Forschende präsentieren Ergebnisse der ISS-Mission Cosmic Kiss
- Die ISS-Mission Cosmic Kiss des deutschen ESA-Astronauten Matthias Maurer dauerte 176 Tage.
- Maurer hat insgesamt an etwa 240 internationalen Experimenten gearbeitet, darunter 35 aus Deutschland.
- An zwei Tagen haben Forschende, Experimentteams sowie die Missionsteams von DLR und ESA nun ihre Experimentergebnisse und Erkenntnisse vorgestellt im engen Austausch mit Matthias Maurer.
- Schwerpunkte: Astronautische Raumfahrt, Internationale Kooperation, Forschung in Schwerelosigkeit
Am 6. Mai 2022 kehrte der deutsche ESA-Astronaut Dr. Matthias Maurer nach 176 Tagen von seiner ISS-Mission zur Erde zurück. Der gebürtige Saarländer flog als vierter Deutscher am 10. November 2021 zur Internationalen Raumstation ISS. Der 53-jährige Materialwissenschaftler aus St. Wendel war der erste Deutsche, der an Bord einer SpaceX-Dragon-Raumkapsel des kommerziellen NASA-Crew-Programms gemeinsam mit den NASA-Astronauten Raja Chari, Thomas Marshburn und der NASA-Kollegin Kayla Barron zur Raumstation flog. Die vierköpfige Crew war Teil der ISS-Expedition 66/67. Maurer hat insgesamt an etwa 240 internationalen Experimenten gearbeitet, darunter 35 aus Deutschland. Am 23. und 24. März 2023 präsentierte Matthias Maurer gemeinsam mit rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Experimentbetreuenden sowie den Missionsteams von DLR und ESAihre Experimentergebnisse und erste Erkenntnisse der Cosmic-Kiss-Mission. Ort des „Science Debriefings“ war das Deutsche Raumfahrtkontrollzentrum am Standort Oberpfaffenhofen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
„Ein Team von hunderten Mitarbeitenden aus Wissenschaft und Forschung, Entwicklung und Betrieb haben Matthias Maurers Mission Cosmic Kiss erst möglich gemacht. Als 600. Mensch im All hat er sich mit vollem Einsatz bei der Forschung unter Schwerelosigkeit engagiert und dabei sechs Monate lang die wissenschaftliche Exzellenz im ESA-Nutzungsprogramm demonstriert“, sagt die DLR-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr.-Ing. Anke Kaysser-Pyzalla. „Mit dem Fokus auf Anwendung und Nachhaltigkeit hat sich das DLR gemeinsam mit unseren Partnern aus Hochschulen und Universitäten an 35 Experimenten beteiligt - von bioziden Oberflächen über die Retinadiagnostik bis hin zu neuen Materialien sowie die energie- und emissionssparende Verwendung von Beton. Die Ergebnisse von der Internationalen Raumstation ISS treiben Innovationen und können in keinem Labor der Erde gewonnen werden.“
„Astronautische Raumfahrt ist ein zentraler Baustein deutscher Raumfahrtaktivitäten. Deutschland ist der stärkste Partner innerhalb Europas, wenn es um Exploration geht. Und Deutschland führt auch die meisten Experimente auf der ISS durch. Die Mission von Matthias Maurer steht für alles, wofür die deutsche Raumfahrt steht. Exzellente Wissenschaft, Lösungsbeiträge, um das Leben auf der Oberfläche der Erde zu verbessern, um Beiträge zum Lösen der großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu liefern, aber auch internationale Kooperation“, betont Dr. Walther Pelzer, DLR-Vorstand und Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR.
Volles Programm mit Wissenschaft, MINT und Outreach
An zwei Tagen haben Wissenschaftler, Experimentbetreuer sowie die Missionsteams von DLR und ESA ihre Experimentergebnisse und Erkenntnisse vorgestellt und sich eng mit dem Astronauten Matthias Maurer ausgetauscht. „Bei solchen Diskussionen kommen oft ganz neue Ideen, und es bilden sich auch neue Kooperationen unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern heraus. Auf solch einem Forum wird echter Mehrwert geschaffen und oft kommen da neue Experimentidee für die nächsten Missionen heraus,“ bestätigt Volker Schmid, DLR-Missionsleiter Cosmic Kiss.
