Artikel aus dem DLRmagazin 175: Kreative Forschungsfragen unter alliierter Kontrolle nach dem Zweiten Weltkrieg

Schwimmende Erbsen und ein patentierter Kleideraufhänger

Prof. Ludwig Prandtl 1904 am Wasserkanal der TH Hannover
Wasserkanäle gehörten zu den ersten Versuchsanlagen, die in der Nachkriegszeit wieder für Forschungszwecke eingesetzt werden durften.

In den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Luftfahrtforschung und der Bau von Flugzeugen in Deutschland durch das von den Alliierten erlassene Kontrollratsgesetz Nr. 25 verboten. Ähnlich wie schon nach dem Ersten Weltkrieg mussten die Forschenden in den Vorgängerorganisationen des DLR kreative Ideen entwickeln, um trotz der Restriktionen auf dem Gebiet der angewandten Naturwissenschaften ihre Arbeit fortsetzen zu können und Einnahmequellen zur Finanzierung ihrer Tätigkeiten zu finden.

Die drei großen Vorgängerorganisationen des DLR standen nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Kontrolle der Siegermächte, die die Forschungsanlagen und die Mitarbeitenden der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin-Adlershof, der Luftfahrtforschungsanstalt Hermann Göring (LFA) in Braunschweig und der Aerodynamischen Versuchsanstalt (AVA) in Göttingen für ihre Zwecke nutzten. So beauftragten die Briten beispielsweise ausgewählte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der LFA und der AVA damit, ihre Forschungstätigkeit während des Zweiten Weltkriegs schriftlich darzulegen. Parallel dazu wurden die Windkanäle und Versuchsanlagen in den drei Forschungsanstalten gemäß dem Potsdamer Abkommen sukzessive demontiert oder zerstört und die Forschungsanstalten stellten nach und nach ihren Betrieb ein.

Aerodynamikforschung für die Landwirtschaft

Während ein Teil des Personals der AVA nach dem Ende seiner Tätigkeit für die Briten in das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Strömungsforschung in Göttingen wechseln konnte, blieb den Mitarbeitenden der LFA nichts anderes übrig, als sich eine neue Beschäftigung zu suchen. So kam der Leiter der LFA, Professor Hermann Blenk (1901–1995), zunächst in der Forschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) unter, die auf dem Gelände der LFA errichtet wurde. Als Aerodynamiker kannte er sich ausgezeichnet mit Strömungsvorgängen aus und wurde daher von der FAL mit zwei Forschungsfragen betraut. Zum einen sollte er ermitteln, wie sich Saatgut durch Wind reinigen und sichten ließ, zum anderen erhielt er die Aufgabe, die pneumatische Förderung von Getreide, Heu und Stroh zu untersuchen.

Ähnlich erging es einigen Mitarbeitern der AVA, die nach Schließung der Forschungsanstalt ins KWI für Strömungsforschung übernommen worden waren. Auch sie erhielten aufgrund ihrer Kenntnisse auf dem Gebiet der Aerodynamik eine artverwandte Aufgabe und entwickelten für eine Hamburger Firma ein Schwimmsortierverfahren für Erbsen. Eine andere Arbeitsgruppe ehemaliger AVA-Mitarbeiter, die ebenfalls Gelegenheit bekam, ins KWI für Strömungsforschung zu wechseln, hatte während des Zweiten Weltkriegs im AVA-Institut für Kälteforschung gearbeitet und zum Beispiel die Eisbildung an Flugzeugflügeln und -leitwerken in großen Höhen untersucht. In der Nachkriegszeit unterstützte sie den Göttinger Schlachthof bei der Erneuerung seiner Kühlanlage und entwickelte ein Schnellgefrierverfahren für Lebensmittel.

Prof. Albert Betz 1953
Der Wissenschaftler in der Werkstatt des MPI für Strömungsforschung
Prof. Albert Betz entwickelte einen neuartigen Kleideranhänger.
Dieser fand allerdings nie den Weg in die Serienproduktion.

Die genannten Forschungstätigkeiten wurden von den Briten nicht nur gebilligt, sondern sogar gefördert, da es sich um zivil ausgerichtete Aufgaben handelte, die obendrein zum Wiederaufbau des öffentlichen Lebens in der britischen Besatzungszone beitrugen. Auch für private Forschungen blieb Zeit, sofern diese nicht gegen das Kontrollratsgesetz Nr. 25 verstießen. So entwickelte Professor Albert Betz (1885–1968), einstiger Leiter der AVA und ab 1947 Direktor des KWI für Strömungsforschung und späteren Max-Planck-Instituts für Strömungsforschung, einen neuartigen Kleideraufhänger, für den er 1949 sogar ein Patent erhielt. Da ihm die Zeit fehlte, ihn selbst zu vermarkten, hoffte er darauf, dass sein Neffe sich dieses Projekts annehmen würde. Zwar signalisierte dieser durchaus seine Bereitschaft, einen Abnehmer zu finden, doch war er als Jurist beruflich ebenfalls stark eingespannt, sodass sich die Verhandlungen mit interessierten Firmen zur Vermarktung in die Länge zogen. Erschwerend kam hinzu, dass Betz sehr genaue Vorstellungen hinsichtlich der Qualität des Kleideraufhängers hatte. Er sollte seiner Ansicht nach aus hochwertigem Material gefertigt sein, um möglichst lange benutzt werden zu können. Dies widersprach allerdings der Auffassung der interessierten Firmen. Aus ihrer Perspektive musste ein solcher Gebrauchsgegenstand nicht ein Leben lang halten, sondern durfte gerne durch die bald entstehende Notwendigkeit des Kaufs eines Ersatzes den Umsatz der Herstellerfirma steigern. Deshalb weigerten sich die Firmen, entsprechend langlebige Materialien für die Herstellung zu verwenden. Dass hier zwei Welten aufeinandertrafen, die gegensätzlicher kaum sein konnten, steht außer Frage. Wenig erstaunlich ist dementsprechend, dass dieser Kleideraufhänger letztlich nicht den Weg in die Serienproduktion fand – und somit auch nicht in die Kleiderschränke.

Aufbau des von Betz entwickelten und patentierten Kleideraufhängers
Skizze aus der Patentschrift

Wie die hier gezeigten Beispiele illustrieren, mussten Forschende in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren ihre Fähigkeiten und wissenschaftlichen Stärken auf Gebiete verlagern, die außerhalb ihrer eigentlichen Kernkompetenzen lagen. Dies war mit Sicherheit nicht immer einfach, eröffnete ihnen jedoch auch die Chance, neue Arbeitsbereiche und Denkweisen kennenzulernen, von denen sie langfristig profitierten.

Ein Beitrag von Dr. Jessika Wichner aus dem DLRmagazin 175

Weiterführende Links

Kontakt

Redaktion DLRmagazin

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln