Artikel aus dem DLRmagazin 173: Trainingsgeräte für Weltraumreisen im Test

Mein Fitnessstudio fürs All

Sprungkrafttraining gegen Muskelschwund in Schwerelosigkeit
Andi Ellmerer (Mitte) testet den Prototyp ATHLETIC.

Wer sich nicht bewegt, wird schnell schlapp. Wer sich im All nicht bewegt, wird noch schneller noch schlapper. Das liegt unter anderem daran, dass die Schwerkraft fehlt: Wenn man auf der Erde läuft oder einen Arm hebt, muss man dabei mit Muskelkraft zumindest die Erdanziehung überwinden. Und die fehlt den Weltraumreisenden. Sie müssen sich deswegen ganz besonders anstrengen, damit sie leistungsfähig bleiben. Und das ist nicht alles: Der Muskelschwund in der Schwerelosigkeit verändert den gesamten Stoffwechsel des Körpers. Außerdem lässt das Fehlen der Kräfte die Stabilität der Knochen schwinden. Betroffen sind vor allem die Beine, die im All so gut wie gar nicht beansprucht werden. Gegenmaßnahme auf der Internationalen Raumstation ISS: tägliches Training auf einem Laufband, einem Fahrradergometer und einem Kraftgerät, etwa zwei Stunden lang. In kleinen Raumfahrzeugen, zum Beispiel Richtung Mars, ist aber kein Platz dafür. Hier kommen NEX4EX und ATHLETIC ins Spiel – zwei mögliche Konzepte für ein universales Fitnessstudio fürs All. DLR-Redakteur Andi Ellmerer hat die beiden Prototypen unter sehr irdischen Bedingungen im DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin getestet.

ATHLETIC – Springen im Liegen

Bitte einsteigen ins Exoskelett. Nicht so einfach, denn für den Weltraum-Testeffekt wird das Sprungtraining nicht im Stehen, sondern im Liegen gemacht. „Dieses Trainingsgerät soll den Abbau der Beinmuskulatur sowie der Knochenmasse reduzieren“, erklärt Jonas Böcker vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, der die Gerätestudie gemeinsam mit Dr. Jochen Zange leitet. Auf der ISS gibt es zwar Laufband- und Hanteltraining, „aber reaktive Übungen, die neben dem Muskel die Federeigenschaften des Muskel-Sehnen-Komplexes trainieren, können damit kaum durchgeführt werden“, sagt Jonas Böcker. Außerdem wären die ISS-Geräte zu wuchtig für eine lange Mission. Zierlich wirkt das ATHLETIC (AstronauT HeaLth EnhancemenT Integrated Countermeasure) allerdings auch nicht. „Das ist ein Prototyp“, erklärt Jochen Zange. „Zusätzlich müssen wir ja hier die Schwerkraft austricksen.“ Deswegen der ausladende schwere Stützrahmen. Und die Rollen darunter ergeben im All selbstverständlich auch keinen Sinn.

ATHLETIC – Springen im Liegen
Der Prototyp von ATHLETIC (AstronauT HeaLth EnhancemenT Integrated Countermeasure) steht im DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Das Gerät in Form eines Exoskeletts soll später ein hoch intensives Kraft- und Sprungtraining gegen eine passiv erzeugte Kraft in der Schwerelosigkeit ermöglichen.

Im Weltall könnten die Astronautinnen und Astronauten in das Gerät hineinschweben. Im Kölner Labor klettern die Testpersonen von unten durch den Rahmen. Die Füße werden über Fahrradschuhe in Halterungen fixiert, ein handelsüblicher Fahrradsattel sorgt für Sitzkomfort und eine Art Rucksack hält den Oberkörper an der Rückenlehne fest. Das alles ist wichtig, damit sich in Schwerelosigkeit niemand aus dem ATHLETIC-Gerät herauskatapultiert. Oder das ganze Gerät durch das Raumschiff schießt. Andi ist nach einigen Minuten im Exoskelett justiert. Er macht zuerst ein kleines Warm-up, um sich mit den Bewegungsabläufen anzufreunden. Dann wird es ernst: Kniebeugen, zehn ... zwanzig ... , anschließend Sprünge im Liegen. „Das Gerät ist jetzt so eingestellt, dass beim Sprung quasi 100 Prozent des Körpergewichts wirken“, sagt Jonas Böcker. Es wäre auch mehr drin. Für Fitnessprofis: In der Beinpresse sind maximal 300 Kilogramm möglich.

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Fußhalterung für das Trainingsgerät von ATHLETIC

Selbst für jemanden mit Fitnessgeräte-Erfahrung ist der ATHLETIC-Prototyp zuerst ungewohnt: Das Brett am Fußende schwingt mit, die Rückenlehne schiebt von hinten. Der Beugungswinkel und die Hüftposition dürfen nicht vernachlässigt werden, damit die Muskeln an Beinen, Hüfte und Rücken wie gewünscht arbeiten. „Die Koordination ist in Schwerelosigkeit einfacher“, beruhigt Jochen Zange. Auf einem Bildschirm erscheinen derweil die ersten Parameter: Kräfte, Wege und Winkel, elektrische Aktivität der Beinmuskeln und Herzfrequenz. Die Übungen zeigen offensichtlich Wirkung. Andi gerät allmählich außer Atem, es ist richtig anstrengend. Kein Wunder, es geht gerade um die Sprungleistung und verschiedene Formen von Krafttraining gleichzeitig.