„Space for Life on Earth”
So lautete das Motto der Mission. Im Fokus standen Disziplinen wie Mensch und Gesundheit, Materialforschung, Grundlagenphysik, und Technologieerprobung. Aufgabe: das Leben auf unserem Planeten zu verbessern. Bei dem Experiment „Easy Motion“ wurde Matthias Maurer erstmals durch einen speziellen Anzug beim täglichen Sporttraining unterstützt, um Muskelschwund und den dadurch bedingten Knochenabbau in Schwerelosigkeit zu verhindern. Bei der Elektro-Muskel-Stimulation (EMS) werden Muskelpartien durch schwache Stromimpulse angespannt. Da diese erhöhte Grundspannung mit einem gezielten Trainingsprogramm bei Matthias Maurer kombiniert wurde, hat das den Trainingserfolg an bestimmten Muskelgruppen der Stützmuskulatur verbessert. Diese Muskelgruppen spielen als wichtige Stabilisatoren bei der Fortbewegung in unterschiedlichen Gravitationsfeldern in der astronautischen Raumfahrt zu Mond und Mars eine entscheidende Rolle. Auf der Erde kann EMS beim täglichen Fitnesstraining oder bei bewegungsunfähigen Patienten eingesetzt werden.
Im Experiment DOSIS 3D wird bereits seit 2012 die Strahlenbelastung innerhalb und außerhalb der ISS gemessen. Für DOSIS 3D MINI hatte Matthias Maurer eine neue Detektorengeneration mit auf die Raumstation gebracht und im russischen Teil der Station installiert. Gemeinsam mit dem ersten Satz im europäischen Columbus-Labor kann nun an 21 Stellen auf der ISS die Strahlung gemessen werden. Daraus wurde dann ein 3D-Modell der Strahlenbelastung auf der Raumstation erstellt.
Mit dem Experiment Touching Surfaces untersuchte Matthias Maurer die Ausbreitung und Überlebensfähigkeit von Keimen auf unterschiedlichen Metalloberflächen mit und ohne Mikrostruktur. Denn unter Weltraumbedingungen neigen Mikroorganismen dazu, sich an Oberflächen anzuheften und Biofilme zu bilden. Außerdem konnte durch Touching Surfaces festgestellt werden, dass einige Bakterien auf der ISS eine höhere Resistenz als auf der Erde aufweisen. Die erhobenen Daten sind Teil der Grundlagenforschung und dienen gleichzeitig auch der Anwendung auf der Erde: Denn die Oberflächen können eine entscheidende Rolle im Kampf gegen gefährliche Mikroorganismen wie Viren oder multiresistente Bakterien im öffentlichen Leben, Personenverkehr und klinischen Umfeld spielen.
Beim Experiment Retinadiagnostik ging es um den Nachweis der Schwellung des Sehnervkopfes, der auf der Netzhaut des menschlichen Auges festgestellt werden kann. Der ISS-Einsatz zeigte, dass dieses Verfahren mit einfachen Mitteln erfolgreich durchgeführt werden kann. Experten bestätigen, dass vor Langzeitaufenthalten im All, die über ein halbes Jahr oder mehr hinausgehen, die Erhöhung des Kopfinnendrucks durch die Schwerelosigkeit medizinisch oder technisch gelöst werden muss. Anwendung bei der Diagnose des menschlichen Gesundheitszustands kann dieses Verfahren auch auf der Erde finden, mittels Einsatzes von KI bei der Bildauswertung.
Beton und Stahl
Beton ist einer der komplexesten Werkstoffe in Bezug auf seine Aushärtung. Im Beton-Experiment MASON (Concrete Hardening) wurden von Matthias Maurer im Februar 2022 verschiedene Beton-Zusammensetzungen gemischt. Erstmals härteten damit auf der ISS Betonproben unter Schwerelosigkeit und in vorgegebener Form aus. Nach den ersten Untersuchungen der Proben haben sich alle 64 Proben als auswertbar herausgestellt. Damit können diese nun als wertvolle Grundlage für viele Untersuchungen der kommenden Jahre dienen. Erste Ergebnisse zeigen eine höhere Porösität für die Betonmischungen, die unter Schwerelosigkeit ausgehärtet sind, als Vergleichsproben von der Erde. Diese höhere Porösität erklärt eine geringere Gesamtdichte für die Proben von der ISS. Resultierende Unterschiede in der Mikrostruktur sind Gegenstand laufender Untersuchungen. Zum ersten Mal können mit den Proben von der ISS und irdischen Betonproben nun auch mechanische Vergleichstests durchgeführt werden. Die Daten und Erkenntnisse von der ISS sollen in die Optimierung von Betonprozessen auf der Erde einfließen. Das Ziel dabei ist es, Energie und CO2-Emissionen einzusparen. Hier liegt ein großes Potential für den Klimaschutz, denn die weltweite Zementproduktion emittiert mehr CO2 als der weltweite Flugverkehr.
