21. November 2019 | Mission Mars Express

Gletscher als Landschaftsgestalter: Die Zeugenberge von Deuteronilus Mensae

  • Wie auf der Erde prägten auch auf dem Mars Gletscher und Eiszeiten die Landschaften. Die Region Deuteronilus Mensae weist viele Spuren von Gletscherbewegungen auf, wie beispielsweise Tafelberge.
  • Das tiefer liegende Gelände im Norden des Mars und die Regionen zwischen den Tafelbergen sind gleichmäßig von Ablagerungen bedeckt, die Blockgletschern auf der Erde ähneln.
  • Messungen ergaben, dass die meisten gletscherartigen Strukturen in Deuteronilus Mensae auch heute noch einen hohen Anteil an reinem Wassereis enthalten (80 bis 90 Prozent).

Wann immer Eiszeiten über die Erde kamen, hatten sie nach dem Rückzug der Eisschilde das Landschaftsbild stark verändert. In den vergangenen zweieinhalb Millionen Jahren kam es allein in Mitteleuropa fünfmal zu massiven Vereisungen. Dabei drang das Eis aus der Arktis bis nach Mitteleuropa vor. Gleichzeitig schoben sich die Gletscher der Alpen kilometerdick weit nach Norden bis zur heutigen Donau. Zogen sich die Gletscher in den Warmzeiten (Interglazialen) wieder zurück, hinterließen sie typische Landschaftsformen mit Moränen oder Eiszeitseen. Die Trogtäler der Alpen mit ihrem U-förmigen Profil zeugen genauso davon wie „Findlinge”, ortsfremde Felsen und Steine aus Skandinavien oder den Alpen. Sie wurden auf den eisigen Förderbändern der Gletscher hunderte von Kilometern verfrachtet. Auch auf dem Mars prägten Gletscher und Eiszeiten die Landschaften. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die Region Deuteronilus Mensae an der Grenze zwischen Marshochland und nördlichen Tiefebenen, wie Aufnahmen der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebenen Stereokamera HRSC auf der ESA-Mission Mars Express zeigen.

Die Region Deuteronilus Mensae (lat.: Tafelberge am zweiten Nil) ist etwa so groß wie Deutschland. Sie bildet einen markanten Übergang vom südlichen Hochland zu den ein- bis zweitausend Meter tiefer gelegenen Ebenen der nördlichen Hemisphäre, der sogenannte Dichotomiegrenze (Bild 9). Diese ist durch zahlreiche freistehende Tafelberge charakterisiert, die bei der von Norden nach Süden vordringenden Erosion übriggeblieben sind und heute als „Zeugenberge“ frei in der Landschaft stehen.

Abgehobeltes Gestein wurde nach Norden verfrachtet

Die Täler zwischen diesen Zeugenbergen entstanden zum einen durch die erodierende Wirkung von fließenden Gewässern. Häufig finden sich aber auch Spuren, die zeigen, dass auch Gletscher die Landschaft stark geprägt haben. Wie auf der Erde entwickelt das unter dem Eigengewicht ganz langsam fließende Eis von Gletschern eine starke Erosionskraft. Das am Grund der Gletscher abgehobelte Material und das von den steilen Berghängen an den Gletscherseiten auf das Eis fallende Gestein wurde mit den nach Norden kriechenden Gletscherzungen abtransportiert und durch die intensive Reibung zerkleinert.

Die Abtragung des alten Hochlandgebiets hinterließ verschieden große Zeugenberge. Ihre plateauartigen Oberflächen repräsentieren die Überreste einer einstmals viel weiter nach Norden ausgedehnten Landoberfläche und bezeugen somit die Höhe des ehemaligen Geländeniveaus.

Die Geländeformen machen deutlich, dass es mehrere Vergletscherungsphasen gegeben haben muss. Viele Einschlagskrater in der Region haben stark erodierte Ränder und wurden von verfrachtetem und abgelagertem Material fast komplett verfüllt. Stellenweise sind sie heute gerade noch als kreisrunde Strukturen mit flachem Boden zu erkennen, bei manchen Kratern ragt nur noch teilweise der Zentralberg aus den Sedimenten (Bild 5, "Ausschnitt 2").

Mars-Eiszeiten in geologisch jüngster Zeit

Das tiefer liegende Gelände im Norden und die Regionen zwischen den Tafelbergen sind gleichmäßig von Ablagerungen bedeckt, deren Oberflächentextur teilweise auf eine viskos kriechende, langsame Abwärtsbewegung von einem Gemisch aus Schutt und Eis hindeuten. Die konzentrisch um die Plateaus angeordneten Fließstrukturen (Bilder 6 und 7) ähneln Blockgletschern oder vollständig mit Schutt bedeckten Gletschern, wie sie in kaltklimatischen Regionen auf der Erde, beispielsweise in der Antarktis, vorkommen. Das Muster, das Geröll und Gesteinsschutt auf dem sich talwärts schiebenden Gletscher bilden, spiegelt unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten des darunter befindlichen viskosen Eises wider.

