Artikel aus dem DLRmagazin 176: Die Flugwerft Schleißheim des Deutschen Museums

Die Ruhestätte der Heiligen

Die neue Ausstellungshalle der Flugwerft Schleißheim bei Nacht
Unter ihrem Dach sind Dutzende von Fluggeräten aus verschiedenen Epochen der Luftfahrtgeschichte versammelt
Credit:

Deutsches Museum

Ein Erlebnis der besonderen Art ist der Besuch der Flugwerft in Schleißheim – Alterssitz für insgesamt 74 Fluggeräte. Darunter auch die DG 300-17, ein Forschungsflugzeug des DLR. Aufgrund ihrer Referenzfunktion galt sie als „unberührbar“. Eine Reise in die Welt einer Heiligen.

Eigentlich gebührt diesem Ort Stille. Das ist zumindest der erste Eindruck, wenn man die Ausstellungshalle betritt. Stattdessen herrscht hier auch an einem verregneten Mittwoch reger Betrieb. Besucherinnen und Besucher bewegen sich zwischen den Exponaten hindurch, mal einzeln, mal in Gruppen. Man muss seine Schritte mit Bedacht setzen, sonst kitzelt der gummierte Fußboden schnell ein Quietschen aus den Schuhsohlen. Auch kleine Geräusche hallen hier weit, werden zurückgeworfen von Flugzeugrümpfen und Rotorblättern, verfangen sich im stählernen Gerippe der Galerie, die den oberen Rang der Halle säumt. Im Schatten der Segelflieger, die von der Decke hängen, geht es vorbei an gläsernen Vitrinen mit Anschauungsmaterial und Triebwerkteilen, die allein durch ihre schiere Größe beeindrucken, hindurch zwischen Inseln von Exponaten, die unterschiedliche Aspekte der Luftfahrtgeschichte repräsentieren, und da, fast ein wenig unverhofft gleich neben den Senkrechtstartern, ist sie: die Heilige.

Vom Lilienthal-Gleiter bis zum Eurofighter, vom Flugboot bis zur Rakete
Durch die Präsentation der Ausstellungsstücke entsteht ein ganz besonderes Raumgefühl.
Credit:

Deutsches Museum

Betriebsbedingte Unberührbarkeit

Makellos weiß und glänzend liegt sie da. Auch ihr wäre Stille angemessen: Kein Motorstottern, kein Turbinenlärm hat je ihren Flug gestört. DG 300-17, so lautet die korrekte Bezeichnung des Hochleistungssegelflugzeugs, dessen kapselförmiges Cockpit und dessen schlanker, sich zum Heck hin verjüngender Rumpf an eine Libelle erinnern. Zwischen den aviatischen Giganten, die sie umgeben, wirkt die Heilige, die von der Nase bis zum Heck nur knapp sieben Meter misst, ungeheuer zierlich, beinahe zerbrechlich. Doch man täte ihr Unrecht, sie zu unterschätzen. Dreißig Jahre lang war sie Teil der Forschungsflotte des DLR. In unzähligen Einsätzen hat sie als Referenzflugzeug zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit anderer Segelflieger gedient. Aus diesem langjährigen Dienst ergab sich auch ihr Spitzname: Um als optimale Vergleichsgröße herangezogen werden zu können, musste ihr Zustand über Jahrzehnte hinweg unverändert erhalten bleiben. Und so wurde die DG 300-17 aufgrund ihrer betriebsbedingten Unberührbarkeit „heiliggesprochen“.

Die DG 300-17
30 Jahre lang hat die DG 300-17 beim DLR als Referenzflugzeug die Leistungsfähigkeit anderer Segelflieger vermessen.
Credit:

Deutsches Museum

Dass der Ruhestand sie nun hierher geführt hat, in die neue Ausstellungshalle der Flugwerft Schleißheim, ist kein Zufall. Nur wenige Meter entfernt steht VFW 614/ATTAS (Advanced Technologies Testing Aircraft System), ein weiteres ausgemustertes DLR-Forschungsflugzeug, das anhand einer aufwendigen Flugversuchsausstattung das Flug- und Landeverhalten anderer Flieger simuliert hat. Ebenfalls im Bestand des Museums befindet sich die LFU 205, die 50 Jahre lang beim DLR als Experimentalflugzeug für Aerodynamik und Bauweisen im Einsatz war.

74 Fluggeräte in der Flugwerft Schleißheim

DLR-Flugzeug ATTAS
Das ehemalige DLR-Flugzeug ATTAS gehört zu den größten Ausstellungsstücken in der neuen Halle.
Credit:

Deutsches Museum

Die LFU 205
Als Experimentalflugzeug für Aerodynamik und Bauweisen war die LFU 205 fünfzig Jahre Teil der DLR-Forschungsflotte.

Die DG 300-17 ist also nur der jüngste Neuzugang unter den insgesamt 74 Fluggeräten, die in der Flugwerft Schleißheim neben Dutzenden von Zubehörteilen, Triebwerken und Modellen auf 8.000 Quadratmetern ausgestellt sind. Dabei ist die Flugwerft nicht nur Schauplatz, sondern auch selbst Bestandteil deutscher Luftfahrtgeschichte: 1912 zum Standort der neu gegründeten Königlich-Bayerischen Fliegertruppe erkoren, wird der Flugplatz nachfolgend sowohl militärisch als auch zivil genutzt. 1981 wird der militärische Flugbetrieb vorerst vollständig eingestellt, die bestehenden historischen Bauten drohen zu verfallen. Bemühungen um die Restauration der Anlage zwecks musealer Nutzung gipfeln 1992 in der Eröffnung der Flugwerft Schleißheim als erste Außenstelle des Deutschen Museums. Neben der bereits erwähnten neuen Ausstellungshalle erstreckt sich die museale Fläche über zwei weitere, historische Gebäudeteile: die 1912 errichtete Kommandantur, genutzt als Verwaltungszentrale des alten Flugplatzes Schleißheim, und die namensstiftende Werfthalle, die gegen Ende des Ersten Weltkriegs als Unterstand und Ort zur Reparatur von Flugzeugen gebaut wurde.

Die Maschinen ruhen, der Mensch bewegt sich

Hier beginnt auch der Rundgang durch das Museum. Flugzeuge unterschiedlicher Form und Größe, überwiegend aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, füllen die Halle von einem Ende bis zum anderen. Nurflügler und Propellermaschinen hängen von der gewölbten, teilverglasten Decke, die dem ansonsten eher zweckmäßigen Bau eine gewisse Luftigkeit verleiht. Es ist ein faszinierendes Gefühl, sich zwischen den Exponaten zu bewegen, um sie herum und unter ihnen hindurch. Die Maschinen ruhen; es ist der Mensch, der sich bewegt. So wird jedes der Exponate als individuelles Objekt erfahrbar, mit charakteristischen Eigenschaften und einer eigenen Geschichte, die in manchen Fällen eng mit der des Standorts Schleißheim verknüpft ist. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Udet Flamingo, ein zweisitziger Doppeldecker, der als Schul- und Kunstflugzeug in die Luftfahrtgeschichte einging und 1925 auf dem Flugplatz Schleißheim seinen Jungfernflug erlebte. Jetzt ruht ein flugfähiger Nachbau des Flamingo in der hinteren, linken Ecke der Werfthalle.

Wechselhafte Objektgeschichten

Vorne links, gleich neben dem Eingang, wartet ein anderes Highlight: eine Fokker D VII, Baujahr 1918. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von annähernd 200 Kilometern pro Stunde war sie eines der gefährlichsten Jagdflugzeuge des Ersten Weltkriegs. Entsprechend schnittig wirkt das Flecktarnmuster der deutschen Fliegertruppe, das Rumpf und Flügel ziert. Doch unter der Bemalung verbirgt sich eine wechselhafte Geschichte: Den Farben zum Trotz handelt es sich ursprünglich um eine Maschine der niederländischen Marineflieger, die erst 1940 von den Nationalsozialisten nach Deutschland gebracht wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie in einem Schuppen in Bayern entdeckt und den Beständen des Deutschen Museums zugeschlagen. Da der Jagdflieger zu diesem Zeitpunkt bereits die deutsche Bemalung aufwies, ging man in Unkenntnis der Vorgeschichte von einer entsprechenden Historie der Fokker aus. Bei Restaurierungsarbeiten im Jahr 1980 fielen erstmals Ungereimtheiten bei der Bemalung auf, wurden jedoch nicht weiterverfolgt. Erst seit 2020 haben intensive Untersuchungen – in Kooperation mit niederländischen Partnern – ermöglicht, die wahre Vergangenheit des Flugzeugs weitestgehend zu rekonstruieren.

„Operation Lilienthal“

Von der ehemaligen Werft aus gelangt man in die Kommandantur, den ältesten Teil des Gebäudes, der die historische und die neue Ausstellungshalle miteinander verbindet. Hier geht es vor allem um die Frühgeschichte der Aviatik. Den Anfängen der Luftfahrt ist auch ein ganz besonderes Projekt der Flugwerft Schleißheim gewidmet, nämlich die Restaurierung eines originalen Lilienthal-Gleiters, von denen weltweit nur noch vier erhalten sind. Ziel der „Operation Lilienthal“ ist es, weitere Erkenntnisse über das erste in Serie gefertigte Flugzeug der Menschheitsgeschichte zu gewinnen und den Gleiter für die Präsentation in der Ausstellung vorzubereiten. Dabei arbeiten die Restauratorinnen und Restauratoren unter der strengen Prämisse, die Originalsubstanz so wenig wie möglich zu verändern.

Früher dienten Flugzeuge dem Museum als Beispiele für technische Meisterleistungen. Heute betrachten wir sie als Kulturgüter, deren historisch-gesellschaftlicher Entstehungskontext ebenso wichtig ist. Die Aufarbeitung von NS-Verbrechen, die im Zuge der Produktion einiger ausgestellter Flugzeuge begangen wurden, ist ebenso wichtig wie aktuelle Diskussionen rund um Klima, Mobilität und Umwelt.

Andreas Hempfer, Kurator des Deutschen Museums mit dem Schwerpunkt Luftfahrt bis 1945

Zehn Triebwerke mit 300 Kilonewton Schub bewegten die Do 31 E-3

Der Rundgang endet dort, wo dieser Bericht seinen Anfang genommen hat: in der neuen Ausstellungshalle. Das besondere Raumgefühl, das bereits in der alten Werfthalle spürbar gewesen ist, holt einen hier wieder ein, inmitten von Fluggeräten jeglicher Art, Form und Größe. Von klassischen Flugzeugen der 1940er Jahre über Kampfflieger des Kalten Krieges ist alles vertreten: Hubschrauber, Strahlflugzeuge, Segelflieger, Senkrechtstarter. Sogar ein Flugboot befindet sich im Bestand des Museums. Weiter mittig in der Halle ist das Forschungsflugzeug ATTAS platziert. Wenige Schritte daneben befindet sich die Dornier Do 31 E-3, das weltweit einzige Transportflugzeug mit Strahltriebwerken, das senkrecht starten und landen kann. Um den Koloss mit einer Startmasse von 21 Tonnen senkrecht in die Luft zu heben, sind zehn Triebwerke mit einem Gesamtschub von 300 Kilonewton notwendig. Und dann ist da auch noch die DG 300-17. Wie viele der Exponate sieht sie aus, als könnte sie sich jederzeit wieder in die Lüfte erheben.

Heilige im Morgennebel
Durch die DG 300-17 konnte die Leitungsfähigkeit von insgesamt 130 Segelfliegern bestimmt werden.

Neuer Ausstellungsbereich zur Luftfahrtforschung

Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit 2015 ist die Heilige stillgelegt. Dafür geht es seit ihrer Ankunft in Schleißheim erstaunlich dynamisch zu. Aufgrund von Sanierungsarbeiten an Dach und Lüftung wurden die Exponate wiederholt bewegt, die Ausstellungen verändert oder verlagert. Im Zuge dieser Veränderungen wurde auch die Einführung eines neuen Ausstellungsbereichs beschlossen, der sich explizit der Luftfahrtforschung widmet. Die Flugwerft Schleißheim schafft ein Bewusstsein für die Erfolge, die erkämpft, aber auch für die Rückschritte, die bewältigt werden mussten, um eine Welt zu schaffen, die im Luftraum so vernetzt ist wie nie zuvor. Vor allem aber macht sie neugierig darauf, wie es wohl weitergeht. Und das ist allemal einen Besuch wert.

Ein Beitrag von Melanie Dorweiler aus dem DLRmagazin 176

Weiterführende Links

Kontakt

Redaktion DLRmagazin

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln