Nachhaltig forschen – Forschen für die Nachhaltigkeit
Flugzeuge, die wenig Treibstoff verbrauchen, ein Auto, dessen Bremsstaub aufgefangen wird, oder Satelliten, die erkennen, wann Äcker gedüngt werden müssen – das Thema Nachhaltigkeit spielt im DLR eine wichtige Rolle. Das gilt aber nicht nur für seine Forschungstätigkeit, sondern auch für das DLR als Unternehmen. Was Nachhaltigkeit für das DLR bedeutet und welche Aspekte von besonderer Bedeutung sind, darüber sprechen die Vorstandsvorsitzende des DLR, Prof. Dr.-Ing. Anke Kaysser-Pyzalla, und der stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Klaus Hamacher.
Nachhaltigkeit ist zu einem wichtigen Stichwort für Neuerungen geworden. Oft fragt man sich aber, ob überall, wo Nachhaltigkeit draufsteht, auch Nachhaltigkeit drinsteckt. Für das DLR können wir das ganz klar beantworten. Frau Kaysser-Pyzalla, was bedeutet Nachhaltigkeit im DLR?
Anke Kaysser-Pyzalla: Nachhaltiges Denken und Handeln haben für uns im DLR in dreifacher Hinsicht Bedeutung. Zum Ersten für unser Handeln als Institution mit 54 Instituten und Einrichtungen an 30 Standorten und über 10.000 Beschäftigten. Zum Zweiten mit den Beiträgen, die wir mit unserer Expertise in Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und Verkehr wie auch in den Querschnittsthemen Sicherheit und Digitalisierung leisten. Und dann für die Ausrichtung unserer Forschungsthemen, mit denen wir von der Innovation über die Technologie bis hin zum Transfer in die Wirtschaft erfolgreich sein wollen.
Herr Hamacher, Sie sind für das administrative und technische Management im DLR zuständig. Also auch für die Nachhaltigkeit der Organisation. Da geht es sicher um mehr als darum, die Heizung herunterzudrehen und das Licht auszumachen.
Klaus Hamacher: Es geht selbstverständlich auch darum. Aber der Nachhaltigkeitsbegriff ist heute deutlich weiter gefasst. Das reicht von nachhaltiger Organisationsführung über nachhaltiges Personal und Energiemanagement bis hin zu nachhaltigen Infrastrukturen – natürlich auch bei den wissenschaftlichen Infrastrukturen. Bei Neubauten achten wir zum Beispiel darauf, dass wir nachhaltig bauen. Wir nutzen Konzepte, die zu unserer Strategie von nachhaltigem Arbeiten beitragen.
„Die Folgen des Klimawandels und auch der Globalisierung fordern konsequentes Handeln – in der Forschung, in der Luftverkehrsindustrie und in der Luftverkehrswirtschaft.“
Prof. Dr.-Ing. Anke Kaysser-Pyzalla, Vorstandsvorsitzende des DLR
Der Betrieb der wissenschaftlichen Infrastrukturen ist mit den Forschungsaufgaben verbunden, zum Beispiel in der Luftfahrt. Das DLR forscht für eine klimaverträgliche Luftfahrt, das emissionsfreie Fliegen ist eine Vision für die Zukunft. Was macht das DLR hier genau?
Kaysser-Pyzalla: Das DLR forscht am gesamten Luftverkehrssystem. Das beginnt mit der Herstellung des Luftfahrzeugs. Unsere Forscherinnen und Forscher entwickeln Designs, die möglichst wenig Treibstoff verbrauchen. Dieses beinhaltet Wartung, Reparatur, Modifikation. Es geht um Fragen der Streckenplanung, des entsprechenden Antriebssystems und der notwendigen Infrastrukturen an den Flughäfen. Und unsere Forschung betrifft die Flugrouten, insbesondere im Hinblick auf die Klimafreundlichkeit der Verkehrsführung. Die Folgen des Klimawandels und auch der Globalisierung fordern konsequentes Handeln – in der Forschung, in der Luftverkehrsindustrie und in der Luftverkehrswirtschaft.
Das DLR-Forschungsflugzeug ISTAR hat seine ersten Messflüge absolviert. Der ISTAR wird zur Entwicklung von Flugzeugen, Antrieben und Assistenzsystemen beitragen. Ein digitaler Zwilling wird den ISTAR über seine gesamte Lebensdauer begleiten und ergänzen. Was haben Digitalisierung und Nachhaltigkeit miteinander zu tun?
Kaysser-Pyzalla: Die Digitalisierung führt einerseits dazu, dass wir Entwicklungen deutlich beschleunigen können. Das heißt, dass wir mit neuen Flugzeugen, aber auch mit anderen Verkehrsträgern früher zu Prototypen und so mit der Industrie gemeinsam früher in den Markt kommen. Flottenerneuerungen können zügiger stattfinden. Digitalisierung bedeutet, dass die Qualität der entsprechenden Flugzeuge oder anderer Mobilitätsträger schneller besser wird – insbesondere was Kraftstoffverbräuche und Emissionen betrifft. Digitalisierung ist hier ein Enabler für den Klimaschutz.
