL-Produktion (PtL: Power to Liquid) entstehen, die Technologieplattform TPP in Leuna. Diese Anlage soll den Markthochlauf von Power-to-Liquid-Treibstoffen in Deutschland und Europa beschleunigen.
Kann ein SAF mit normalem Kerosin gemischt werden?
Im Augenblick dürfen SAF in der kommerziellen Luftfahrt ausschließlich gemischt mit Kerosin eingesetzt werden. Erlaubt ist zurzeit eine Beimischung von maximal 50 Prozent. Weil bisher nur geringe Mengen am Markt erhältlich sind, liegt der Anteil der tatsächlichen Beimischung im Bereich von weniger als einem Prozent - über alle Flüge hinweg betrachtet. Ab 2025 ist eine Beimischung von zunächst zwei Prozent SAF für alle Flüge, die innerhalb Europas starten, gesetzlich vorgeschrieben. Dieser Anteil steigt dann auf fünf Prozent im Jahr 2030. Um wie beabsichtigt im Jahr 2050 weitgehend klimaneutral fliegen zu können, müsste der Anteil bis dahin auf 63 Prozent steigen.
Was ist mit den Bezeichnungen drop-in/non drop-in gemeint?
Drop-in-fähige Kraftstoffe sind Kraftstoffe, die sofort in der kompletten Flotte eingesetzt werden können, ohne dass Anpassungen an den Flugzeugen notwendig sind. Diese Kraftstoffe sind also mit allen heute üblichen Triebwerken kompatibel, auch mit den Triebwerken älterer Flugzeuge. Bei Non-drop-in-Kraftstoffen handelt es sich um Kraftstoffe, die gewisse Anpassungen erfordern, zum Beispiel bei Dichtungen. Sie sind bisher noch nicht zugelassen.
Warum gelten SAF und vor allem synthetische Treibstoffe als klimaverträglichere Alternativen zu Kerosin?
Fossile Brennstoffe setzen während des Verbrennungsprozesses den Kohlenstoff frei, den sie bei ihrer Entstehung über einen langen Zeitraum gebunden haben. Auf diese Weise reichern sie CO2 in der Atmosphäre weiter an, und tragen so zur globalen Erwärmung bei. Sustainable Aviation Fuels lassen sich deutlich klimaverträglicher produzieren. Das CO2, das bei der Verbrennung von SAF freigesetzt wird, ist zuvor aus nachhaltigen Quellen dem Kreislauf entzogen worden. Auf diese Weise werden die Netto-CO2-Emissionen deutlich reduziert. Das zeigt die Analyse ihres Lebenszyklus. Außerdem können viele dieser neuartigen Treibstoffe so designt werden, dass sie auch praktisch keinen Ruß produzieren und deshalb weniger Kondensstreifen verursachen. Bei der Herstellung synthetischer Kraftstoffe wird weniger Wasser und Land verbraucht als bei der Produktion biogener Kraftstoffe. Wenn sie mit erneuerbarer Energie und CO2 aus der Atmosphäre produziert werden, können sie fast vollständig kohlenstoffneutral sein. Allerdings ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Die große Hürde ist, dass der Verbrauch an Energie in der Produktion sehr groß ist. Die notwendigen Kapazitäten müssen erst noch geschaffen werden.
Was ist der größte Vorteil von SAF?
Sie können im Labor gezielt für eine emissionsarme Verbrennung designt werden, sodass bei der Verbrennung in den Flugzeugturbinen wenig bis keine Rußpartikel entstehen. DLR-Studien zeigen, dass bei Verwendung von SAF im Vergleich zu Kerosin bis zu 80 Prozent weniger Ruß in die Atmosphäre gelangt. Es entstehen dementsprechend weniger Kondensstreifen, deren Bildung die Erwärmung der Atmosphäre verstärken. Damit lässt sich durch diese Treibstoffe die Klimawirkung weit über die CO2-Emissionen hinaus reduzieren – das gilt auch für die sogenannten Nicht-CO2-Effekte der Luftfahrt.
Gibt es im Augenblick überhaupt genug SAF?
