Saubere Leistung
Gasturbinen können Zeiten der Flaute und der Dunkelheit bei den erneuerbaren Energien ausgleichen, die Netze stabilisieren und damit einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten – wenn sie mit Wasserstoff oder anderen nichtfossilen Brennstoffen laufen. Der Bau neuer Kraftwerke dauert jedoch Jahre. Die Umrüstung von bestehenden Anlagen könnte ein wichtiger Hebel sein, um die Energiewende zu beschleunigen. Ein Team des DLR-Instituts für Verbrennungstechnik hat nun gemeinsam mit dem Dienstleister Power Service Consulting GmbH (PSC) erstmals eine Mikrogasturbine komplett umgerüstet und am DLR-Standort Lampoldshausen mit grünem Wasserstoff getestet.
Die Tugend der Energiewende heißt Beharrlichkeit. Denn bis ganz Deutschland mit Strom und Wärme ohne fossile Energieträger versorgt werden kann, sind noch viele kleine und größere Probleme zu lösen. Dr. Martina Hohloch und Timo Lingstädt vom DLR-Institut für Verbrennungstechnik und Tze-Yeung Cheung, Betriebsleiter bei der Firma Power Service Consulting GmbH (PSC), kennen diese Herausforderung – sie arbeiten im Projekt Retrofit H2, das vom Umweltministerium Baden-Württemberg mit mehr als 900.000 Euro gefördert wird, seit zwei Jahren an der Umrüstung einer Mikrogasturbine für den Betrieb mit reinem Wasserstoff sowie Mischungen aus Erdgas und Wasserstoff.
Erste umgerüstete, kommerzielle Gasturbine
An einem windigen Frühsommertag am DLR-Standort Lampoldshausen ist es endlich so weit: Der Prototyp soll mit reinem Wasserstoff unter voller Leistung laufen. Während jenseits des Hügels ohrenbetäubendes Getöse von einem der Raketenprüfstände zu hören ist, sitzt Martina Hohloch vor einem unscheinbaren grauen Kasten, halb so groß wie ein Schiffscontainer. Darin stecken zwei Jahre harte Arbeit. Es ist die erste kommerzielle Gasturbine, die erfolgreich für den Betrieb mit reinem Wasserstoff umgerüstet worden ist. Die Anlage von Ansaldo Green Tech Spa verfügt über 100 Kilowatt elektrische Leistung.
Mikrogasturbinen dieser Größe werden häufig in Brauereien, Krankenhäusern und Hotels eingesetzt, um Strom und Wärme zu erzeugen. Martina Hohloch und ihr Team haben nicht nur die bisherige Brennkammer der Mikrogasturbine durch eine am Institut entwickelte neue Version ersetzt, die wasserstofftauglich ist, sie haben die Anlage auch komplett für die Nutzung mit dem hochreaktiven Brennstoff umgerüstet: Dank einer modifizierten Steuerung und einem vorgeschalteten brennstoffflexiblen Regel-, Misch- und Verteilungssystem von der Firma PSC stellt sich die Mikrogasturbine jetzt auf verschiedene Brennstoffe ein. Zu Beginn des Projekts hat das Team mehrere Konzepte für Gasturbinen unterschiedlicher Größe untersucht und verglichen, wie eine Umrüstung – ein sogenannter Retrofit – jeweils aussehen könnte. Die beste Lösung wurde dann im Prototyp in Lampoldshausen umgesetzt. „Das Zusammenspiel dieser Komponenten war eine echte Herausforderung“, sagt Tze-Yeung Cheung.
Das H2-Container-Technikum bietet viele Vorteile
Dass sich die Stuttgarter Forschenden für Lampoldshausen entschieden, hat einen guten Grund: Das Institut für Raumfahrtantriebe bietet mit dem neuen H2-Container-Technikum optimale Bedingungen für Tests mit grünem Wasserstoff. Der Elektrolyseur, der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet, steht nur einen Steinwurf entfernt von der Turbine. Für die Produktion des Wasserstoffs wird der Strom aus dem benachbarten ZEAG-Windpark im Harthäuser Wald genutzt. „Grüner geht's nicht“, sagt Martina Hohloch und blickt zu den Windrädern hinüber.
