Artikel aus dem DLRmagazin 175: Ein Hightech-Schienenbus als Chance für stillgelegte Strecken

Neuer Schwung fürs Gleis

Hightech-Schienenbus
Unter dem Leitkonzept „Next Generation Train (NGT)“ entwickelt das DLR seine Vision, wie der Schienenverkehr der Zukunft als wesentlicher Teil einer auf Nachhaltigkeit und Kapazitätssteigerung ausgerichteten Mobilität aussehen könnte.

Mit dem NGT-TAXI entwickelt das DLR ein kleines, leichtes und effizientes Schienenfahrzeug. In Zukunft soll es automatisiert und vor allem auf Nebenstrecken unterwegs sein – und so auch im ländlichen Raum für eine schnelle und flexible Anbindung sorgen.

Der Schienenverkehr gehört zu den Hoffnungsträgern der Mobilitätswende. Im Vergleich zu anderen motorisierten Verkehrsmitteln ist die Bahn schon jetzt klimaverträglich und energieeffizient unterwegs. Gleichzeitig ist der Zug das sicherste Verkehrsmittel. Das Comeback der Schiene ist groß angelegt: Die Bundesregierung will die Verkehrsleistung im Personenverkehr bis 2030 verdoppeln und die Schiene günstiger machen. Innovative Antriebe sollen integriert sowie Fahrzeuge und Infrastruktur digitalisiert werden. Das Streckennetz soll erweitert, stillgelegte Abschnitte wieder in Betrieb genommen und das Angebot besonders im ländlichen Raum verbessert werden.

Hier setzt das NGT-TAXI an. Die Abkürzung NGT steht für Next Generation Train. Darunter fallen im DLR Konzepte und Technologien für den Schienenverkehr der Zukunft. In das Projekt fließt Know-how aus den Bereichen alternative Antriebe, Leichtbau, nachhaltige Werkstoffe, Fahrwerk, Klimatisierung, Automatisierung sowie Steuerung und Regelung. „Das NGT-TAXI beinhaltet nicht nur das Fahrzeug, also den Zug selbst, sondern auch ein neuartiges Betriebskonzept sowie die Zugleit- und Sicherungstechnik bei der Infrastruktur“, erklärt Dr. Jens König vom DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte. Dort koordiniert er die Aktivitäten zum NGT-TAXI-Fahrzeug.

Strecken wiederbeleben – mit neuem Ansatz

Seit den 1950er Jahren sind nach und nach rund 30 Prozent des deutschen Schienennetzes stillgelegt worden. Hier schlummert Potenzial: Häufig ist die Reaktivierung dieser Strecken möglich und vor allem im Vergleich zum Neubau oftmals deutlich weniger aufwändig.

Innenraumkonzept Gang
Barrierefrei und mit viel Stauraum: Der Innenraum des NGT-TAXIs ...
Innenraumkonzept Türbereich
... ist nah an den Anforderungen der Nutzenden im Regionalverkehr.

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und die Interessenvertretung Allianz pro Schiene schlagen die Wiederinbetriebnahme von fast 300 Strecken mit einer Länge von mehr als 4.500 Kilometern vor. Mehr als 300 Städte und Gemeinden – und damit 3,4 Millionen Menschen – könnten so wieder Anschluss ans Bahnnetz erhalten.

Beratungskonferenz
Von links: Dr. Gerhard Kopp, Dr. Jens König und Dr. Marco Münster beraten im Concept Lab des Instituts für Fahrzeugkonzepte über neue Ideen für das NGT-TAXI.

