Während der Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten haben sich im Laufe von rund vier Milliarden Jahren viele Umweltbedingungen immer wieder geändert – wie etwa die Zusammensetzung der Atmosphäre, die Temperatur und das Spektrum des Lichts. Nur die Schwerkraft blieb immer gleich. Sie beeinflusst physikalische und chemische Prozesse und hat maßgebliche Auswirkungen auf Entwicklung-, Stoffwechsel- und Fortpflanzung – kurz: auf das Leben.
Schon für die Organismen, die zunächst im Wasser lebten, war es überlebensnotwendig die Richtung der Schwerkraft wahrzunehmen. Doch diese Fähigkeit wurde dann noch wichtiger für das Leben auf dem Land. Die ersten Organismen, die sich an eine solche Umgebung angepasst haben, waren Pflanzen. Sie mussten dazu eine Menge leisten: zum Beispiel stützende Strukturen entwickeln, damit sie nicht einfach umknickten. Sie mussten auch Schutz gegen Verdunstung aufbauen – schließlich waren sie jetzt nicht mehr von flüssigem Nass umgeben, sondern Wind und Wetter und Sonne ausgesetzt. Und sie mussten auch die Fähigkeit verbessern, sich räumlich zu orientieren. Denn nur wenn eine Pflanze ihre Wurzeln in die richtige Richtung zum nährstoffreichen Boden schickt und den Rest zur energiespendenden Sonne und zur Luft ausrichtet, kann sie existieren.
Luft, Licht und Wasser
Eine Pflanze muss also ihre Wurzeln im Boden verankern, damit sie mechanischen Halt findet und Nährstoffe und Wasser aufnehmen kann. Die Blätter müssen zum Licht ausgerichtet sein, um energiereiche Zuckerverbindungen produzieren zu können. Denn Pflanzen leben vereinfacht gesagt von Luft, Licht und Wasser.
Die Fähigkeit der Pflanzen, sich mit Hilfe der Schwerkraft auszurichten, wird als „Gravitropismus" bezeichnet. Offensichtlich nutzen Pflanzen aber auch die Richtung des Lichts zur Orientierung – das nennt man dann „Phototropismus" – und auch diese Orientierungsleistung ist wichtig, denn Licht kommt ja nicht an jedem Ort genau von oben.
Ein keimender Samen hat aber unter der Erde keine Möglichkeit, sich an der Lichtrichtung zu orientieren – schließlich ist es da einfach nur dunkel. Darum nutzt schon der junge Keimling die Schwerkraft, um seine Wurzel in den Boden zu schicken und die Keimblätter der Sonne entgegen zu strecken – sonst würde er sehr schnell eingehen. Der Gravitropismus sichert also das Überleben der Pflanze und ihre bestmögliche Ausrichtung im Raum.
Wie die Murmeln im Glas
Wie merkt eine Pflanze, wo oben und unten ist? Stellt euch ein geschlossenes Einmachglas vor, in dem einige Murmeln liegen. Dreht man das Glas, fallen die Murmeln wegen der Schwerkraft immer auf die Seite, die gerade nach unten zeigt. Auch in spezialisierten Pflanzenzellen innerhalb der Wurzel und im Spross fallen kleine schwere Teilchen, nämlich stärkereiche Zellpartikel, immer in Richtung der Schwerkraft – wie die Murmeln im Glas. Die Zelle erkennt die Lage dieser Partikel und korrigiert die Ausrichtung von Wurzel und Spross entsprechend, so dass sie immer in die Richtung wachsen.
Wenn man mehr über diesen Mechanismus, mit dem Pflanzen Schwerkraft wahrnehmen, forschen will, braucht man am besten eine „reizfreie" Umgebung – also zunächst einmal eine Welt ohne Schwerkraft. Und die gibt es eben nicht auf der Erde. Wohl aber auf der Raumstation. Dann sieht man, wie Pflanzen in Schwerelosigkeit wachsen. Und man kann dann sogar mit einer Zentrifuge ganz allmählich eine „künstliche Schwerkraft“ erzeugen und sehen, ab welchem Wert die Pflanze darauf reagiert.
Warum man das alles wissen will
Und warum wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstehen, wie sich Pflanzen orientieren? Erstens: weil sie es verstehen wollen. Soll heißen: Es handelt sich hier um Grundlagenforschung – zunächst ganz ohne Anwendungsbezug – auch wenn dieses Wissen dann später bei der Züchtung etwa von besonders widerstandsfähigen Nutzpflanzen von Vorteil sein kann. Und zweitens: Wenn man an Mond- und Mars-Stationen und entsprechend lange Aufenthalte fern der Erde denkt, dann muss man vorher klären, ob Pflanzen im Weltraum ohne Schwerkraft überhaupt überleben würden. Denn die Astronautinnen und Astronauten können bei solchen lange dauernden Missionen nicht alle Nahrung von der Erde aus mitnehmen, sondern müssen unterwegs für Nachschub sorgen – also ihr Obst und Gemüse selbst züchten. Reicht aber die geringere Schwerkraft unseres Mondes oder des Mars für das Wachstum von Pflanzen aus?