Am 20. Januar 2014 um 11 Uhr Mitteleuropäischer Zeit klingelte weit draußen im Weltraum ein Wecker, Hunderte von Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Natürlich war es kein echter Wecker. Es handelte sich vielmehr um ein vorprogrammiertes Computersignal. Es weckte die Sonde Rosetta auf, die sich mehr als 30 Monate in einem „kosmischen Dornröschenschlaf“ befunden hatte. Nach dieser energiesparenden Schlummerphase fuhr Rosetta automatisch die Bordsysteme wieder hoch – und einige Wochen später wurde auch das kleine Landegerät namens Philae aus dem Schlaf geholt, das „huckepack“ auf der Rosetta-Sonde mitflog. Damit begann die „heiße Phase“ einer faszinierenden Reise durchs All!
Im März 2004 war die Rosetta-Sonde gestartet. Ihr Ziel: ein Komet namens 67P/Tschurjumow-Gerasimenko. Der Weg war kompliziert. Auch wenn es seltsam klingt: Man kann nicht einfach geradeaus dorthin fliegen. Stattdessen musste Rosetta mehrfach knapp an der Erde und anderen Himmelskörpern vorbeifliegen und bei diesen sogenannten Swing-by-Manövern Schwung holen. Das alles wurde lange im Voraus geplant. Und während Rosetta immer schneller durchs Sonnensystem sauste, näherte sich der Komet aus der Ferne.
Das Rendezvous im All
Im November 2014 kam es schließlich zum Rendezvous – und das verlief dramatischer als geplant! Rosetta umkreiste zunächst den Kometen, beobachtete und fotografierte ihn. So wurde die beste Landestelle ermittelt. Und dann, am 12. November, kam der große Augenblick: Rosetta klinkte die kleine Landesonde Philae aus und schickte sie aus 22 Kilometern Distanz in Richtung des Kometen. Ein heikles Manöver, denn Philae konnte unterwegs nicht gesteuert werden. Alles hing davon ab, dass der Lander präzise in die richtige Richtung geschickt wurde. Sieben Stunden benötigte Philae für den Abstieg – dann müsste das Signal kommen. Langes Warten! Nichts für schwache Nerven! Und dann überschlugen sich die Ereignisse: Das erste Signal, das auf der Erde eintraf, schien tatsächlich zu bestätigen: Philae hatte auf dem Kometen aufgesetzt. Jubel! Aber dann kamen Zweifel auf: Die Harpunen, mit denen sich der Lander auf der Oberfläche festkrallen sollte, hatten offenbar nicht funktioniert. Was war passiert? Wenig später wurde klar: Philae war nach dem ersten Bodenkontakt direkt wieder ins All gehüpft – einfach weil der 4 Kilometer kleine Komet nur eine sehr geringe Anziehungskraft ausübt. Rund 1 Kilometer „hüpfte“ Philae wieder vom Kometen weg, bevor der Lander knapp zwei Stunden später erneut aufsetzte.
Aber auch das war noch nicht das Ende: Danach machte Philae einen weiteren Hüpfer, bevor er endlich auf der Oberfläche zum Stehen kam. Erleichterung! Zumindest vorerst. Denn es stellte sich heraus, dass der Lander einen ziemlich schattigen Ort gewählt hatte: umgeben von Felsen, sodass er nur wenig Sonnenlicht erhielt. Nicht gut! So konnten die Solarzellen nicht dafür sorgen, dass die Batterien neu aufgeladen wurden. Doch bevor Philae der Strom ausging und der Lander sich in eine Art „Winterschlaf“ verabschiedete, spulte er über 50 Stunden lang ein Experiment-Programm ab. So wurden zahlreiche wichtige Versuche durchgeführt und die Daten zur Erde gefunkt. Trotz der dramatischen Ereignisse: Die Expertinnen und Experten waren damit sehr happy!