Die Digitalisierung spielt auch innerhalb des DLR eine zentrale Rolle. Herr Hamacher, inwiefern wird das DLR so nachhaltiger?
Hamacher: Digitalisierung hat schon in den letzten Jahrzehnten zu einer erheblichen Steigerung der Effizienz von Prozessen geführt. Wenn man sich einmal 30 Jahre zurückversetzt – was wir da noch mit Papier gemacht haben... Da hat sich schon viel verändert. Digitalisierung spielt beim Thema neue Arbeitsformen eine große Rolle, weil wir virtuelle Formate schaffen und damit Homeoffice ermöglichen. Was man allerdings nicht außer Acht lassen darf, sind die „Abers“ der Digitalisierung. Unsere größten Energieverbraucher sind inzwischen die IT-Infrastrukturen, etwa durch High-Performance-Computer. Zum anderen muss man darauf achten, dass der Mensch beim Thema Digitalisierung weiter im Fokus bleibt.
Kaysser-Pyzalla: Ich denke, auf der anderen Seite schafft Digitalisierung aber auch Partizipationsmöglichkeiten für Gruppen, die sonst nicht in dem Maße die Möglichkeit haben, an der Arbeitswelt teilzuhaben.
Durch die Möglichkeit, digitaler zu arbeiten, werden außerdem Fahrtwege der Mitarbeitenden verringert.
Hamacher: Das gehört zum Thema nachhaltige Mobilität dazu. Im Bereich der dienstlichen Mobilität gilt: CO2 vermeiden vor CO2 verringern oder kompensieren. CO2 vermeiden heißt konkret, dass wir Formate schaffen, wo virtuell zusammengearbeitet werden kann. Im Bereich der Mitarbeitenden-Mobilität entwickeln wir eine Reihe von Maßnahmen, zum Beispiel durch das Einrichten von E-Zapfsäulen an den DLR-Standorten oder indem wir Jobtickets fördern. Das ist für die Nachhaltigkeit insgesamt relevant.
Nachhaltige Mobilität und eine ebensolche Energiegewinnung sind auch Themen der Forschungsbereiche Verkehr und Energie. Wo stehen wir da genau?
Kaysser-Pyzalla: Im Programm Verkehr beschäftigen wir uns schon lange mit nachhaltigen Verkehrsträgern, Verkehrskonzepten und Raumkonzepten. In all diesen Bereichen haben wir erfolgreiche Projekte. Ein Beispiel ist das ZEDU, das erste wirklich emissionsfreie Fahrzeug. Beim ZEDU werden auch die Emissionen durch Bremsvorgänge vollständig aufgefangen. Oder das Thema Mobilitätskonzepte im Sinne einer klimafreundlichen Mobilität von Tür zu Tür – das ist schon lange Teil der Projekte im Verkehrsbereich. Wir beschäftigen uns damit, wie man Räume so gestalten kann, dass sie für den Menschen lebenswert sind. Es gibt viele Projekte auf regionaler Ebene, gemeinsam mit Kommunen. Sie tragen erheblich dazu bei, unser Wissen in die Anwendung zu bringen.
Wie Energie gewonnen werden kann, unter anderem für die urbane Mobilität, erforscht das DLR zum Beispiel im Forschungspark Windenergie. Was machen wir in Krummendeich?
Kaysser-Pyzalla: Mit dem Forschungspark Windenergie untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Nutzung erneuerbarer Energie. Wir sind bereits extrem erfolgreich im Bereich der Solarenergieforschung, was das Konzept für Kraftwerke angeht. Das reicht von der Optimierung im Labor bis hin zum wirklichen Kraftwerk und zu dessen Betrieb. Wir haben ein Parabolrinnenkraftwerk in Portugal in Betrieb genommen und vor Kurzem haben wir den Windpark in Krummendeich eröffnet. Windenergie ist das zweite große Standbein der Erneuerbaren. In Krummendeich werden wir weitere Verbesserungen für die Zukunft von Windparks entwickeln. Wir erforschen, wie schnell man sich auf Veränderungen der Wetterbedingungen einstellen kann, wie man den Lärm möglichst weit reduziert, wie man Wirkungsgrade erhöht und wie man die Aufstellung der Windkraftanlagen optimiert. All das natürlich mit der Kompetenz, die wir aus der Luft- und Raumfahrt mitbringen.
Gerade der Raumfahrt wird gelegentlich unterstellt, wenig nachhaltig zu sein. Die Veränderungen auf der Erde werden dabei aber von Satelliten aus dem Weltraum erkannt. Wie trägt die Erdbeobachtung zu einer nachhaltigen Entwicklung bei?