Dabei waren die letzten Wochen kein Spaziergang für das Team. Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen, ein Mangel an Handwerkern oder fehlende Zertifizierungen waren Probleme, die es zu lösen galt. „Wir haben alle unterschätzt, wie komplex es ist, Teile zu finden, die sich auch für den Betrieb mit Wasserstoff eignen“, sagt Martina Hohloch. „Es findet sich in der Technik zwar immer eine Lösung“, sagt auch Tze-Yeung Cheung und ergänzt: „aber die Frage ist, wie kompliziert diese Lösung aussieht.“ Leider hakt es auch an diesem Morgen. Woran es fehlt, soll eine Telefonkonferenz mit dem Hersteller Ansaldo Green Tech klären.
Umrüsten statt neu bauen
Viele Gasturbinen sind bereits in der Lage, Gasgemische mit bis zu einem Volumendrittel Wasserstoff zu verbrennen. Die hohe Kunst aber besteht darin, mit derselben Anlage sowohl Gemische als auch reinen Wasserstoff zu nutzen und beides so emissionsarm wie möglich verbrennen zu können. Weil Wasserstoff hochreaktiv ist und bei anderen Temperaturen verbrennt als Erdgas, ist ein solcher Mischbetrieb nicht einfach. Gasturbinen, die heute entwickelt werden, schaffen das. Aber nicht alle heute in Deutschland laufenden Anlagen – mit in der Summe etwa 35 Gigawatt Leistung – können gegen neue ausgetauscht werden. Das wäre eine gigantische Investition.
„Der Aufbau eines neuen Gasturbinenkraftwerks mit 15 Megawatt Leistung dauert etwa sechs Jahre und kostet 30 Millionen Euro – die Umrüstung einer Bestandsanlage dauert dagegen nur eineinhalb Jahre und kostet ein Zehntel dieser Summe“, veranschaulicht Dr. Peter Kutne, Leiter der Abteilung Mikrogasturbinen am Institut für Verbrennungstechnik. „Da wird der Hebel deutlich, den das Retrofitting bietet.“ Könnte man die bereits laufenden Kraftwerke umrüsten, zumindest zum Teil, wäre das nicht nur eine enorme Ersparnis, es könnte die Energiewende auch entscheidend beschleunigen.
Geschäftsvorteil Brennstoff-Flexibilität
Bisher haben die Firmen, die Gasturbinen herstellen, wenig Interesse gezeigt, Zeit in die Entwicklung eines Retrofit-Konzepts zu investieren. Sie verdienen mehr mit dem Verkauf neuer Anlagen. Es sind Dienstleister wie PSC aus Sankt Leon-Rot, die im Retrofit ein Geschäftsmodell sehen. „Für uns ist eine solche Umrüstung eine Eigenschöpfung. Natürlich verwenden wir vorgefertigte Teile, aber am Ende steht ein neues Modell, dessen Nutzungsmöglichkeiten viel breiter gefächert sind als zuvor“, sagt Tze-Yeung Cheung. Aus seiner Sicht liegt der größte Vorteil in der Brennstoffflexibilität. Sie ermöglicht es beispielsweise Brauereien oder Kläranlagen, auch Gase zu verbrennen, die als Abfallprodukt entstehen. Denn bis das Wasserstoffnetz in Deutschland steht, wird es noch dauern. Den Aufbau dezentraler Kraftwerkssysteme hält er deshalb für einen guten Einstieg in die Nutzung von Wasserstoff.
Stabilisierte Verbrennung mit weniger Flammenrückschlägen
Die Forschenden vom Institut für Verbrennungstechnik haben den Brenner von diesem Brennstoff aus gedacht. „Wir wollten zunächst einmal eine gute Wasserstoffverbrennung erreichen“, erklärt der Luft- und Raumfahrttechniker Timo Lingstädt, der im Projekt für die Optimierung der Brennkammer zuständig war. Dafür hat er einen neuen Brenner eingebaut, der auf dem Konzept der jetstabilisierenden Verbrennung basiert. Dieses wird am Institut schon seit längerem für die Wasserstoffverbrennung optimiert. Anders als bei den in der Industrie üblichen Drallbrennern wird der Brennstoff hier durch axiale Jets mit hohen Geschwindigkeiten eingeleitet. „Der hohe Impuls sorgt für eine starke Rezirkulation in der Brennkammer und führt zu einer intensiven Vermischung des verbrannten Gases mit dem frischen Brennstoff-Luft-Gemisch“, erklärt Martina Hohloch. „Das stabilisiert die Flamme sehr effektiv.“ Die hohen Eintrittsgeschwindigkeiten mindern vor allem das Risiko für Flammenrückschläge. Sie sind gefürchtet, weil sie große Schäden verursachen – bei einer großen Industriegasturbine können allein der Ausfall und die anschließende Wartung nach einem solchen Flammenrückschlag Millionen kosten.
