Die riesige, „knittrige“ Aureole Lycus Sulci am Olympus Mons
- Lavaströme am Vulkan Olympus Mons ließen vermutlich Eis im Boden schmelzen, wodurch die Vulkanflanke instabil wurde.
- Felsstürze und Erdrutsche schoben sich hunderte von Kilometern ins Vorland und bilden dort eine charakteristische, „knittrige“ Landschaft.
- Heute bilden zum Teil über sieben Kilometer hohe steile Abbruchkanten den Fuß des Vulkans und legen seinen 600 Kilometer durchmessenden „Sockel“ frei.
- Schwerpunkte: Mars, Vulkanismus, Exploration des Sonnensystems, Raumfahrt
Kurz nach der Entdeckung des riesigen, 21,9 Kilometer hohen Schildvulkans Olympus Mons auf dem Mars durch die US-Raumsonde Mariner 9 im Jahr 1971 hatten Planetenforscher beobachtet, dass der Vulkan von einer Aureole aus einem charakteristisch gemusterten, „knittrigen“ Gelände umgeben ist. Das wellige, von langen Bergkämmen und dazwischenliegenden Tälern charakterisierte Gebiet erstreckt sich über Hunderte von Kilometern. Hier werden Bilder der größten, im Nordwesten des Vulkans gelegenen Aureole mit dem Namen Lycus Sulci gezeigt. Sie wurden am 18. Januar 2023 mit der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelten und vom DLR-Institut für Planetenforschung auf der ESA-Raumsonde Mars Express betriebenen Stereokamera HRSC aufgenommen.
Überbleibsel einer kollabierten Vulkanflanke
Die Bilder erzählen eine Geschichte vom katastrophalen Abbrechen und Abrutschen der unteren, mehrere tausend Meter hohen Flanken des Olympus Mons, die sich in ferner Vergangenheit ereigneten. PlanetenforscherInnen vermuten, dass die Rutschungen vor mehreren 100 Millionen Jahren durch große Mengen dünnflüssiger Lava ausgelöst wurden, welche die Flanken des Olympus Mons hinunterflossen. Diese Lavaströme lagerten sich vermutlich auf Gesteinsschichten ab, die große Wassermengen in Form von Eis enthielten, ähnlich wie in Permafrostböden auf der Erde. Die vulkanische Hitze ließ dieses Eis schmelzen, so dass die Randbereiche des Vulkans instabil wurden, abbrachen und somit große Massen an Gestein abrutschten.
Während des Bergsturzes brachen riesige Felstürme ab und die Gesteinsmassen rutschten von den unteren Hängen des Schildvulkans über Hunderte von Kilometern auf die umliegenden Vulkanebenen. Das charakteristische wellige Aussehen dieser Landschaft entstand vermutlich durch Komprimierung und Auseinanderziehen der Gesteinsmassen während sie ins Vorland geschoben wurden. Im Laufe der Zeit wurde dieser Effekt durch die Erosion von weniger widerstandsfähigem Material zwischen den Hügelkämmen noch verstärkt.
Die Hügel und Bergrücken sind außerdem von feinem Staub bedeckt. Einzelne Loben der Aureole können mehrere hundert Meter dick sein. Dort, wo sie sich überlagern, erreichen sie eine Mächtigkeit von mehr als 2.000 Metern. Außerdem deuten verschiedene Loben an, dass mehrere Kollapsereignisse stattgefunden haben. Zwei dieser Aktivitätsphasen sind auch auf den HRSC-Aufnahmen zu erkennen (siehe beschriftetes Bild). Hier wird die ältere Rutschung („Landslide Deposit 1“) von einer jüngeren Ablagerung („Landslide Deposit 2“) überdeckt, in der auch ein größerer Bruch („Fracture“) zu sehen ist. Lycus Sulci, „die Furchen Lykiens“ – benannt nach der Halbinsel Lykien im antiken Kleinasien, heute im Südwesten der Türkei gelegen – bilden ein besonders ästhetisches graphisches Muster, das in diesen HRSC-Aufnahmen mit Bildauflösungen von unter 20 Metern pro Bildpunkt gut zum Ausdruck kommt.
Bis zu sieben Kilometer hohe Abbruchkante
Noch heute weist der Fuß des Olympus Mons hohe Abbruchkanten auf, die sich teilweise bis zu sieben Kilometer über ihre Umgebung erheben. Vergleichbare Rutschungen, wenn auch in viel kleinerem Maßstab, sind auch von irdischen Vulkanen bekannt. So sind beispielsweise die Vulkaninseln von Hawaii und die Kanarischen Inseln im Ozean von Ablagerungen großer Felsstürze umgeben. Die große Ähnlichkeit der Marsvulkane mit ihren irdischen Pendants verschwindet allerdings, wenn man sich die Dimensionen der großen Marsvulkane ansieht. Der Olympus Mons ist mit einer Höhe von 21,9 Kilometern im Verhältnis zu seiner Umgebung und einem Durchmesser von 600 Kilometern der größte und höchste Berg im Sonnensystem.
Ein weiteres Beispiel: Der 8,2 Kilometer große Yelwa-Krater, der im rechten (nördlichen) Teil der HRSC-Aufnahme zu sehen ist, liegt unglaubliche 1.050 km nordwestlich der Caldera des Olympus Mons (die in den hier veröffentlichten Bildern nicht zu sehen ist).
Bildverarbeitung
Die Bilder wurden von der HRSC (High Resolution Stereo Camera) am 18. Januar 2023 während Mars-Express-Orbits 24.056 aufgenommen. Die Bodenauflösung beträgt etwa 19 Meter pro Pixel. Das Bild ist auf 212 Grad Ost und 28 Grad Nord zentriert. Das Farbbild wurde aus den Daten des Nadirkanals, des senkrecht zur Marsoberfläche ausgerichteten Sichtfelds, und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Die schrägen perspektivischen Ansichten wurden aus dem digitalen Geländemodell, dem Nadirkanal und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Das Anaglyphenbild, das bei Betrachtung mit einer Rot/Blau- oder Rot/Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal abgeleitet. Die farbkodierte topografische Ansicht basiert auf einem digitalen Geländemodell (DGM) der Region, aus dem sich die Topografie der Landschaft ableiten lässt. Der Referenzkörper für das HRSC-DTM ist eine Mars-Äquipotentialfläche (Areoid).
HRSC ist ein Kameraexperiment, das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt wurde und betrieben wird. Die systematische Auswertung der Kameradaten fand am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof statt. Die Arbeitsgruppe Planetenforschung und Fernerkundung der Freien Universität Berlin hat die Daten zu den hier gezeigten Bildprodukten verarbeitet.
Verwandte Links
Das HRSC-Experiment auf Mars Express
Die High Resolution Stereo Camera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern gebaut (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Das Wissenschaftsteam unter Leitung des Principal Investigators (PI) Dr. Thomas Roatsch vom DLR-Institut für Planetenforschung besteht aus 50 Co-Investigatoren, die aus 35 Institutionen und zehn Nationen stammen. Die Kamera wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben.
Diese Bilder in hoher Auflösung und weitere Bilder der HRSC finden Sie in der Mars Express-Bildergalerie auf flickr.