Kaysser-Pyzalla: Sie ist zum Beispiel für moderne Methoden der Landwirtschaft unverzichtbar geworden. Die Erdbeobachtung wird es zukünftig erlauben, landwirtschaftliche Flächen viel präziser zu bearbeiten. Das betrifft etwa das Ausbringen von Düngern, aber auch den Anbau geeigneter Pflanzen, der abhängig ist von den Bodenzusammensetzungen. Diese können wir aus dem All erkennen. Wir gehen davon aus, dass wir außerdem durch entsprechende Satellitenaufnahmen Pflanzenkrankheiten deutlich schneller bemerken können. Wir beobachten die Biomasse und werden künftig Dürren, das heißt Feuchtigkeitsmangel in den Böden, bis zu einer gewissen Tiefe präziser erkennen können.
„Wir haben eine Reihe von Maßnahmen entwickelt, was Work-Life-Balance, Diversity oder Familienfreundlichkeit angeht und die das DLR zu einem attraktiven Arbeitgeber machen.“
Klaus Hamacher, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender des DLR
Herr Hamacher, innovative Ideen und neue Wege sind unerlässlich für eine nachhaltige Entwicklung. Die Forschung im DLR ist darauf ausgerichtet, drängendste Zukunftsfragen zu lösen. Ist das auch etwas, was dazu motiviert, im DLR zu arbeiten?
Hamacher: Wir wissen aus Umfragen der letzten Jahre, dass das DLR zu den beliebtesten Arbeitgebern in Deutschland zählt – nicht nur bei Forschungseinrichtungen, sondern auch im Vergleich mit Unternehmen. Das gilt für den Berufseinstieg, aber ebenso bei Kolleginnen und Kollegen, die schon lange im DLR sind. Aber wir machen uns nichts vor: Wir haben eine Reihe von Maßnahmen entwickelt, was Work-Life-Balance, Diversity oder Familienfreundlichkeit angeht und die das DLR zu einem attraktiven Arbeitgeber machen. Das wird ja in den veröffentlichten Studien immer gerne hervorgehoben. Aber unsere Attraktivität als Arbeitgeber liegt natürlich auch an der Faszination, die von unseren Forschungsaufgaben ausgeht. Und da sind wir wieder bei der nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft.
Kaysser-Pyzalla: Alle unsere Themen zahlen auf die großen Herausforderungen der Gesellschaft ein, sei es in wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht. Auch Sicherheitsforschung ist aus unserer Sicht nachhaltig. Denn wir können nur nachhaltig in einem Gesellschaftssystem wie diesem leben, wenn es sich gegenüber anderen Einflüssen entsprechend zur Wehr setzen kann.
Nachhaltigkeit stärker im Fokus
Drei Fragen an Prof. Dr. Martin Wiedemann, Vorsitzender des Wissenschaftlich-Technischen Rats (WTR) im DLR und Direktor des Instituts für Systemleichtbau.
Herr Wiedemann, als WTR-Vorsitzender sind Sie eine Stimme der Institute und Einrichtungen im DLR. Wie richten die Institute und Einrichtungen ihre Forschung in Richtung Nachhaltigkeit aus?
Unsere Institute und Einrichtungen sind schon lange mit dem Thema Nachhaltigkeit verbunden. Im Forschungsbereich Energie geht es beispielsweise um die Gewinnung regenerativer Energien, im Bereich Verkehr etwa um die Optimierung von Verkehrswegen und in der Luftfahrt um Energieeffizienz. Das gilt auch für die Raumfahrt, zum Beispiel mit der Erdbeobachtung. Das sind alles Forschungsarbeiten, die der Nachhaltigkeit dienen. Aber wir haben es nicht immer explizit so genannt.
Verändert das die Forschungsaufgaben?
Neue Fragen kommen dazu und es ist notwendig, diese ganzheitlich zu bewerten: Wann ist eine Maßnahme in einem größeren Kontext nachhaltig? Wie gehen wir zum Beispiel mit verbauten Rohstoffen um, wenn die Nutzungsdauer eines Flugzeugs oder einer Windkraftanlage endet – und wenn dank der Werkstoffe viel Energie im Betrieb gespart oder erzeugt werden konnte? Wir brauchen Analysen über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts. Das erfordert Fachwissen und wissenschaftliche Herangehensweisen. Damit sind wir bei den Kernkompetenzen des DLR.
Ganz ohne Verbrauch von Ressourcen wird es in der Forschung nicht gehen, oder?
Unsere wertvollste Ressource ist das Wissen. Um Wissen zu generieren, müssen wir andere Ressourcen einsetzen. Forschung kostet immer auch Material und Energie. Wir sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die viel praktisch erproben. Ja, dabei verbrauchen wir Ressourcen, dessen sind wir uns bewusst. Aber wir schauen natürlich sehr genau hin – auf unsere Forschungsergebnisse und auch auf unseren Ressourceneinsatz.
Der Wissenschaftlich-Technische Rat im DLR
Dem Wissenschaftlich-Technischen Rat (WTR) gehören Institutsbeziehungsweise Einrichtungsleitende und wissenschaftliche Mitarbeitende aus den Forschungsbereichen und den wissenschaftlich-technischen Betriebseinrichtungen an. Der WTR berät den Vorstand und den Senat in allen wissenschaftlich-technischen Angelegenheiten.
Ein Beitrag von Katja Lenz aus dem DLRmagazin 173