Tatsächlich müsste man nicht auf eine flächendeckende Verfügbarkeit warten, um schon jetzt von diesem Effekt zu profitieren. Forschende des DLR haben gezeigt, dass ein gezielter Einsatz von SAF in Regionen mit viel Kondensstreifenbildung eine deutlich größere Wirkung hat als eine Beimischung über alle Flüge hinweg. Der Grund ist: Kondensstreifen entstehen nicht überall in gleichem Maß, es gibt vielmehr gewisse Hot Spots. Dazu zählen auch einige vielbeflogene Regionen über Europa. Deshalb tüfteln DLR-Forschende an Konzepten für einen „smarten Einsatz“ von SAF. Das setzt allerdings eine andere Infrastruktur am Boden voraus.
Verursachen SAF nur während des Flugs weniger Ruß, oder auch an den Flughäfen?
Auch an Flughäfen würde sich die lokale Luftqualität verbessern, wenn Kerosin nach und nach durch SAF ersetzt wird. Darauf deuten erste Messergebnisse im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts am Flughafen Kopenhagen hin. Dort wurden über mehrere Wochen die Emissionen einer Maschine gemessen, die eine Mischung mit 35 Prozent SAF getankt hatte. Die Daten zeigen eine Reduktion der Partikel in der Größenordnung von 30 Prozent.
Der Marktanteil von SAF beträgt heute weniger als ein Prozent. Wie gelingt der Markthochlauf?
Dieser hat der Einschätzung der Forschenden am Institut zufolge bereits begonnen, ausgelöst durch zwei wichtige politische Entscheidungen: Die USA haben im Jahr 2021 mit der „Grand SAF Challenge“ ein Förderprogramm für die heimische Produktion von biogenem SAF aufgelegt. Bis zum Jahr 2030 sollen pro Jahr mehrere Milliarden Liter produziert werden. Die EU hat einen anderen Weg gewählt und im Frühjahr 2023 Beimisch-Quoten festgelegt. Beide Maßnahmen haben Planungssicherheit für Produzenten geschaffen – es zeigt sich, dass jetzt sowohl Startups als auch große Konzerne in die Entstehung einer neuen Branche zu investieren beginnen.
Wenn die Energiewende in diesem Bereich gelingt, wer wird davon profitieren?
Eine Welt, in der klimaverträgliches Fliegen Realität ist, geht auch mit einer anderen Struktur am Boden einher. Das hat mehrere Gründe: Da es so viele verschiedene Möglichkeiten gibt, nicht-fossile Kraftstoffe zu produzieren, wird es regional unterschiedliche Lösungen geben. Heute konzentriert sich die Öl- und Gasindustrie auf 22 Länder, die 90 Prozent aller fossilen Ausgangsstoffe liefern. Die Hälfte der geförderten Menge kommt sogar aus nur fünf Ländern. Um die notwendigen Mengen an SAF zu produzieren, werden Schätzungen aus der DEPA2050-Studie zufolge 5000 bis 7000 Raffinerien weltweit notwendig sein. Wir werden künftig aller Wahrscheinlichkeit nach also keine Monopole mehr sehen, sondern eine regional diverse Produktion. Dabei könnten rund um die Produktion 14 Millionen Jobs entstehen – nicht nur in Europa.
Dekarbonisierung oder Defossilisierung?
Wenn es darum geht, den Verkehr unabhängig von fossilen Kraftstoffen zu machen, wird oft von der Dekarbonisierung gesprochen. Dieser Begriff ist jedoch nicht ganz richtig - er wäre nur dann zutreffend, wenn der komplette Verkehrssektor auf Wasserstoff umgestellt werden würde. Nur dann wäre der Verkehr tatsächlich kohlenstoff-frei. Werden hingegen erneuerbare strombasierte oder biogene synthetische Kraftstoffe verwendet, so bleibt weiterhin Kohlenstoff im System. Aus wissenschaftlicher Sicht ist also der Begriff Defossilisierung zutreffend - so sperrig er auch ist. Da in diesen Fällen fossiler Kohlenstoff durch nachhaltig gewonnenen Kohlenstoff ersetzt wird, der im besten Fall noch in geschlossenen Kreisläufen bleibt, wird trotzdem ein Klimaschutzeffekt erzielt.