Start-up-Power für die Wärmewende
Philip Groesdonk, Luis Blanco und Larissa Singer haben eine Mission: Mit ihrem Start-up heatbrAIn wollen sie den Umstieg auf erneuerbare Wärme voranbringen. Dazu erstellt das Trio mithilfe künstlicher Intelligenz sehr präzise Datensätze – eine in dieser Form bisher einzigartige Dienstleistung. Auf Basis dieser Daten lassen sich kommunale Wärmepläne besser aufsetzen und Wärmenetze schneller realisieren.
Ob Heizen, Warmwasser oder Industrieprozesse – mehr als die Hälfte der in Deutschland verbrauchten Energie wird eingesetzt, um Wärme zu erzeugen. Der Wärmesektor trägt so zu fast 40 Prozent des nationalen CO2-Ausstoßes bei. Denn Wärme wird immer noch zum Großteil mittels fossiler Brennstoffe wie Gas und Öl produziert. Wenn Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden möchte, steht auch der Wärmesektor vor einem grundlegenden Wandel. Der Begriff Wärmewende beschreibt den Prozess, die Wärmeversorgung auf erneuerbare Ressourcen umzustellen, zukunftssicher, verlässlich und bezahlbar zu machen. Gleichzeitig wird Deutschland so weniger abhängig von immer teureren Energieimporten.
Mit präzisen Daten und KI-Unterstützung zum Erfolg
Damit die Wärmewende gelingt, benötigen Kommunen, Planungsbüros und Betreiber von Wärmenetzen umfangreiche und präzise Daten. Oder einfach gesagt: Sie müssen wissen, wer wann und wo wie viel Wärme braucht. Genau hier setzen wir mit heatbrAIn an“, beschreibt das Dreierteam seine Geschäftsidee. Philip Groesdonk und Luis Blanco haben sich am DLR-Institut für Solarforschung in Jülich kennengelernt. Dort arbeiten beide an ihrer Promotion. Larissa Singer stieß als drittes Teammitglied im November 2023 dazu. Frisch von der Universität und mit einem Masterabschluss in Betriebswirtschaftslehre kümmert sie sich in dem jungen Unternehmen vor allem um die Bereiche Administration, Marketing, Finanzen und Vertrieb. Mit Unterstützung des Institutsleiters Prof. Bernhard Hoffschmidt – der selbst schon einige Firmen gegründet und so Forschung in die Anwendung gebracht hat – sowie ihres Gruppenleiters Jacob Estevam Schmiedt haben die drei im Frühjahr 2024 die DLR-Ausgründung heatbrAIn ins Leben gerufen. Der Name setzt sich aus den englischen Begriffen für Wärme (heat) und Gehirn (brain) zusammen. Die beiden Großbuchstaben AI stehen im Englischen für den Begriff Artificial Intelligence, auf Deutsch künstliche Intelligenz. Sie spielt beim Sammeln und Auswerten der Daten eine zentrale Rolle.
Kommunale Wärmeplanung als deutschlandweite Herausforderung
Anfang 2024 ist das „Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze“ in Kraft getreten. Es hat die rechtliche Grundlage für eine flächendeckende Wärmeplanung in ganz Deutschland geschaffen. Die Aufgabe, eine solche Planung durchzuführen, liegt in den meisten Bundesländern bei den Kommunen. Sie sollen festlegen, welche Gebiete auf welche Weise mit Wärme versorgt werden und wie dabei erneuerbare Energieformen sowie vorhandene Abwärme genutzt werden können.
Einige Kommunen, meist größere Städte, verfügen bereits über eine Wärmeplanung, viele andere haben entsprechende Vorhaben gestartet. Für die kommunale Wärmeplanung reichen oft jährliche Daten. Im Vordergrund steht die Frage, wie sich die Wärmeversorgung überhaupt umstellen lässt. „Geht es konkret um den Aufbau oder Ausbau von Wärmenetzen, sind wesentlich genauere Daten notwendig“, erklärt Philip Groesdonk. „Man muss sich den Bedarf übers Jahr viel besser anschauen, vor allem den Unterschied zwischen dem Sommer und der Heizsaison. Außerdem benötigt man Informationen darüber, welche Abnehmer es vor Ort gibt und welchen Wärmebedarf sie haben. Zum Beispiel unterscheiden sich die Anforderungen zwischen Wohn-, Gewerbe- und Industriegebieten. Auch das Alter von Gebäuden und ihr energetischer Zustand sind wichtig.“ Bisher war es sehr aufwendig, alle diese Daten aus unterschiedlichen Quellen zu recherchieren und aufzuarbeiten.