Premierenbetrieb mit reinem Wasserstoff
An diesem Morgen ist die Anspannung groß. „Es ist das eine, ob die Turbine überhaupt hochläuft“, sagt Hohloch. „Und das andere, ob sie die richtigen Temperaturen und Sollwerte erreicht, die im Betrieb vorgesehen sind.“ An diesem Tag zahlt sich die Beharrlichkeit des Teams endlich aus. Nach der Telefonkonferenz ist klar, welche Parameter in der Steuerung angepasst werden müssen. Die Turbine läuft jetzt zum ersten Mal mit reinem Wasserstoff auf voller Leistung – und das über mehrere Stunden. Das Ziel ist erreicht, die Freude groß.
Für das Team von Martina Hohloch ist die Arbeit damit noch nicht vorbei – ein Patent ist in Arbeit, die TÜV-Abnahme steht an und auch die Emissionswerte will es mit weiteren Tests an der Mikrogasturbine noch weiter verbessern. PSC Consulting wird das Konzept im nächsten Schritt für Gasturbinen anderer Größenklassen hochskalieren. Ein erstes wasserstofftaugliches Exemplar der kleinen Turbine hat die Firma auch schon ausgeliefert – an das nächste Forschungsprojekt. Dieses kann auf der Pionierarbeit von Retrofit H2 aufbauen.
Dezentrale Energiesysteme für die Wasserstoffwirtschaft
Interview mit Dr. Peter Kutne, Leiter der Abteilung Mikrogasturbinen am DLR-Institut für Verbrennungstechnik:
Was sind dezentrale Energiesysteme?
Davon spricht man, wenn Strom oder Wärme in unmittelbarer Nähe des Endverbrauchers erzeugt werden. Das können in sich geschlossene Systeme sein, etwa in abgelegenen Regionen, aber in den meisten Fällen handelt es sich um kleine Anlagen, die mit anderen, benachbarten Systemen interagieren. Ein solcher Verbund ist im Katastrophenfall deutlich resilienter als ein zentralisiertes Energieversorgungsnetz. Sollte ein Teil ausfallen, können andere Netze einspringen. Die Größe dezentraler Energiesysteme reicht von einigen Kilowatt auf Gebäudeebene bis zu mehreren Dutzend Megawatt im Falle von Stadtquartieren oder kleineren Gemeinden.
Wo wäre der Einsatz solcher Systeme in Deutschland sinnvoll?
Sie könnten unser Stromverteilnetz entlasten und helfen, Übertragungsverluste zu vermeiden. Sowohl Industriebetriebe als auch Wohnviertel könnten sich in Form eines solchen lokalen Netzes organisieren. Das Energiesystem nutzt, je nach Verfügbarkeit, verschiedene erneuerbare Quellen wie Wind, Fotovoltaik und Erdwärme. Diese Quellen lassen sich mit Wärme- und Batteriespeichern oder Elektrolyseuren für die Produktion von Wasserstoff kombinieren. Deshalb sind dezentrale Energiesysteme ein guter Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft, denn sie können vor Ort ihren eigenen Wasserstoff produzieren und als Speichermedium nutzen. Solche Systeme könnten ländliche Gemeinden, abgelegene Orte und die Industrie zuverlässig und kohlenstofffrei mit Energie versorgen.
Welche Vorteile haben Mikrogasturbinen für dezentrale Kraftwerke?
Mikrogasturbinen kommen heute schon im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung zum Einsatz – dort also, wo ein hoher Wärmebedarf besteht: in Hotels, Schwimmbädern oder Krankenhäusern. In diesen Bereichen werden die Energiesysteme künftig komplexer, weil ein Teil der Wärme und des Stroms aus unterschiedlichen erneuerbaren Energien gedeckt wird. Durch die Integration von zusätzlichen Speichern entstehen lokale Energiesysteme, die mit ihrer Umgebung interagieren. Mikrogasturbinen haben drei große Vorteile: Sie sind besonders schadstoffarm, sie können mit verschiedenen Brennstoffen betrieben werden und sie müssen vergleichsweise selten gewartet werden.
Ein Beitrag von Anja Tröster aus dem DLRmagazin 176