Die DLR-Probandensuche

Das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin benötigt regelmäßig Teilnehmerinnen und Teilnehmer für verschiedene Studien. Diese Studien untersuchen die Auswirkungen von Umweltbedingungen auf Gesundheit, Lebensbedingungen und die Leistungsfähigkeit des Menschen. Die Themen sind vielfältig. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Menschen, aber auch die Konzentrationsfähigkeit bei Müdigkeit oder wie der Körper in großen Höhen mit weniger Sauerstoff auskommt.

Zu den bekanntesten Studien im :envihab, der Forschungseinrichtung des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin, zählen die Bettruhestudien. Dabei verbringen Probandinnen und Probanden längere Zeit liegend in einer Sechs-Grad-Kopftieflage. So wird die Wirkung der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper simuliert.

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:envihab am Standort Köln
Das :envihab ist eine medizinische Forschungsanlage des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin. Hier werden die Wirkung verschiedener Umweltbedingungen auf den Menschen und mögliche Gegenmaßnahmen erforscht.

NEX4EX-Gerät – Balancieren, Wippen, Kniebeugen

Zweite Station. Im Vergleich zum Exoskelett-Prototyp wirkt NEX4EX (Novel Exercise Training Hardware for Space Exploration) geradezu handlich. Andi zieht zuerst eine Art Schultergurt an und stellt sich auf eine Bodenplatte. Vier Schnüre werden vom Gurt aus an den vier Ecken der etwa einen Quadratmeter großen Bodenplatte eingehakt. In Schwerelosigkeit würden die Seile so gestrafft, dass die Person wie mit dem eigenen Körpergewicht auf die Platte gedrückt wird. Das gilt auf der Erde naturgemäß sowieso. Diesmal geht es außer um das Muskeltraining auch um die Federeigenschaften des Muskel-Sehnen-Komplexes. Der NEX4EX-Prototyp bietet dafür gleich mehrere Übungsszenarien.

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Messungen während der Trainingseinheit

Das Balancetraining: Die Seile werden eines nach dem anderen nach unten gezogen. Andi soll sich mit leicht gebeugten Beinen dagegenstemmen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Die Zugrichtungen werden vom Computer zufällig ausgewählt. Konzentration und schnelle Reaktion sind hier sehr wichtig. Und als zusätzliche Schwierigkeit Lächeln – wegen der Fotos.

Die Wippe: Diesmal wackelt die Bodenplatte und irritiert die Standfestigkeit. Wie fühlt sich das an? „Wie auf dem Mountainbike. Nur ohne Lenker.“ Also halbwegs vertraut.

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Vorbereitung auf das Training mit dem NEX4EX-Gerät
Jonas Böcker (links) befestigt die Zugbänder am Schultergurt, die im Training den Widerstand erzeugen.
Training mit dem NEX4EX-Gerät
DLR-Redakteur Andi Ellmerer ist über Schnüre mit dem Gerät verbunden.

Kraft- und Sprungtraining: Das System wird in die Horizontale gekippt, der Rücken auf einer Extraplatte samt Schulterpolstern gelagert. Dann werden Kniebeugen und Sprünge gemacht, teils aus der Hocke heraus, teils wird auf dem Vorderfuß gehüpft.

Bei NEX4EX können die Forschenden ebenfalls verschiedene Kräfte und Wege, die Muskelaktivität und die Herzfrequenz über Bildschirme mitverfolgen. „Die Belastung der Strukturen in den Beinen ist recht hoch“, erläutert Jonas Böcker. Deswegen ist eine „Nebenwirkung“ wahrscheinlich: Muskelkater. Wie die meisten Probandinnen und Probanden, die die Geräte beim DLR getestet haben, hatte auch Andi den Eindruck, dass er eine „intensive Trainingseinheit“ absolviert hat.

Nächster Test im Parabelflug

Als Nächstes müssten die Geräte bei einem Parabelflug erprobt werden. Dabei steigt ein Forschungsflugzeug erst steil nach oben, fällt danach antriebslos auf eine niedrigere Höhe und steigt anschließend wieder auf. Während jeder dieser Parabeln herrscht für rund 20 Sekunden Schwerelosigkeit wie im All. Wenn es so weit ist, werden wieder Freiwillige gesucht, die das Fitnessstudio fürs All testen. Infos und Bewerbung über die DLR-Probandensuche.

So lief die aktuelle Studie

Insgesamt zehn Probandinnen und Probanden haben die neu entwickelten Trainingsgeräte NEX4EX und ATHLETIC getestet. Die Voraussetzungen waren: im Alter zwischen 30 und 60 Jahren, zwischen 1,50 und 2 Metern groß, 50 bis 100 Kilogramm schwer, sportlich.

Die beiden Trainingsgeräte wurden im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation ESA von der Firma Space Applications Services entwickelt. Bei ATHLETIC war zusätzlich die Firma Deuter beteiligt, bei NEX4EX die Unternehmen Novotec und AnyBody Technology sowie die Universität Konstanz. Im DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin werden die Geräte medizinisch-wissenschaftlich bewertet. Die Forschenden machen außerdem Vorschläge zur Weiterentwicklung.

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Training im All mit dem Advanced Resistive Exercise Device (ARED)
ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti trainierte regelmäßig während ihrer Zeit auf der ISS, um Muskel- und Knochenschwund vorzubeugen. Anders als ATHLETIC und NEX4EX arbeitet das ARED auf der ISS mit einem aktiven Kraftmechanismus, der zusätzliche Energie verbraucht und Wärme erzeugt.
Credit:

ESA/NASA

Ein Beitrag von Katja Lenz aus dem DLRmagazin 173

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