Unsere Zielgruppe sind vor allem Kommunen, Planungsbüros und Betreiber von Wärmenetzen wie Stadtwerke. Kundinnen und Kunden müssen uns lediglich das Gebiet angeben, für das sie Daten benötigen. Dann können wir in der Regel innerhalb von wenigen Tagen die entsprechenden Datensätze liefern.
Schnell und automatisiert zu wissenschaftlich fundierten Datensätzen
Für Groesdonk und Blanco war diese Herausforderung der Einstieg in die Unternehmensgründung: Im Rahmen ihrer Forschungen und Doktorarbeiten beim DLR im Bereich Energietechnik haben sie gemeinsam eine spezielle Software entwickelt: Sie führt automatisiert alle vorhandenen offenen Datenquellen zusammen, zum Beispiel dreidimensionale Gebäudemodelle der Landesvermessungsämter. Eine ebenfalls selbst programmierte und trainierte künstliche Intelligenz ergänzt fehlende Daten. Auf diese Weise kann heatbrAIn den Wärmebedarf für ein bestimmtes Gebiet bis hin zu stündlichen Angaben genau berechnen. In die Software – das Kernstück der DLR-Ausgründung – sind viel Wissen, Zeit und Mühe geflossen. Die beiden DLR-Forscher optimieren sie weiter, aktuell mit Erfahrungen aus Pilotprojekten.
Unsere Software deckt den gesamten Prozess – vom Zusammenstellen der Daten bis zur Ausgabe der Ergebnisse – selbstständig ab. Die KI ist dabei zum Beispiel für das Ermitteln des Baualters zuständig. Angaben dazu liegen nur gerastert vor, also für mehrere Gebäude zusammengefasst. Unsere KI löst diese Zusammenfassung wieder auf. So können wir valide Annahmen zum Alter und damit zum energetischen Zustand einzelner Gebäude treffen. Ansonsten nutzt die Software hauptsächlich offizielle Geodaten und ergänzt diese bei fehlenden Informationen mit Daten des Kartendienstes OpenStreetMap“, beschreibt Luis Blanco. „Wichtig ist dabei, dass unsere Software nicht den exakten Wärmeverbrauch, sondern den Wärmebedarf auf Basis bestimmter Annahmen berechnet.“ Die Erfahrungen aus diesen Projekten mit Testkundinnen und -Kunden haben gezeigt, dass die tatsächlichen Verbrauchsdaten mit den von heatbrAIn ermittelten Bedarfsdaten schon sehr gut übereinstimmen.
Oft geht es bei der Umsetzung der Wärmewende um Maßnahmen, welche die Menschen und Unternehmen vor Ort direkt betreffen. Werden Entscheidungen dazu auf Grundlage fundierter Daten getroffen, verbessert das auch ihre Akzeptanz.
Mehr als nur Zahlen: Einblick in Annahmen und Methoden für bessere Transparenz
„Unsere Zielgruppe sind vor allem Kommunen, Planungsbüros und Betreiber von Wärmenetzen wie Stadtwerke“, erläutert Larissa Singer. „Unsere Kundschaft muss uns lediglich das Gebiet angeben, für das sie Daten benötigen. Dann können wir in der Regel innerhalb von wenigen Tagen die entsprechenden Datensätze liefern. Zusätzlich bekommen unsere Klientel auch eine Dokumentation, welche Daten in die Modellierung eingeflossen sind und auf welche Annahmen und Berechnungen sich die Ergebnisse stützen“, so Singer weiter. Auf diese Weise will das junge Unternehmen Transparenz und Verständnis fördern. „Oft geht es bei der Umsetzung der Wärmewende um Maßnahmen, welche die Menschen und Unternehmen vor Ort direkt betreffen. Werden Entscheidungen dazu auf Grundlage fundierter Daten getroffen, verbessert das auch ihre Akzeptanz“, ist sich Philip Groesdonk sicher. Das Start-up will nicht nur einen Datensatz liefern, sondern seine Kundengruppe auch über einen längeren Zeitraum begleiten. So können auch kurzfristig und im laufenden Prozess noch weitere Daten einfließen.
