19. Februar 2021 | Erste Oberstufe der Ariane 6 erfolgreich in Prüfstand integriert

Präzisionsarbeit mit sieben Tonnen am Haken

  • Premiere am DLR-Standort Lampoldshausen: Erste Oberstufe der Ariane 6 erfolgreich in Prüfstand P5.2 integriert.
  • Zwei Kräne hoben die sieben Tonnen schwere Oberstufe an und richteten sie auf.
  • Erfolgreiche Maßarbeit: 420 Bohrlöcher in Oberstufe und Montagering passen exakt aufeinander.
  • Schwerpunkt: Raumfahrt

Zwischen den Bäumen des Harthäuser Walds rund um den DLR-Standort Lampoldshausen hängt Nebel. Es ist Faschingsdienstag und der Standort eigentlich geschlossen. Doch am frühen Morgen des 16. Februars 2021 herrscht rege Betriebsamkeit. Vor dem neuen Prüfstand P5.2 steht eine Handvoll Leute in dicken Jacken, Helmen und Sicherheitswesten. Der Tag ist reserviert für eine Premiere. Deren Star wartet geduldig in seiner Behausung auf den ersten großen Auftritt am DLR: In einem 57 Tonnen schweren Spezialcontainer befindet sich das erste Exemplar der Oberstufe der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6. Mit diesem „Hot Firing-Model“ führt das DLR in den nächsten Monaten Betankungs- und Heißlauftests durch. Gefertigt im Bremer Werk der ArianeGroup hat sich die Oberstufe am 29. Januar 2021 per LKW und Schiff auf den Weg in den Südwesten gemacht. In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar bewältigte sie die letzten 25 Kilometer auf der Straße als Schwerlasttransport – von der Anlegestelle in Bad Wimpfen zum DLR in Lampoldshausen.

„Sesam öffne dich“ für Raketenfans

„Die Stufe wird aus dem Container rausgefahren, mit Hilfe zweier Kräne aufgerichtet, in den Prüfstand gehoben und dann auf einem Montagering befestigt“, beschreibt Anja Frank, Leiterin der Abteilung Versuchsanlagen am DLR-Institut für Raumfahrtantriebe, die Vorgehensweise. „Wir sind es gewohnt, große und komplizierte Triebwerke zu handhaben. Aber das ist heute eine ganze Stufe und nicht nur das Triebwerk selbst. Auch die ganzen Tanks und der Onboard-Computer sind dabei. Wir testen also das Gesamtsystem – und das ist schon etwas Besonderes für uns.“ Am Tag zuvor hat Anja Frank mit ihrem Team und den Kollegen des Raketenherstellers ArianeGroup letzte Vorbereitungen getroffen und alle Prozeduren durchgesprochen. Noch liegt in Lampoldshausen der Schnee der letzten kalten Tage. Deshalb heißt es zunächst: Container abkehren und den Bereich vor dem Prüfstand frei machen.

Um 8.45 Uhr öffnen sich die Türen des Containers. Zum Schutz vor Feuchtigkeit spannt das Team gleich eine schwarze Schutzfolie davor. Denn solange keine Nutzlast über der Oberstufe befestigt ist, mag sie überhaupt keine Feuchtigkeit. Deshalb ist der Hightech-Transportcontainer mit einem Trockenluftsystem ausgestattet. Es hat die Oberstufe auf ihrer Reise trocken gehalten. Der nächste Schritt: die Montage von zwei weißen Metallschienen auf dem Boden. Diese gilt es exakt vor dem Container zu positionieren, um die Stufe auf ihnen herauszuschieben. Doch ein Anschlussstück, das die Schiene mit dem Transportbehältnis verbinden soll, passt noch nicht ganz. Es ist 11.30 Uhr. Die DLR-Werkstatt tüftelt an einer Lösung. Das restliche Team wärmt sich bei einer frühen Mittagspause auf.

Ein Star am Haken: erste Oberstufe der Ariane-6-Rakete

Zur Mittagszeit blinzelt die Sonne durch die Wolken und um 13 Uhr geht es schließlich los. Das Anschlussstück ist zurück aus der Werkstatt. Nach etwas Fräsarbeit passt alles exakt. Die Schutzfolie wird gelöst. Zwei Mitarbeiter der ArianeGroup bedienen die Kurbeln und langsam schiebt sich die Oberstufe aus dem Container auf die Schienen. Als nächstes werden zwei gelbe Traversen montiert. An ihnen werden die Kranseile befestigt, welche die Oberstufe anheben und kippen: am oberen Ende der in den Prüfstand integrierte Kran, am unteren Ende ein Spezialkran der Firma Scholpp. Um 14.50 Uhr hängt die Oberstufe erstmals an beiden Kränen und schwebt in der Horizontalen vor dem P5.2. Um sie aufzurichten, setzen die Kranführer in einer koordinierten Aktion die Oberstufe zunächst auf einer ringförmigen Stahlkonstruktion ab, dem sogenannten Handling-Ring. Er ist genauso wie die Schienen eine Spezialanfertigung, die gemeinsam mit dem Transportcontainer die lange Reise von Bremen nach Lampoldshausen absolviert hat. Dann ist wieder Geduld gefragt: Der Ring, an dem die untere Traverse mit 420 Schrauben verankert ist, muss zunächst abmontiert werden. Zwei Mitarbeiter auf Hebebühnen schrauben, was das Zeug hält.

