In der Zeitkapsel, die im Jahr 2018 zusammen mit Alexander Gerst an Bord der Internationalen Raumstation ISS die Erde umkreiste, befinden sich unter anderem mehrere symbolische „Mini-Objekte“. Darunter sind auch einige kleine Bruchstücke von Meteoriten. Und einer dieser Meteoriten ist besonders spannend. Er heißt NWA 7325 – und er gilt als der rätselhafteste Stein der Welt. Er ist eine absolute Rarität: Auf der ganzen Welt gibt es nichts Vergleichbares … Hier zu dieser super-spannenden Sache ein paar Hintergrund-Infos für euch.
Wir haben diesen Text auf Grundlage von Auskünften erstellt, die uns freundlicherweise von Stefan Ralew übermittelt wurden. Der Meteoritensammler ist Besitzer des mysteriösen Steins – und er ist es auch, der uns für die Zeitkapsel ein kleines Stück davon geschenkt hat, weil er das Projekt_4D so toll findet.
Begonnen hat die spannende Geschichte im Jahr 2012. Da wurde Stefan Ralew bei einer seiner vielen Exkursionen in der Sahara auf den Fund aufmerksam. „Anfangs wusste ich noch gar nicht so genau, ob es sich bei dem seltsamen Brocken, der von einer grünlichen Kruste überzogen ist, überhaupt um einen Meteoriten handelt“, erzählt er uns. Erst die chemische Analyse durch einen Experten in den USA – Prof. Tony Irving – zeigte, dass der Stein tatsächlich aus dem Weltraum auf die Erde gestürzt ist. Aber damit war das Rätsel um den Stein nicht gelöst – im Gegenteil: Hier fängt es erst so richtig an! Denn die Analyse des Meteoriten warf viele neue Fragen auf, die teils bis heute unbeantwortet sind …
Kleine Meteoritenkunde zum Verständnis
Kurz vorab einige Infos, damit ihr danach die weiteren Ausführungen besser versteht: Unser Sonnensystem ist vor rund 4,6 Milliarden Jahren entstanden. Aus einer kosmischen Gas- und Staubwolke, die sich verdichtete, formten sich allmählich die Sonne und die Planeten. Auch kleinere Himmelskörper bildeten sich – wie die Asteroiden, die zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter um die Sonne kreisen, manchmal aber auch abgelenkt werden und dann andere Himmelskörper treffen können. Anfangs ging es ziemlich chaotisch zu und es kam wohl auch zu „Crashs“ zwischen einigen Planeten. Bei einer solchen Kollision entstand nach heutiger Theorie unser Mond: Ein anderer Himmelskörper verpasste der Erde einen „Streifschuss“ und riss dabei Material aus unserem Planeten ins All, wo sich die Trümmer gegenseitig anzogen und nach und nach zum Mond formten. Auf dem Mars und dem Merkur gibt es ebenfalls Anzeichen dafür, dass sie von schweren Treffern „erwischt“ wurden.
Diese großen Treffer waren selten. Doch kleinere „Brocken“ sind dagegen häufig auf die Erde – und auch auf die anderen Himmelskörper – gestürzt. Das zeigen die vielen Krater, die man zum Beispiel auf dem Mars oder Mond sieht. Auch auf der Erde gibt es viele solcher „Impakt-Krater“, wobei sie hier durch Wind und Wetter über die Jahrmillionen oftmals auch wieder verschwunden sind. Und auch heute noch wird die Erde gelegentlich von Meteoriten getroffen – so nennt man das, was auf der Erdoberfläche einschlägt (oft fallen sie ins Meer, wo sie in aller Regel natürlich keine Spuren hinterlassen). Meist entdeckt man ein Meteoritenstück in Wüstengebieten wie der Sahara oder auch in der Antarktis – einfach weil dort ein solcher Stein viel mehr auffällt, als wenn er irgendwo im Wald oder auf einer Wiese liegt.
Woher ein Meteorit ursprünglich stammt, wie lange er durchs All getaumelt ist und wann er auf der Erde einschlug – das alles sind bei jedem Fund die spannenden Fragen. Oft sind Meteoriten die Bruchstücke eines Asteroiden. Manchmal aber ist Folgendes passiert: Bei einem Einschlag auf dem Mond oder auf dem Mars ist Materie ins All geschleudert worden – und wenn der Einschlag sehr heftig war, sind die Brocken nicht wieder auf die Oberfläche zurückgefallen, sondern sie „vagabundierten“ durchs All, kamen zufällig in den Einzugsbereich der irdischen Anziehungskraft und fielen schließlich auf unseren Planeten. So kommt es, dass man auf der Erde Mond- und Mars-Gestein findet. Um mehr über einen Fund zu erfahren, analysiert man ihn im Labor. Da kann man mit verschiedenen Methoden untersuchen, wie lange der Brocken der kosmischen Strahlung ausgesetzt war – also wie lange er durchs All gesaust ist. Man kann auch das Alter des Gesteins bestimmen. Und man kann bei Mars-Meteoriten kleine Gasbläschen, die darin eingeschlossen sind, untersuchen und mit der Atmosphäre etwa des Planeten vergleichen. Oder man vergleicht die chemische Zusammensetzung des Gesteins mit den Gesteinsproben, die die Apollo-Astronauten vom Mond zur Erde gebracht haben. So weiß man dann sicher, dass ein Stein vom Mars oder vom Mond stammt. Okay, das soll für den Anfang genügen – jetzt zur spannenden Story des Meteoriten NWA 7325 …
Der Fund in der Sahara
Die Abkürzung „NWA“ steht für Nordwest-Afrika. Die Kennung verrät: Dort wurde der Meteorit gefunden, und zwar im Süden der marokkanischen Sahara. Der sehr ungewöhnliche Stein war in mehrere Fragmente zerbrochen. Heute gehen wir davon aus, dass er dort vor ca. 3.000 Jahren niedergegangen ist. Auffällig ist schon auf den ersten Blick die hellgrüne Kruste, die den Fund auch optisch einzigartig macht. So etwas gibt es sonst eigentlich nicht! Meteoriten sind meist einfach schwarze „Klumpen“. Stefan Ralew schickt eine Probe des Steins an einen der weltweiten Experten auf dem Gebiet der Meteoriten-Bestimmung: an Prof. Tony Irving von der Washington University. Der Fachmann analysiert die Probe. Und seine Klassifikation des Meteoriten fördert hochinteressante Befunde zutage. Bei NWA 7325 handelt es sich um einen sogenannten ungruppierten Achondriten – wer genau wissen will, was das bedeutet, kann hier nachsehen. Er weist kaum Gemeinsamkeiten mit anderen bekannten Meteoriten auf. Die Untersuchungen ergeben, dass NWA 7325 vor rund 24 Millionen Jahren von einem Planeten oder Kleinplaneten weggesprengt wurde, auf dem höchstwahrscheinlich bereits Differenzierung stattgefunden hat. „Differenzierung“ bedeutet, dass in der Frühzeit eines Planeten die schweren Elemente wie insbesondere Eisen zu einem großen Teil ins Innere „absinken“ und dort den Eisenkern bilden – wie das auch auf der Erde der Fall war und weshalb wir ein Magnetfeld haben. Nochmal in Ruhe und stark vereinfacht gesagt: Weist ein Meteoritenstück wenig Eisen auf, ist es wahrscheinlich, dass es aus den oberen Schichten eines Planeten oder Kleinplaneten stammt – denn das schwere Eisen (und auch Nickel) sinkt in der Frühzeit zum Kern und fehlt dann in der Kruste (oder ist dort zumindest in geringerem Maße vorhanden). Ist dagegen sehr viel Eisen im Fundstück enthalten, stammt es mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Asteroiden. Denn die meisten dieser kosmischen Brocken sind höchstens einige Kilometer groß und da ist an jeder Stelle mehr oder weniger dieselbe Mischung vorhanden, ohne dass etwas nach Innen „sinkt“. Also: NWA 7325 dürfte von einem Planeten stammen – oder zumindest von einem Kleinplaneten.
Das Gestein von NWA 7325 besteht aus einem eisenarmen und sehr magnesiumreichen Olivin-Gabbro, der sich von der Zusammensetzung deutlich sowohl von irdischen Gesteinen als auch von bekannten Meteoriten unterscheidet. Die Messungen der Sauerstoff- und Chrom-Isotopen lieferten ebenfalls Werte, die mit keiner bekannten Gruppe von Meteoriten übereinstimmen. Das heißt: Der Stein ist nicht von der Erde, er stammt aber offenbar auch nicht von einer der bekannten „Quellen“, von denen Meteoriten normalerweise kommen – also nicht von einem Asteroiden, nicht vom Mond und nicht vom Mars.