Erste Auswertungen zeigten: Die Oberfläche des Kometen ist ganz anders beschaffen als gedacht. Unter einer dünnen Schicht aus Staub ist sie extrem hart. Woraus sie besteht und auch viele andere Fragen – das alles wird die Forschung noch lange Zeit beschäftigen. Inzwischen wurde auch eine spannende Erkenntnis bekanntgegeben, die mit der Frage zu tun hat, woher überhaupt das Wasser auf der Erde kommt. Denn da sich unser Planet in einer recht geringen Entfernung von „nur“ 150 Millionen Kilometern von der Sonne gebildet hat und die Erde anfangs eine glühend heiße Kugel war, meinen einige Expertinnen und Experten: In dieser „Nähe“ zur Sonne musste Wasser gleich verdampfen. Nur weiter außerhalb, jenseits der Mars-Bahn hätte es „überleben“ können. Stammen also die gewaltigen Wassermassen unserer Ozeane von Kometen, die sich ja dort draußen weit von der Sonne befinden? Lange dachte man das. Doch die Daten der Rosetta-Mission haben ergeben, dass das wohl nicht der Fall ist: Denn das Wasser-Eis des Kometen hat eine etwas andere Zusammensetzung als das Wasser auf der Erde. Nun bleiben Asteroiden als „Wasser-Lieferanten“ übrig, wobei man aber hinzufügen muss: Es gibt auch die These, dass die Erde sehr wohl einen Großteil des Wassers von Anfang an in sich trug – tief im Innern unseres jungen Planeten chemisch in Mineralien gebunden. Ganz allmählich kam es dann an die Oberfläche, verdampfte zuerst, und füllte schließlich – als sich unser Planet abkühlte – in Form von endlosem Dauerregen über Jahrmillionen die Meere.
Eine andere spannende Entdeckung: Die Gashülle um den Kometen enthält relativ viel Sauerstoff (natürlich nicht mit der Luft auf der Erde zu vergleichen, aber für einen Kometen überraschend viel). Der Sauerstoff muss aus der Entstehungszeit des Kometen und damit aus der Frühzeit des Sonnensystems stammen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rätseln noch, was das bedeutet. Eventuell müssen einige Vorstellungen etwa von der Temperatur der Gas- und Staubwolke, aus der das Sonnensystem vor 4,6 Milliarden Jahren entstanden ist, korrigiert werden.
Aber zurück zu Philae: Dem kleinen Lander war am 15. November 2014 – nach über 50 Stunden auf der Kometenoberfläche – die Energie ausgegangen. Zwischendurch meldete er sich zwar plötzlich wieder – aber dann verstummte Philae endgültig. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickelten daraufhin einen ganz „verrückten“ Plan: Sie beschlossen am Ende der Mission die Rosetta-Sonde selbst auf dem Kometen landen zu lassen! Die Überlegung war dabei folgende: Da sich der Komet immer weiter von der Sonne entfernt, würde der Rosetta-Muttersonde so oder so Ende 2016 der Strom ausgehen. Warum also nicht kurz vorher einen "Landeanflug" wagen? So setzte Rosetta am 30. September auf dem Kometen auf und funkte bis zum "Touchdown" noch Daten und Fotos zur Erde – ein spektakuläres Ende einer phantastischen Mission.
Eine Reise in die Vergangenheit
Warum sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Kometen interessieren? Weil viele Kometen so etwas wie kosmische Tiefkühltruhen sind: Sie haben die Materie, aus der das Sonnensystem entstanden ist, im Ur-Zustand konserviert. Auf der Erde ist das anders: Hier haben Wind und Wetter und geologische Prozesse wie Vulkanismus alles Gestein immer wieder verändert. Wenn wir einen Kometen untersuchen, blicken wir praktisch in die Entstehungszeit unseres eigenen Planeten, der sich wie die übrigen Himmelskörper des Sonnensystems vor 4,6 Milliarden Jahren aus einer Wolke von kosmischen Gas- und Staubteilchen geformt hat. Rosetta ist also so etwas wie eine Reise in die Vergangenheit.
Aber es gibt noch viele andere Fragen: In ihrer Frühzeit wurde die Erde von Kometen regelrecht bombardiert. Ist so das Wasser auf unsere Welt gekommen? Offenbar ja. Wurden so vielleicht sogar auch die „Bausteine“ des Lebens auf unseren Planeten „importiert“? Man weiß es nicht, noch nicht. Rosetta und Philae könnten Aufschlüsse liefern. Ein anderer Grund, weshalb uns Kometen nicht egal sein sollten: Sie sind zwar schön anzusehen, wenn sie in der Nähe der Sonne ihren leuchtenden Schweif ausbilden. Aber sie könnten uns auch irgendwann einmal gefährlich werden. Was, wenn ein Komet auf Kollisionskurs zur Erde gerät? Man müsste ihn von seiner Bahn abbringen oder vielleicht im Weltraum zerstören – solche Szenarien mit unbemannten Sonden werden zurzeit diskutiert, auch wenn wir bisher keinen Himmelskörper kennen, der auf Crash-Kurs mit der Erde ist. Aber das könnte sich eines Tages ändern. Und dann wäre es gut, wenn man weiß, woraus Kometen bestehen. Das gilt natürlich auch für Asteroiden, die anders als Kometen aus Gestein bestehen und die ebenfalls untersucht werden.
Rosetta ist eine Mission der Europäischen Weltraum-Organisation ESA. Der Philae-Lander wurde unter maßgeblicher Beteiligung des DLR entwickelt.