Ein Balanceakt
Die Anforderungen an den Luftverkehr der Zukunft sind hoch, die Herausforderungen für die Forschung groß: Laut Europäischer Union soll der Lärm von Flugzeugen bis 2050 um 65 Prozent sinken. Gleichzeitig soll die Luftfahrt klimafreundlicher werden. Kann das funktionieren? Dr. Michael Mößner ist Lärmforscher im Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Braunschweig. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen stellt er sich diesen Herausforderungen.
Wie viele Menschen sind eigentlich von Fluglärm betroffen?
In Deutschland wohnt rund ein Prozent der Bevölkerung in direkter Nähe eines Flughafens. Wir sprechen hier also von circa 820.000 Menschen, die täglich einem Lärmpegel von mehr als 55 Dezibel ausgesetzt sind. Hier müssen wir schnell für Entlastung sorgen. Wollen wir in den von der WHO empfohlenen Bereich kommen, müssen wir den Lärm um mindestens 15 Dezibel senken. Bei unserer Forschung beziehen wir uns vor allem auf Lärm an Flugzeugen und rund um Flughäfen.
Welche Maßnahmen können ein Flugzeug denn leiser machen?
In unserem Projekt SIAM (Schall-Immissions-Armes Mittelstreckenflugzeug) haben wir verschiedene Möglichkeiten auf die Probe gestellt: andere Flugrouten, höheres Anfliegen oder bauliche Änderungen am Flugzeug, um nur einige zu nennen. Beim Flugzeug gehören beispielsweise die Triebwerke in vielen Flugphasen zu den lautesten Elementen. Hier geht der Trend hin zu größeren Triebwerken.
Größere Triebwerke klingen erstmal nach mehr Lärm ...
Aber das Gegenteil ist der Fall. Bei gleichbleibendem Schub strömt die Luft langsamer durch das Triebwerk und macht es dadurch leiser. Mit sogenannten Linern, einer Art Dämpfungsmatte mit kleinen Löchern, können wir zusätzlich Schall direkt im Triebwerk absorbieren. Am effektivsten für Anwohnende ist es aber, den Triebwerkslärm nach unten hin abzuschatten, indem man die Triebwerke auf die Tragflächen setzt. So kann der Schall nicht ungehindert nach unten abstrahlen. Die Anwohnenden sind dann quasi im Schallschatten des Triebwerks.
So ein Flugzeug stelle ich mir optisch ziemlich exotisch vor.
Das ist es auch. In SIAM haben wir genau so ein revolutionär leises Flugzeug virtuell entworfen, das die eben genannten und noch weitere Lärmminderungsaspekte erfüllt. Das Ergebnis ist ein Kompromiss zwischen der Machbarkeit und dem Maximum an Lärmminderung. Auch aerodynamisch und strukturell haben wir aufwändige Detailuntersuchungen vorgenommen, um in möglichst vielen Bereichen belastbare Aussagen treffen zu können. Aber: Neue Lösungsansätze gehen oft auf Kosten der Effizienz und damit der Klimaverträglichkeit.
Lärmarm und klimaverträglich gleichzeitig ist also gar nicht so einfach. Woran liegt das?
Zum Beispiel ist das aus Sicherheitsgründen notwendige T-Leitwerk schwer: Es vergrößert die Oberfläche, erhöht den Flugwiderstand und kostet am Ende Treibstoff. Das ist eine große Herausforderung für unsere Forschung – die optimale Kombination von Technologien, Flugzeugkonfigurationen und Flugverfahren zu identifizieren und dabei den Anforderungen der Politik gerecht zu werden.
Lärm und Lärmbelästigung
Ab wann ein Geräusch als Lärm gilt, hängt von vielen Faktoren ab. Vor allem sind Dauer und Lautstärke entscheidend. Fluglärm ist kein konstantes Geräusch und wird deshalb im Vergleich zu gleichbleibenden Geräuschen in der Regel als belastender empfunden. Um die Lärmbelastung insgesamt realistisch einschätzen und vergleichen zu können, wird ein spezieller Wert errechnet, der auf einen bestimmten Zeitraum bezogen ist. Er nennt sich äquivalenter Dauerschallpegel (LAeq) und wird in dB(A) angegeben. Die WHO empfiehlt in ihren „Night Noise Guidelines“ (NNGL) für Nachtlärm einen Richtwert für Außenlärm von 40 dB(A). Ab einem Wert von über 33 dB steigt die Wahrscheinlichkeit, aufzuwachen. Eine Studie des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin zeigte, dass Schlafstörungen bereits ab einem Wert von 35 dB im Innenraum auftreten.
Das klingt nach einem Dilemma. Was macht ihr jetzt mit dieser Erkenntnis?
Klimaverträglichkeit steht zu Recht im Fokus und erlaubt keine kompromisslosen leisen Flugzeuge wie unseres. Die Neuentwicklung und die Marktdurchdringung benötigen oft Jahrzehnte. Für eine schnelle und kostengünstige Lösung setzen wir auf Umbauten wie die Abdeckung verschiedener Fahrwerksteile an bereits bestehenden Flugzeugen. Deswegen haben wir neben dem futuristischen Flugzeugentwurf in SIAM auch Windkanalversuche mit einem Airbus-A320-Halbmodell durchgeführt, an das wir Lärmminderungsmaßnahmen aus dem Vorgängerprojekt Low Noise ATRA (LNATRA) angebaut haben. Bereits vor einigen Jahren haben wir Flugversuche mit solchen Umbauten an einem A320 durchgeführt, mit sehr guten und brauchbaren Ergebnissen. Das alles fließt jetzt in unser Folgeprojekt LU(FT)² 2030 mit ein. Da Versuche mit Anbauten an einem echten Flugzeug jedoch extrem teuer und aufwändig sind, bringen wir die Ergebnisse aus LNATRA in eine virtuelle Umgebung. Mit zusätzlichen Windkanalexperimenten und Flugsimulator-Tests wollen wir dann unsere numerischen Verfahren zuverlässiger machen, um damit Maßnahmen zur Lärmminderung an konventionellen und künftigen Flugzeugen zu verbessern.
Um einen Blick in die Glaskugel zu werfen: Werden wir die Forderungen der EU bis 2050 erfüllen können?
Würden wir die Klimaverträglichkeit außer Acht lassen, hätten wir mit unserem SIAM-Entwurf die Erwartungen bis dahin weitestgehend erfüllt. Allerdings müssten dann ganze Flugzeugflotten erneuert werden, was Jahrzehnte dauern würde. So lange können wir nicht warten. Wir möchten zeitnah, nämlich bis 2030, Lärmminderungsmaßnahmen an bestehenden Flugzeugen erreichen.
Die Fragen stellte Vera Koopmann. Sie arbeitet im DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Ein Beitrag aus dem DLRmagazin 175.