Damit stellt sich die Frage: Woher um alles in der Welt kommt NWA 7325 denn dann? Interessanterweise zeigt die Zusammensetzung des NWA 7325 Meteoriten gewisse Ähnlichkeiten zu den Messergebnissen der NASA-Sonde MESSENGER, die die Oberfläche des Planeten Merkur aus einer Umlaufbahn um den kleinen Planeten untersucht hat. Aufgrund dieser Ähnlichkeiten und weiterer Indizien kam die Vermutung auf, dass es sich bei NWA 7325 möglicherweise um ein Stück vom Merkur handeln könnte. Aber kann das überhaupt sein? Der Merkur ist schließlich viel weiter von uns entfernt als Mond oder Mars. Und er ist der Sonne so nah, dass die meisten Trümmer – falls dort bei einem Einschlag Material ins All „gesprengt“ wurde – in Richtung Sonne angezogen und von ihr „verschluckt“ wurden. Wenn man Bahnen der Planeten, Anziehungskräfte, Entfernungen, Einschlagswinkel und alle anderen Faktoren einbezieht, ergeben diese wissenschaftlichen Berechnungen: Es ist durchaus möglich, dass durch große Einschläge weggesprengte „Merkur-Stückchen“ die Erde erreicht haben könnten. So wie es auch etliche bewiesene Funde von Mond- und Mars-Meteoriten gibt, die auf ähnliche Weise zur Erde kamen. Im Vergleich zu diesen Stücken aus unserer kosmischen „Nachbarschaft“ dürfte das aber bei Merkur nur sehr selten passiert sein.
Ein ungeklärter Fall
Im Gegensatz zu Mond- und Mars-Meteoriten lässt sich die Herkunft vom Merkur mit heutigem Kenntnisstand leider weder beweisen noch widerlegen. Zum Verständnis: Bei Mond-Meteoriten sind Vergleichsproben der Apollo-Missionen verfügbar, die eine Identifikation von Mond-Meteoriten relativ einfach machen – man vergleicht einfach die chemische Zusammensetzung eines Fundstücks mit den Apollo-Proben. Bei den Mars-Meteoriten (sog. SNC-Meteoriten) sind winzige Spuren der Mars-Atmosphäre im Gestein eingeschlossen, deren Signatur durch Mars-Sonden gut bekannt ist – und so kann man ein Stück Mars-Gestein, das sich auf die Erde verirrt hat, anhand der chemischen Analyse ebenfalls zweifelsfrei identifizieren. Vom Merkur haben wir aber keine Vergleichsproben, sondern eben nur die MESSENGER-Daten. Sie machen die Annahme, dass der Stein vom Merkur stammt, plausibel – aber es gibt auch Gegenargumente. Beim Meteoriten NWA 7325 könnte das hohe Kristallisationsalter von 4,564 Milliarden Jahren eine Herkunft vom Merkur als zweifelhaft erscheinen lassen. Denn man nimmt an, dass auf einem Planeten wie Merkur noch längere Zeit Vulkanismus geherrscht haben muss und es dort deshalb keine so alten Gesteinsschichten mehr gibt. Allerdings gibt es auch unter den bekannten Mars-Meteoriten mehrere Gesteinsproben, die deutlich älter als 4 Milliarden Jahre sind. Bis die Wissenschaft letztendlich Vergleichsproben von Merkur zur Verfügung hat, ist eine Herkunft von NWA 7325 vom Merkur also nicht sicher. Auch andere Szenarien sind möglich. Bis heute verfolgen Meteoriten-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler noch eine ganze Reihe weiterer Theorien über die Herkunft und Entstehung von NWA 7325. Kommt er etwa von einem ganz anderen Himmelskörper, den wir nicht kennen? Auch einige Jahre nach seiner Entdeckung gibt es noch viele offene Fragen zu diesem einzigartigen und faszinierenden Meteoriten.
Und als ob das alles nicht spannend genug wäre, kam dann die große Überraschung!