Ab ins neue Domizil

Um 17.45 Uhr geht es für alle weiter. „Ganz langsam hoch“, lautet das Kommando an Christoph Schmid, Prüfstandsmeister am P5.2. Mittels Fernbedienung steuert er den Kran des Prüfstands, an dem die Oberstufe nun allein hängt. Schmid steht unter der Stufe, läuft um sie herum, den Blick konzentriert auf den Star des Tages gerichtet. „Bei mir sieht’s gut aus!“ – „Bei mir auch!“ schallt es durch die inzwischen wieder kalte Luft. Zentimeter für Zentimeter hebt sich die Oberstufe vom Handling-Ring. Dann geht es auf einmal richtig schnell nach oben, Christoph Schmid gibt Gas. Währenddessen steht Prüfstandsleiter Daniel Leiß auf dem Platz vor „seiner“ Testanlage und blickt abwechselnd in die Prüfstandszelle und zur Oberstufe am Haken. „Es könnte schon eng werden, im Prüfstand ist schon einiges an Equipment montiert und wartet nur noch auf die Oberstufe.“ Das schwindende Tageslicht gibt dem Ganzen eine Atmosphäre wie aus einem Science-Fiction-Film. Aus dem Prüfstand kommen weitere Kommandos für Kranführer Schmid: „Weiter ran! Sieht gut aus!“ Kurz nach 18 Uhr hängt die Oberstufe mittig im Tor des P5.2. Unten hat sie nur wenige Zentimeter Abstand zur Brüstung des Sicherheitsgeländers. Nur noch ein paar Meter, bis alles unter Dach und Fach ist. Zunächst legen alle noch eine letzte kleine Pause ein. Da der Kran extrem langsam fährt, benötigt er ab und an etwas Zeit zum Abkühlen.

Fünf Minuten später schweben die sieben Tonnen weiter durch die kalte Abendluft – surreal, leise und wie schwerelos. Die Endposition über dem Montagering ist erreicht. Auch hier werden 420 Schrauben dafür sorgen, dass die Oberstufe fest sitzt. Doch davor ist wieder Präzisionsarbeit gefragt: Sie muss so abgesetzt werden, dass die Bohrungen auf beiden Seiten – der Oberstufe und dem Montagering – exakt aufeinanderpassen. Langsam senkt sich die Last hinab, gefolgt von vielen konzentrierten Augenpaaren und weiteren Anweisungen. 18.21 Uhr: noch gut ein Meter. „Sieht gut aus“, kommt es von allen Seiten. „Weiter geht’s!“ Christoph Schmid läuft um die Oberstufe und schaut sich seine bisherige Maßarbeit an. Inzwischen hat sich das Team in gleichmäßigen Abständen rund um den Montagering verteilt. Die Oberstufe schaukelt etwas. Noch vier, drei, zwei Zentimeter. Kurz vor dem Absetzen bricht Betriebsamkeit aus. Jeder schaut gebannt auf seinen Abschnitt und vergewissert sich bei den Kollegen links und rechts. Passt dort auch alles? Erste Einfädeldochte kommen zum Einsatz, um die Position der Löcher zu fixieren. Dann sitzt die Oberstufe exakt auf dem Montagering und erste Schrauben werden gesteckt. Auf die Frage nach dem Geheimnis dieser Punktlandung sagt Daniel Leiß mit einem Lächeln auf den Lippen: „Wir haben natürlich vorher ein bisschen gerechnet und gut gemessen.“ Aber auch die Kälte könnte geholfen haben, dass beide Teile so exakt zusammenkommen: Wäre es wärmer gewesen, hätte es zu größeren Problemen kommen können, weil sich das Aluminium der Oberstufe und der Stahl des Montagerings unterschiedlich stark ausdehnen. Obwohl der Tag schon lang ist, werden noch weitere Schrauben gesteckt und die ersten festgezogen. Kurz nach 19 Uhr legt das Team das Werkzeug weg. Die restlichen rund 400 Schrauben warten auch bis morgen. Sie sorgen dafür, dass die Oberstufe stabil in der Prüfstandszelle verankert ist und nicht schon bei den Tests abhebt, sondern erst vom Startplatz in Kourou.

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