Umfangreiche Unterstützung für den erfolgreichen Start als DLR-Ausgründung
Seit März 2024 ist heatbrAIn eine im Handelsregister eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Im Herbst steht ein weiterer wichtiger Schritt an: Ab dann muss die Ausgründung finanziell auf eigenen Füßen stehen und sich durch erste Kundenaufträge finanzieren. Die Akquise läuft dafür auf Hochtouren. Auch der räumliche Auszug aus dem DLR in Jülich ist schon geschafft. Ein neues Zuhause hat das Team im nahegelegenen Brainergy Park Jülich gefunden. Dort kommen Unternehmen, vorwiegend aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, zusammen.
In der Aufbauphase hat sich das Start-up vorwiegend über das Ausgründungsprogramm Helmholtz Enterprise finanziert. Dieses fördert die unternehmerische Tätigkeit und Ausgründungsaktivitäten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, zu denen auch das DLR gehört. Zusätzlich unterstützte der DLR-Vorstandsbereich Innovation die junge Firma dabei, Marktanalysen durchzuführen, sich für ein Geschäftsmodell zu entscheiden und einen Businessplan aufzustellen. Auch die Vernetzung und der Austausch mit anderen Ausgründungen und bereits erfolgreichen Start-up-Firmen war dabei eine Hilfe. „Vor allem in der ersten Phase der Unternehmensgründung hat uns diese Unterstützung in finanzieller wie organisatorischer Hinsicht Sicherheit gegeben. Für eine Gründung sollte man trotzdem eine gewisse Risikofreudigkeit mitbringen“, blickt Larissa Singer zurück.
Erste Erfolge als Ansporn für den weiteren Weg
Für seine bisherige Arbeit hat heatbrAIn bereits eine Auszeichnung erhalten: den mit 32.000 Euro dotierten „Gründungspreis+“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Dort gehörte die DLR-Ausgründung zu den sechs Gewinnern unter mehr als 200 Teilnehmenden. Erste Erfolge wie dieser sind wichtig, weil sie das Team weiter zusammenschweißen und motivieren. „Vieles war und ist für uns komplett neu. Wir arbeiten uns in die unterschiedlichsten Bereiche ein. Das braucht Zeit und kann schon mal zu etwas stressigeren Tagen und Nächten führen“, bilanziert Philip Groesdonk. Gleichzeitig schätzen sie die große Freiheit sowie das selbstbestimmte Arbeiten und freuen sich über steile Lernkurven. „Als Berufseinsteigerin hätte ich mir vieles davon vor ein paar Monaten noch nicht zugetraut“, erinnert sich Larissa Singer, die nach dem Studium direkt bei heatbrAIn einstieg. „Es ist außerdem schön zu sehen, dass wir aus der Forschung kommend etwas entwickeln und ein Unternehmen auf die Beine stellen können, das den Transfer in die Praxis vollzieht und konkrete Projekte für die Wärmewende vor Ort unterstützt“, sind sich Groesdonk, Blanco und Singer einig.
Alter: 32
Heimat: Köln
Promoviert im DLR über: energetische Analyse von Bestandsgebäuden mit Fernerkundungsdaten
Wollte als Kind werden: Archäologe
Kann laut seinen Teamkollegen besonders gut: strukturiert Sachen angehen, eine Menge an Informationen augenblicklich aufnehmen und verarbeiten
Denkt beim Stichwort „Wärme“ als Erstes an: Geborgenheit
Alter: 27
Heimat: Mönchengladbach
Wollte als Kind werden: Polizistin oder Walforscherin
Kann laut ihren Teamkollegen besonders gut: den Überblick behalten, auf Details achten
Denkt beim Stichwort „Wärme“ als Erstes an: Sommer
Alter: 29
Heimat: Bogotá in Kolumbien, seit 2018 fürs Studium in Deutschland
Promoviert im DLR über: energetische Analyse von Gebäuden und Quartieren unter Verwendung verfügbarer großflächiger Daten
Wollte als Kind werden: Astronaut
Kann laut seinen Teamkollegen besonders gut: einfach mal machen, Ruhe bewahren
Denkt beim Stichwort „Wärme“ als Erstes an: Sommerferien
Ein Beitrag von Denise Nüssle aus dem DLRmagazin 176