Der Electro Magnetic Levitator (EML) ist ein Schmelzofen, der sich seit 2014 an Bord der ISS befindet und seither für die Metallforschung eingesetzt wird. Während Cosmic Kiss wurde dort neben anderen Proben eine neue Trafo-Legierung untersucht, die zukünftig das Brummen von Transformatoren vermeiden soll. Ein wichtiger Beitrag, denn dieses Brummen steht für einen deutlich hörbaren Energieverlust. Bei der Vielzahl an Transformatoren und Netzteilen weltweit kann auch hierbei künftig durch effizientere Legierungen ein Beitrag für den Klimaschutz erzielt werden.
Viele Aktivitäten für den Nachwuchs im All
Aus den mehr als 60 europäischen Experimenten waren neun Vorhaben für Bildung und Nachwuchsförderung aller Altersstufen reserviert. Ein großer Schwerpunkt lag auf der Stimulation der MINT-Disziplinen. Dies wurde durch Schul- und Jugendexperimente und durch ein Outreach-Programm erreicht, bei dem ein wesentlicher Bestandteil die ARISS-Funkkontakte sind. Schülerinnen und Schüler von elf Schulen durften in neun Schalten zur ISS funken und live mit Matthias an Bord der ISS sprechen. So konnten etwa 8000 Schülerinnen und Schüler erreicht werden. Auch bei der dritten Neuauflage des „Beschützer der Erde“-Wettbewerbs standen Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt und gingen der Frage nach: „Was können wir für den Schutz unserer Erde tun und wie kann uns Raumfahrt dabei helfen?“ ESA-Astronaut Matthias Maurer begleitete den Wettbewerb als „Botschafter aus dem All“. In Videobotschaften und Live-Calls vermittelte er die Notwendigkeit für den Einsatz im Klimaschutz. Die Schülergruppen suchten sich eine der vier Klimazonen (kalt, gemäßigt, subtropisch, tropisch) aus und erforschten diese mit Erdbeobachtungsdaten. Zusätzlich konnten sich Grundschulklassen für die „Space Seeds 2“ bewerben und so Wildblumensamen erhalten, die 144 Tage auf der ISS waren. Ziel ist ein Wachstumsvergleich von geflogenen und auf der Erde gebliebenen Samen.
Ein weiterer Höhepunkt war „Hand in Hand um die Welt“. Auf einem zehn Meter langen Band, welches auf der ISS abgerollt wurde, waren gemalte Selfies von 1000 Schulkindern, die so um die Erde flogen. Beim Dshanibekov-Experiment, ein Vorschlag von Gymnasialschülern, baute Matthias Maurer mit Bausteinen eines berühmten dänischen Spielzeugherstellers unregelmäßige Strukturen auf der ISS und versetzte sie in Rotation. Der dabei auftretende Dschanibekov-Effekt, auch Tennisschlägereffekt, ist eine besondere Form des Torkelns eines kräftefrei rotierenden Körpers, die 1985 vom sowjetischen Kosmonauten Wladimir Dschanibekov während eines Raumfluges an einer Flügelmutter beobachtet wurde. An den Figuren angebrachte und angeschaltete Laserpointer erzeugten Lichtspuren innerhalb des Raumlabors, die mit Videokameras aufgenommen wurden. Anhand dieser Aufnahmen lassen sich Bewegungsgleichungen ableiten.
Auch der kleine Major Tom, eine Figur der gleichnamigen Kinderbuchreihe, flog mit und „durchlebte“ ebenfalls das Dshanibekov Experiment an Bord der ISS. Erfinder dieser Figur ist Peter Schilling, Sänger-Ikone der 1980er-Jahre, Komponist und Visionär, der darüber hinaus den DLR-Soundtrack „Alles an Dir“ für die Cosmic-Kiss-Mission beisteuerte. Live-Schalten mit dem Bundespräsidenten, zusammen mit Herzkindern der Stiftung Kinderherz und dem Bundeskanzler waren ebenfalls Höhepunkte des sogenannten Cosmic Kiss Education and Public Outreach Programms (EPO).
Über die Mission Cosmic Kiss
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) war in vielfältiger Weise in die Mission eingebunden: Die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR mit Sitz in Bonn ist für die Auswahl und Koordination der Experimente und Beiträge deutscher Universitäten und Hochschulen sowie aus der Industrie verantwortlich. Ebenso führen DLR-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler eigene Experimente durch. Das Columbus-Kontrollzentrum der ESA, beheimatet im Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum des DLR in Oberpfaffenhofen, ist verantwortlich für die Planung und Durchführung der Experimente, die im europäischen Columbus-Modul auf der Raumstation stattfinden. Von hier aus gehen die Daten der Experimente an die nationalen Nutzerkontrollzentren und von dort aus zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und den beteiligten Partnern aus der Industrie.
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