Der ewige Zweite
Eine Nacht! Eine Nacht war er hintendran mit seiner epochalen Beobachtung, dass der Planet Jupiter Monde hat, die ihn umkreisen. Was bedeutet, dass es also doch Welten gibt, in denen Trabanten einen größeren Körper umkreisen. Eine enorm wichtige Erkenntnis, mit der die Behauptung des Nikolaus Kopernikus zwar noch nicht bewiesen, aber stark gestützt wurde, dass nämlich nicht die Erde, sondern die Sonne im Zentrum unserer Planetenwelt steht.
Januar 1610. Seit gut einem halben Jahr verfügte der 1573 als Simon Mayr in Gunzenhausen an der Altmühl geborene Mathematiker, Arzt und Astronom über ein Fernrohr. Die ersten Teleskope wurden in Flandern gebaut. Für die Fürsten und Könige der Zeit waren sie ein ideales Instrument, das dazu diente, bei Feldzügen einen Vorteil zu erzielen. Aber natürlich erkannten auch die Astronomen den unvergleichlichen Wert dieses Werkzeugs. So orderten auch sie Fernrohre bei den einschlägigen Manufakturen oder ließen sich geschliffene Linsen zusenden, aus denen sie selbst die optischen Wundergeräte zusammenbauten.
Marius' – wie sich Mayr in der lateinischen Weltsprache der Forschung nannte – Talent für Mathematik und Astronomie war offensichtlich, er wurde Hofmathematikus der Markgrafschaft Ansbach. Sein Werdegang wurde auch stark von einem Aufenthalt südlich der Alpen geprägt, wo Marius bis 1605 in Padua Medizin studierte und Arzt wurde.
Marius trifft Galileo Galilei
In dieser Zeit lernte er auch Galileo Galilei kennen und tauschte sich mit ihm über astronomische Themen aus. Gut ein halbes Jahrhundert zuvor, 1543, hatte Nikolaus Kopernikus sein Lebenswerk veröffentlicht, das aus mathematischer Betrachtung die Sonne und nicht, wie es seit Platon unumstößliches „Gesetz“ war, die Erde im Mittelpunkt der Planetenbahnen sah.
Brahe, Galilei, Kepler, also die großen „Himmelsmechaniker“ zu Beginn der Neuzeit, griffen neben Simon Marius und anderen die These von Kopernikus auf, waren aber aufgrund ihrer eigenen Beobachtungen und Berechnungen noch nicht vollkommen überzeugt. Es fehlten schlüssige Beweise, dass die Erde in Bewegung sei.
Die Astronomen zerbrachen sich den Kopf, zusätzlich saß ihnen der Klerus im Nacken, der die schleichende „Machtübernahme“ der Wissenschaft gegenüber der Theologie äußerst skeptisch betrachtete. Eine besonders grausame Demonstration der Kirchenmacht war das 1600 an Giordano Bruno in Rom auf dem Scheiterhaufen vollstreckte Todesurteil.
Eine bahnbrechende Entdeckung
1606 ließ sich Simon Marius in Ansbach nieder. Erste Versuche, selbst ein Fernrohr zu bauen, waren nicht besonders erfolgreich. Die Glasqualität war nicht gut. Doch 1609 ermöglichte ihm sein Förderer Johannes Philipp Fuchs von Bimbach die Nutzung eines belgischen Fernrohrs. Dieses richtete er am 29. Dezember 1609 julianischen Datums – im neueren gregorianischen Kalender war es der 8. Januar 1610 – auf den Planeten Jupiter. Und er „… entdeckte vier winzige Sternchen bald hinter, bald vor dem Jupiter, in gerader Linie mit dem Jupiter“.
Nachts zuvor war auch in Padua ein klarer Nachthimmel. Und Galileo Galilei fixierte mit seinem auch erst kurz zuvor gebastelten Fernrohr ebenfalls den Jupiter und sah genau dasselbe wie Simon Marius. Dieser veröffentlichte seine Beobachtung und Interpretationen dazu aber erst 1614 in dem Werk Mundus Iovialis (Die Welt Jupiters). Vier Jahre zu spät – hatte doch Galilei in Venedig seinen „Sternenboten“, den berühmten Sidereus Nuncius, gleich 1610 veröffentlicht. Doppeltes Pech also für Marius, dass er nicht nur später publizierte, sondern dass er auch tatsächlich eine Nacht nach dem so berühmten Toskaner seine Beobachtungen machte. Galilei, eitel, wie er war, beschuldigte noch 13 Jahre später Simon Marius des Plagiats. Gerüchteweise soll er ihn sogar der Inquisition „anempfohlen“ haben. In Astronomenkreisen vollständig rehabilitiert wurde Marius erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Viele wichtige Entdeckungen ... immer zu spät
Simon Marius war freilich in Mitteleuropa ein höchst respektierter und angesehener Astronom. Ihm gelangen zahlreiche weitere bedeutende Beobachtungen im Nachthimmel und sogar an der Sonne. Doch bei allen weiteren Entdeckungen stellte sich im Nachhinein heraus, dass schon ein anderer vor ihm, bewusst oder unbewusst, diese gemacht hatte. Seien es die Phasen der Venus, die er erkannte, sei es der Andromedanebel, die Nachbargalaxie der Milchstraße, und noch weitere.
Immerhin blieb ihm ein kleiner, aber feiner Erfolg: Die Marius-Beobachtungen der Jupitermonde waren präziser als die von Galilei. Und Simon Marius war es, der einen Vorschlag Keplers aufgriff, die vier großen Jupitermonde nicht als „mediceische Monde“, wie es Galilei ob seiner Sponsoren vorschwebte, oder „brandenburgische Monde“ – als Würdigung der Brandenburg-Ansbacher Fürsten – zu bezeichnen, sondern ihnen die Namen zu geben, die sie noch heute tragen: Io, Europa, Ganymed und Callisto. Äußerst illustre Gesellen aus der griechischen Mythologie. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ein Beitrag von Ulrich Köhler aus dem DLRmagazin 176