„Die Wiederinbetriebnahme muss sich auch wirtschaftlich lohnen. Es braucht neue Ideen. Was wir entwickeln, ähnelt den Schienenbussen, wie sie Eisenbahnfans aus den 1950er und 1960er Jahren kennen. Das NGT-TAXI ist eine hochmoderne Variante davon und bringt den Ansatz zurück in die Zukunft“, beschreibt Bahnexperte Jens König. Die DLR-Forschenden wollen nicht große, schwere und lange Züge einsetzen. Denn für sie müssten die Strecken wieder voll ausgebaut und umfassend mit Leit- und Sicherungstechnik ausgestattet werden. Stattdessen setzt das Team auf kleine, leichte und automatisiert fahrende Züge mit alternativen Antrieben. Das Design soll barrierefrei sein und viel Platz bieten, um Gepäck, Fahrräder und Kinderwagen unterzubringen.

Leicht, alternativ angetrieben und modular aufgebaut

Was die Auslegung des Wagenkastens, das Crashverhalten sowie die Leit- und Sicherheitstechnik betrifft, orientiert sich das NGT-TAXI auch am Straßenbahnsektor und an den dort existierenden Vorgaben und Zulassungsprozessen. Unter einem Wagenkasten versteht man die „Karosserie“ eines Zugs. Sie besteht aus Außenwänden, Boden, Dach und Stirnwänden. Um diese leicht zu gestalten, berechnen die Forschenden mittels Topologieoptimierung eine optimale Tragstruktur. Es wird nur dort steifes und schwereres Material eingesetzt, wo es aufgrund der statischen und dynamischen Belastungen, die auf den Wagenkasten wirken, erforderlich ist.

3D-Modell des NGT-TAXIs
Durch die modulare Bauweise lassen sich Länge und damit Kapazität des NGT-TAXIs flexibel an die Erfordernisse anpassen.

Angetrieben wird der futuristische Schienenbus klimaverträglich und lokal emissionsfrei mit Batterien oder Brennstoffzellen. Denn Nebenstrecken und stillgelegte Strecken haben meist keine Oberleitungen. Bis zu einer Reichweite von circa 100 Kilometern könnten Batterien ausreichen. Für längere Distanzen setzt das DLR auf Brennstoffzellen in Kombination mit kleineren Batterien. Letztere liefern die notwendige Energie für das Beschleunigen und speichern die beim Bremsen zurückgewonnene Energie. Für das Antriebskonzept sollen standardisierte Powerpacks entworfen werden. Abhängig von Fahrzeuggröße, Streckenprofil und Reichweite stecken dann eine oder mehrere dieser Antriebseinheiten im Zug.

Ein weiteres Merkmal des NGT-TAXIs: Fahrzeugstruktur und Antriebskonzept sind modular aufgebaut und lassen sich flexibel an die Gegebenheiten anpassen. Die kürzeste Variante des Zugs ist etwas über zehn Meter lang und verfügt über zwölf Sitzplätze. Die längste misst 17 Meter und hat 54 Sitzplätze. Möglich machen das miteinander kombinierbare Wagenmodule, die in größerer Stückzahl und damit kosteneffizient produziert werden können.

Ein Stück Zukunft in der Hand
Dr. Jens König mit einem Modell des NGT-TAXIs

Automatisiert unterwegs

Ein wichtiger Bestandteil des NGT-TAXIs ist sein automatisierter Betrieb. Die dafür notwendigen Systeme, Sensoren und Kameras sollen weitgehend ins Fahrzeug integriert werden, damit dieses so weit wie möglich unabhängig von der jeweiligen Schieneninfrastruktur ist. Aktuell sucht die Deutsche Bahn mehr als tausend Lokführerinnen und Lokführer. Soll wieder mehr Verkehr auf die Schiene zurückverlagert werden, wird sich dieser Mangel verschärfen. In Zeiten, zu denen Züge gering ausgelastet sind, ist der Mensch im Führerstand ein erheblicher Kostenfaktor. Automatisiertes Fahren bietet in beiderlei Hinsicht neue Möglichkeiten für die Schiene.

NGT-TAXI-Modell auf den Schienen
Je nach Zahl der Fahrgäste, kann die Größe angepasst werden.

Schon längere Zeit fahren U-Bahnen in abgeschlossenen Netzen automatisiert. Weitere Beispiele finden sich im Güterzugbereich. Was es noch nicht gibt, sind automatisierte Züge, die im Mischbetrieb unterwegs sind – also sich Strecken mit konventionell gesteuerten Fahrzeugen teilen. Denn automatisierte Züge müssen umfassend und eigenständig mit anderen Zügen, der Infrastruktur, dem Umfeld und den Fahrgästen interagieren. Zwar gibt es schon Kamera- und Fahrerassistenzsysteme, aber noch nichts, was einen sicheren, vollautomatisierten Betrieb ermöglichen würde. „Was notwendig sein wird, ist ein Remote-Arbeitsplatz in einer Leitstelle“, sagt Dr. Michael Meyer zu Hörste vom DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik. Er verantwortet die Arbeitspakete, die für den Betrieb des NGT-TAXIs wichtig sind. Dazu gehören die Automatisierung sowie die Leit- und Sicherungstechnik. „In außergewöhnlichen Situationen greift geschultes Personal ein, wenn die Automatisierung nicht mehr weiter weiß. Das wird ein komplett neues Arbeitsfeld sein, das erst entwickelt und erprobt werden muss.“

Bei NGT-TAXI profitieren wir von den Stärken des DLR: unserer interdisziplinären Kompetenz in den Ingenieurwissenschaften, der fachlich breiten Aufstellung und unserer Praxisnähe.

Prof. Tjark Siefkes, Direktor DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte

Flexibel und nach Bedarf im Einsatz

Eine Bedingung für die Wiederinbetriebnahme von Bahnstrecken ist die Wirtschaftlichkeit. Ebenso muss der Anschluss an bestehende Verbindungen gut koordiniert sein. Obwohl Machbarkeitsstudien in 75 Prozent der Fälle zu einem positiven Ergebnis gekommen sind, wurden in den letzten beiden Jahren weniger als zehn Kilometer reaktiviert – so eine Auswertung der Allianz pro Schiene und des VDV. Neue Betriebskonzepte, wie beim NGT-TAXI, können helfen, hier schneller voranzukommen. Sogar neue Strecken könnten erschlossen werden, die nach dem bisherigen Bewertungsverfahren im Betrieb unrentabel sind.

Bislang sind Züge nach einem festen Fahrplan unterwegs. „Für das NGT-TAXI entwickeln wir unterschiedliche Betriebskonzepte, beispielsweise für einen tageszeitabhängigen Taktbetrieb oder einen On-Demand-Betrieb, der vom tatsächlichen Fahrgastaufkommen abhängt. Aufgrund des automatisierten Betriebs ist das Fahrzeug rund um die Uhr einsatzbereit. Es fährt dann, wenn es benötigt wird, je nach Zahl der Fahrgäste in der entsprechenden Größe. So lassen sich Leerfahrten vermeiden, die Kosten für Betrieb und Instandhaltung senken und generell Ressourcen schonen“, erklärt Jens König. Bisher gibt es On-Demand-Angebote im Straßenverkehr vor allem als Zubringer, Ersatz oder Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr.

Willkommen in der NGT-Familie

Die NGT-Familie
In das NGT-Konzept fließen neuartige Technologien aus den Bereichen Antrieb, Aerodynamik, Leichtbau, Fahrwerk, Crashverhalten, Klimatisierung, Automatisierung, Steuerung und Regelung ein.

Unter dem Leitkonzept „Next Generation Train (NGT)“ entwickelt das DLR seine Vision, wie der Schienenverkehr der Zukunft als wesentlicher Teil einer auf Nachhaltigkeit und Kapazitätssteigerung ausgerichteten Mobilität aussehen könnte. Entstanden ist eine ganze Zugfamilie: Der NGT-HST (High-Speed Train) ist ein doppelstöckiger Hochgeschwindigkeits-Triebwagenzug mit Geschwindigkeiten von bis zu 400 Kilometern pro Stunde.Der NGT-LINK ist ein doppelstöckiger, interregionaler Zubringerzug. Er soll Städte untereinander und mit Ballungszentren verbinden. Der NGT-CARGO ist ein schneller, leiser und automatisiert fahrender Güterzug, der je nach Bedarf aus Einzelwagen und Triebköpfen zusammengestellt wird. So können Güter flexibel, ressourcenschonend, schnell und zuverlässig befördert werden. Das Leitkonzept NGT wächst weiter: mit Konzepten für zukunftsweisende Bahnhöfe und Logistikterminals sowie aktuell den Arbeiten für das NGT-TAXI.

Prototyp als großer Schritt

Erstmals im Rahmen der NGT-Forschungsprojekte plant das DLR, einen fahrfähigen Prototyp zu bauen und im Betrieb zu erproben. In der institutionellen Bahnforschung sind solche Demonstratoren im Realmaßstab selten. „Aus unseren Erfahrungen im Automotive-Bereich wissen wir, wie wichtig Prototypen für Forschung, Industrie und Öffentlichkeit sind. Denn ein Konzept wie das NGT-TAXI wird nur Erfolg haben, wenn die Menschen es auch nutzen wollen. Prototypen bieten hier die Möglichkeit zum Anfassen, Ausprobieren und Mitfahren“, fasst Prof. Tjark Siefkes, Direktor des DLR-Instituts für Fahrzeugkonzepte, zusammen.

Konzepte wie das NGT-TAXI sind aufgrund von Größe, Gewicht und Kosten ideal und relativ überschaubar. Vor allem angesichts der im Bahnbereich sonst üblichen Dimensionen: Ein ICE 4, wie er bei der Deutschen Bahn seit einigen Jahren eingesetzt wird, kostet mehr als 30 Millionen Euro, ist fast 400 Meter lang und hat eine Leermasse von rund 750 Tonnen. „Der Wissenszuwachs beim Aufbau und Testbetrieb eines solchen Prototyps ist enorm. Denn Technologien und Entwicklungen in diesem Fahrzeug zusammenzubringen und als Gesamtes zu erproben, das ist nochmal etwas ganz anderes als die Arbeit an einzelnen Komponenten oder die Simulation am Computer“, blickt DLR-Wissenschaftler Siefkes in die Zukunft und ergänzt: „Bei solchen Vorhaben profitieren wir von den Stärken des DLR: unserer interdisziplinären Kompetenz in den Ingenieurwissenschaften, der fachlich breiten Aufstellung und unserer Praxisnähe.“

Realisieren will das DLR-Team die kürzeste Variante des NGT-TAXIs mit einer Länge von knapp unter zehn Metern und einem Leergewicht zwischen 15 und 20 Tonnen. Die erste Version des NGT-TAXIs soll gleichzeitig als Versuchsträger dienen. Das heißt, es können Komponenten eingebaut oder getauscht werden, um weitere wissenschaftliche Projekte beim Transfer in die Praxis zu unterstützen. Dazu arbeiten Gruppen aus neun DLR-Instituten Hand in Hand. Weiteres Know-how und Feedback erhält das DLR aus der Zusammenarbeit mit 21 Projektbeteiligten aus Forschung und Industrie im „EU-Rail-Projekt FP6 – FutuRe“. Erste Unternehmen haben Interesse signalisiert, den Bau des Prototyps mit dem DLR voranzutreiben. „Unser großes Ziel wäre ein Forschungsbetrieb über einen längeren Zeitraum“, sagt Tjark Siefkes. Schon jetzt ist das Team dazu mit unterschiedlichen Regionen in Europa im Austausch und diskutiert geeignete Strecken.

Schwere Arbeit
DLR-Forscher vom Institut für Fahrzeugkonzepte montieren ein Rad an ein Fahrwerk.

Ein Artikel von Denise Nüssle aus dem DLRmagazin 175

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