Luftverteidigung der neuesten Generation
In den vergangenen Jahren hat sich die globale Sicherheitslage radikal verändert. Die Forderung nach einer besseren Luftverteidigung für Deutschland und Europa wurde laut. Dabei stellt sich die Frage, wie gut unsere Luftverteidigung ist und wie wir sie – angesichts neuer Bedrohungslagen – verbessern können? Um dies bewerten zu können und neue Technologien zu entwickeln, benötigt das Bundesministerium der Verteidigung die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die Maßgabe der Regierung: Die Forschung des DLR soll die Fähigkeit der Bundeswehr zur Analyse und Bewertung militärischer Fluggeräte sicherstellen und ausbauen.
Wie schnell, wie hoch, wie effizient, wie gut getarnt muss das Kampfflugzeug der nächsten Generation fliegen? Was muss es transportieren? Wie agil muss es sein? Bemannt oder unbemannt? Es sind solche Überlegungen und Fragen, mit denen sich Dr. Andreas Schütte vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik – gemeinsam mit vielen anderen DLR-Kolleginnen und -Kollegen – täglich befassen. Sie wissen: Die Luftverteidigung der Zukunft wird komplexer denn je. Mit geänderten Bedrohungsszenarien haben sich auch die Missionsarten und die Anforderungen an militärische Fluggeräte geändert. „Es geht für uns Forschende nicht darum, DAS EINE Kampfflugzeug oder DIE EINE Technologie zu entwickeln, sondern: Wir wollen unsere wissenschaftlichen Verfahren und Prozesse weiterentwickeln, damit das Bundesministerium mit unserer Expertise das Potenzial zukünftiger Fluggeräte untersuchen und beurteilen kann“, sagt Schütte.
Virtuelles Modell eines Kampfflugzeugs
Verfahren und Prozesse sind die Instrumente der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das reicht von der Entwicklung von Rechenverfahren oder Strukturmodellen über den Aufbau eines Rechennetzes bis zur Durchführung der Rechnung oder eines Experiments und nicht zuletzt der Auswertung der Ergebnisse. Gerade hat das DLR das große fachübergreifende Projekt Diabolo abgeschlossen. Darin haben die Forschenden einen virtuellen Demonstrator für ein Kampfflugzeug der Zukunft entworfen: den Future Fighter Demonstrator (FFD).
Schütte erklärt: „Wir gehen davon aus, dass der Luftnahkampf an Bedeutung verliert, da eine moderne Bewaffnung die Bekämpfung auf große Distanzen erlaubt. Daher werden die Flugleistungen im Überschall wichtiger, Agilität ist dennoch relevant, um die Überlebensfähigkeit zu verbessern“. Fluggeräte müssten das Einsatzgebiet schnell erreichen und nach dem Einsatz schnell wieder verlassen können. Militärische Flugzeuge müssen im Unter- und im Überschall fliegen können, zwischen 0 und 15 Kilometer Höhe, müssen enorm agil sein und Anstellwinkel bis zu 45 Grad erreichen.
Stabil, agil, vernetzt und unsichtbar
Je schneller und agiler ein Kampfflugzeug fliegt, desto kompakter muss es gebaut sein, desto höhere Belastungen müssen zum Beispiel die Flügel aushalten können. Eine Schlüsselrolle spielen die Triebwerke. Ihre Integration ist im militärischen Entwurf viel komplexer als im zivilen, denn sie müssen über einen weitaus größeren Geschwindigkeitsbereich betrieben werden können. Die Zuströmung der Triebwerke erfolgt über lange, verwundene Lufteinläufe, die in die Flugzeugzelle integriert sind, um die Sicht auf die rotierenden Triebwerkschaufeln zu minimieren.
Natürlich spielt auch die Beladung eine Rolle. Und ganz wichtig: Das Flugzeug soll möglichst spät auf feindlichem Radar erfasst werden. Auch hierzu wurden im Projekt Diabolo große Fortschritte gemacht. Untersucht wurden die Radar-, Infrarot- und Akustiksignaturen. Im Abgleich mit Windkanalexperimenten verbesserten die Forschenden ihre Simulationswerkzeuge.