Sehr wahrscheinlich befindet sich unter diesem Gesteinsteppich sogar heute noch Eis, auch wenn es nicht sichtbar ist. An der Oberfläche existiert Eis auf dem Mars nur in der Nord- und Südpolregion als Eiskappe und als Frost auf Dünenkämmen oder Kraterrändern, also dort, wo die Temperaturen extrem niedrig sind. Häufig ist es gemischt mit Kohlendioxideis. In mittleren Breiten wie in Deuteronilus Mensae erreichen die Temperaturen im Sommer durchaus Plusgrade. An der Oberfläche befindliches Wassereis würde bei dem auf dem Mars herrschenden niedrigen Atmosphärendruck sofort vom festen in den gasförmigen Zustand übergehen (sublimieren). Ist das Eis jedoch von Geröll bedeckt, dürfte es Tausende von Jahren vor Sublimation geschützt sein.

Bei der Interpretation der Strukturen in Deuteronilus Mensae nehmen einige Wissenschaftler deshalb an, dass es in geologisch jüngster Zeit – vor hunderttausend bis zehntausend Jahren – dort Gletscher gab, womöglich sogar Eiszeiten wie auf der Erde. Da die Drehachse des Mars viel häufiger hin- und herpendelt und somit unterschiedliche Gebiete mal zur Sonnen hin oder von ihr abgewendet werden, könnte es auch in diesen mittleren Breiten zu großflächigen polaren Vereisungen gekommen sein.

Bestätigt wird diese Annahme durch die Analyse von Daten des Instruments SHARAD (Shallow Radar) an Bord des Mars Reconnaissance Orbiters der NASA. Mittels Radarstahlen kann es einige hundert Meter in den Boden schauen. Die Messungen zeigen, dass die meisten gletscherartigen Strukturen in Deuteronilus Mensae auch heute noch einen hohen Anteil an reinem Wassereis enthalten (80 bis 90 Prozent). Sie könnten somit die Überreste eines überregionalen Eisschildes sein, das einst die Plateaus und angrenzenden Ebenen der Region bedeckte. Sublimation von Eis im Zuge eines Klimawandels könnte dann zu einem Abbau des großflächigen Eisschildes geführt haben, wodurch die Hänge der Plateaus freigelegt und weiter erodiert wurden. Die im nördlichen Teil des Bildes zu erkennende gerippte Textur (BIlder 4 und 8) der tieferliegenden Flächen kann durch hangabwärts gerichtete Kriechbewegungen des Eis-Schutt-Gemischs und dadurch entstehende Bruch- und Stauchungsmuster erklärt werden.

Weitere Bilder der HRSC finden Sie in der Mars Express-Bildergalerie auf flickr.

  • Bildverarbeitung
    Die systematische Verarbeitung der Kameradaten erfolgte am DLR-Institut für Planetenforschung. Mitarbeiter der Fachrichtung Planetologie und Fernerkundung der Freien Universität Berlin erstellten daraus die hier gezeigten Bildprodukte. Die Aufnahmen mit der HRSC (High Resolution Stereo Camera) entstanden am 25. Februar 2018 während Orbit 17.913 von Mars Express. Die Bildauflösung beträgt etwa 13 Meter pro Bildpunkt (Pixel). Die Bildmitte liegt bei etwa 25,5 Grad östlicher Länge und 44 Grad nördlicher Breite. Die Farbaufsicht wurde aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche gerichteten Nadirkanal und den Farbkanälen der HRSC erstellt, die perspektivische Schrägansicht wurde aus den Geländemodell-Daten, den Nadir- und Farbkanälen der HRSC berechnet. Das Anaglyphenbild, das bei Betrachtung mit einer Rot-Blau- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und den Stereokanälen abgeleitet. Die in Regenbogenfarben kodierte Aufsicht beruht auf einem digitalen Geländemodell (DTM) der Region, von dem sich die Topographie der Landschaft ableiten lässt.
  • Das HRSC-Experiment auf Mars Express
    Die High Resolution Stereo Camera, kurz HRSC, wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern gebaut (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Das Wissenschaftsteam unter Leitung des Principal Investigators (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann besteht aus 50 Co-Investigatoren, die aus 35 Institutionen in 11 Nationen stammen. Die Kamera wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Seit 2004 liefert die Kamera hochauflösende Bilder vom Roten Planeten.

Verwandte Nachrichten

Kontakt

Elke Heinemann

Leitung Digitale Kommunikation
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-1852

Prof. Dr. Ralf Jaumann

Freie Universität Berlin
Institut für Geologische Wissenschaften
Planetologie und Fernerkundung
Malteserstr. 74-100, 12249 Berlin

Ulrich Köhler

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Dr. Daniela Tirsch

Principal Investigator HRSC
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin