Auf dem Sprung in die Praxis
Quantencomputer haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Damit die neuartigen Rechner ihr enormes Potenzial aber auch in der Praxis entfalten, muss die Anwendungsentwicklung mitziehen. Das ist eine doppelte Herausforderung.
Quantencomputer können bestimmte mathematische Probleme schneller oder effizienter lösen als klassische Rechner. Das ist theoretisch bewiesen, aber der praktische Nachweis für eine nützliche Anwendung steht aus: Die Hardware ist schlicht noch nicht so weit. Die zweite Herausforderung ist der Schritt in die Praxis: Forschung, Industrie und Wirtschaft müssen praktisch relevante Ansatzpunkte für Quantencomputing erkennen und für die neuartige Hardware umsetzen können. Das ist alles andere als trivial. Dabei braucht es beides, den Nachweis der Nützlichkeit und die tatsächlich nützlichen Anwendungsfälle, damit Quantencomputer den Weg in die Anwendung finden. Nur so entsteht ein innovatives Umfeld für Quantencomputing, das international konkurrenzfähige Hardware und Anwendungen – und damit einen funktionierenden Markt – hervorbringt.
In der DLR Quantencomputing-Initiative (DLR QCI) arbeiten Entwicklungsteams von DLR und Industrie deswegen gemeinsam daran, praxisrelevante Anwendungsfälle zu finden und auf den ersten funktionierenden Quantencomputern umzusetzen. Die enge Zusammenarbeit mit der Industrie stellt dabei sicher, dass die Entwicklung nicht an den praktischen Bedürfnissen der zukünftigen Anwender und Anwenderinnen vorbeigeht.
Besonders wichtig ist dabei die Nähe zu den Hardware-Start-ups, die in den Innovationszentren in Hamburg und Ulm die ersten Quantencomputer für die DLR QCI aufbauen (siehe DLRmagazin 173). Diese parallele – und oft gemeinsame – Entwicklung von Hardware, Software und praktischen Anwendungsfällen, die hervorragende technische Infrastruktur und das Miteinander von Industrie, Start-ups und Forschung machen die DLR QCI zu einer weltweiten Besonderheit.
Und sie zeigt: Quantencomputing steht auf dem Sprung in die Praxis. Für Wirtschaft, Gesellschaft und Forschung bedeutet das große Chancen und Herausforderungen, auf die sie sich rechtzeitig einstellen sollten. Die DLR QCI unterstützt das, indem sie nachhaltig die deutsche Quantencomputing-Branche stärkt, Expertise und Fachpersonal aufbaut und so für einen souveränen Zugriff auf eine wahrscheinlich umwälzende Technologie sorgt.
QLearning und eleQtron
Quantenprozessoren für das bestärkende Lernen
Maschinelles Lernen revolutioniert die Informationsverarbeitung. Bei den meisten Ansätzen geht es darum, Strukturen in großen Datenmengen zu finden. Beim „bestärkenden Lernen“ hingegen sucht ein sogenannter Agent die richtige Lösung für ein gegebenes Problem. Es findet Anwendung in vielen wissenschaftlichen und industriellen Bereichen, zum Beispiel in der Navigation, Biologie und Energieversorgung. Quantenalgorithmen können den Lernprozess beschleunigen. Deswegen untersucht Sabine Wölk vom DLR-Institut für Quantentechnologien mit der Industrie, welche Quantencomputer sich hier besonders eignen. Durch den direkten Hardwarezugriff in der DLR QCI kann Wölk eng mit den Hardwareherstellern diesen Ansatz erforschen, ausbauen und für echte Anwendungsfälle erproben.
„Ich bringe das theoretische Hintergrundwissen mit, das Start-up die Hardwareexpertise. Gemeinsam bringen wir Quantencomputing voran.“
Sabine Wölk, Projekt QLearning, DLR-Institut für Quantentechnologien
QMPC und E.ON
Quantum Mission Planning Challenges
Quantencomputer können bestimmte Optimierungsaufgaben wesentlich schneller oder genauer lösen als klassische Computer. Notorisch schwierig ist das sogenannte Stundenplanproblem: Wie ordnet man bestimmte Aktivitäten so an, dass sie eine Vielzahl von Nebenbedingungen optimal erfüllen? Das Projekt QMPC erforscht zwei praktische Anwendungsfälle für diese Art von Problem: Sven Prüfer von der DLR-Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining in Oberpfaffenhofen möchte Quantencomputer für die Planung von Raumflugmissionen einsetzen – oft geht es dabei um zeitkritische und missionsrelevante Entscheidungen. Und Corey O’Meara vom Energieversorger E.ON erforscht die effiziente Einbindung von E-Fahrzeugen in die Stromnetze der Zukunft – hier können selbst kleine Effizienzgewinne große positive Folgen haben.
„Wir treiben mit Quantencomputern die Energiewende voran.“
Corey O'Meara, Chief Quantum Scientist, E.ON Digital Technology
BASIQ und HQS Quantum
Batteriematerialsimulation mit Quantencomputern
Quantencomputer können andere Quantensysteme hervorragend simulieren. Deswegen werden in der Materialforschung und -entwicklung die ersten großen Vorteile des Quantencomputings erwartet. Im Projekt BASIQ nutzen Birger Horstmann vom DLR-Institut für Technische Thermodynamik und Michael Marthaler von HQS die Störanfälligkeit der ersten Quantencomputer für die Entwicklung effizienterer Batteriematerialien. Mit ihr simulieren Horstmann und Marthaler die äußeren Störungen, denen ein Quantensystem in einem echten Batteriematerial ausgesetzt wäre. Damit wird aus einer Schwäche der ersten Quantencomputer eine Stärke, mit der das Potenzial dieses innovativen Ansatzes erforscht werden kann.
„Quantencomputer bieten Möglichkeiten bei der Entwicklung neuer Materialien und Wirkstoffe.“
Michael Marthaler, Geschäftsführer, HQS Quantum Simulations
QUANTITY – Industriebeteiligung gesucht
Quantengestützte Kryptoanalyse
Die Projekte der DLR QCI suchen regelmäßig nach Industriebeteiligungen. Ein Beispiel ist das Projekt QUANTITY. Darin untersucht das DLR-Institut für Kommunikation und Navigation die Sicherheit von digitalen Verschlüsselungssystemen, die Quantencomputern standhalten müssen. Quantencomputer werden die gängigen kryptografischen Verfahren für digitalen Schlüsselaustausch und digitale Signaturen brechen können. Angreifer könnten wichtige Daten heute speichern und später, sobald es leistungsfähige Quantencomputer gibt, entschlüsseln. Das Projekt QUANTITY unterstützt Forschung und Industrie dabei, die Sicherheit neuartiger, sogenannter quantensicherer Verschlüsselungssysteme besser einschätzen zu können. Dann können sie Kryptoverfahren entwickeln, die auch in einer Welt mit Quantencomputern Bestand haben.
„Wir wollen verstehen, welches Risiko von Quantencomputern für quantensichere Verschlüsselungssysteme ausgeht – und diese Systeme verbessern.“
Dr. Hannes Bartz, Forschungsgruppenleiter, DLR-Institut für Kommunikation und Navigation
Ein Beitrag von Felix Knoke aus dem DLRmagazin 176