Vernetzung, neue Informationstechnik und intelligente Datenverarbeitung, eine sichere echtzeitfähige Kommunikationstechnik – diese Kategorien spielen im Luftverteidigungssystem der Zukunft eine wesentliche Rolle. Im Nachfolgeprojekt WingMates geht es unter der Leitung von Dr. Andreas Schütte darum, nicht nur Einzelsysteme – wie im Projekt Diabolo – zu betrachten, sondern Flugzeuge im Verbund, also gekoppelte Systeme von Kampfflugzeugen. Schütte kennt die Anforderungen der Bundeswehr: „In Zukunft werden sich Luftstreitkräfte auf Kombinationen von digital vernetzten, teilautonomen, bemannten und unbemannten Plattformen stützen. Die Flugzeuge, die diese Anforderungen erfüllen, werden wir in WingMates untersuchen.“
Beteiligte am Projekt Diabolo
Aus der Forschung:
- DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik (Projektleitung)
- DLR-Institut für Aerolastik
- DLR-Institut für Antriebstechnik
- DLR-Institut für Flugsystemtechnik
- DLR-Insitut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme
- DLR-Institut für Systemdynamik und Regelungstechnik
- DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung
- DLR-Institut für Softwaretechnologie
- DLR-Institut für Systemleichtbau
- DLR-Institut für Systemarchitektur in der Luftfahrt
- Systemhaus Technik
- Deutsch-Niederländische Windkanäle (DNW)
Aus der Industrie:
Bemannte und unbemannte Einheiten werden kombiniert
Die Luftstreitkräfte in Europa müssen in absehbarer Zeit ihre Flugzeugflotten erneuern oder ersetzen. Das reicht von der Modernisierung bestehender Waffensysteme wie dem Eurofighter bis zur Einführung des Gemeinschaftsprogramms Next Generation Weapon System (NGWS).
Den Rahmen hierfür bildet das deutsch-französisch-spanische Programm FCAS (Future Combat Air System), Europas bedeutendstes multinationales Rüstungsvorhaben. Ziel von NGWS ist es, Lösungen für ein zukünftiges Luftverteidigungssystem zu finden, welches aus einer Kombination verschiedener fliegenden Einheiten besteht, die innerhalb eines Verteidigungssystems optimal miteinander agieren. Die Forschungsarbeiten von Andreas Schütte und seinen Kolleginnen und Kollegen aus zehn DLR-Instituten sowie mit Partnern aus der Industrie fließen hier ein.
Um das Verständnis aerodynamischer oder struktureller Wechselwirkung einzelner Komponenten am Flugzeug, deren Effekte und Strömungsphysik sowie die Vorhersage von Signatureigenschaften, die Entwicklung von Flugreglern und geeigneter Materialien und Bauweisen zu verbessern, gibt es in den Projekten auch Kooperationen mit der Industrie. „Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem DLR ist für uns eine hervorragende Möglichkeit, Phänomene wie den Einfluss komplexer Wirbelaerodynamik, Schwappeffekten im Flugzeugtank oder die Möglichkeiten zur Reduzierung von Lärmquellen am Flugzeug zur Verbesserung der Tarnung zu untersuchen und die Simulationswerkzeuge weiterzuentwickeln. Außerdem ist es unsere Chance, die Ergebnisse bestehender Methoden und Prozesse mit jenen unabhängig entwickelter Verfahren zu vergleichen“, sagt Wolfgang Pecher von Airbus Defence and Space, die ebenfalls an Diabolo beteiligt waren, und ergänzt: „Wir freuen uns bereits darauf, diese erfolgreiche Zusammenarbeit im WingMates-Projekt fortzusetzen.“
Die stets verbesserten wissenschaftlichen Fähigkeiten zu militärisch relevanten Technologien können im Verteidigungsfall entscheidend sein. Andreas Schütte ist überzeugt: „Auch in diesem Fall erfüllen wir als Forschende im erprobten engen Austausch unseren Auftrag, die Bewertungsfähigkeit des Verteidigungsministeriums zu gewährleisten, die Bundeswehr zu unterstützen und den Industriestandort Deutschland zu stärken.“
Weiterführende Links:
Projektwebseite Future Fighter Demonstrator
Ein Beitrag von Yvonne Buchwald aus dem DLRmagazin 175