Artikel aus DLRmagazin 171: Die Mission MMX soll das Rätsel um den Ursprung der Marsmonde lösen

Woher stammen Furcht und Schrecken?

Der Mars mit seinen beiden Monden Deimos (oben) und Phobos
Die beiden Marsmonde sind viel kleiner als der Erdmond und aufgrund der geringen Gravitationskräfte nicht kugelförmig, sondern von unregelmäßiger Gestalt. Der größte Durchmesser von Phobos beträgt knapp 27 Kilometer, bei Deimos sind es sogar nur 15 Kilometer.
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NASA/JPL-Caltech/MSSS/University of Arizona/Montage: DLR

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Furcht und Schrecken, diese angsteinflößenden Gesellen umkreisen den römischen Kriegsgott Mars. Ein kräftiges Sprachbild! Phobos und Deimos – in Homers Ilias zwei Brüder im Gefolge des hellenischen Kriegsgottes Ares – diese Namen erhielten die 1877 vom Amerikaner Asaph Hall entdeckten Monde unseres Nachbarplaneten. Neben dem Mond der Erde sind sie die beiden einzigen Trabanten im inneren Sonnensystem. Sie sind viel kleiner als der Erdmond und aufgrund der geringen Gravitationskräfte nicht kugelförmig, sondern von unregelmäßiger Gestalt. Der größte Durchmesser von Phobos beträgt knapp 27 Kilometer, bei Deimos sind es sogar nur 15 Kilometer. Irdische Teleskope zeigen deshalb keine Details. Doch wurden beide Monde von Marssonden aus der Nähe beobachtet. Immer noch steht eine große Frage im Raum: Wo liegt der Ursprung der beiden Winzlinge? Die spektralen Eigenschaften ähneln denen von Asteroiden und kaum denen des Mars. Die Antwort könnte eine sehr spezielle Raumsonde geben: MMX – Martian Moons eXploration.

Die Entdeckungsgeschichte der Monde ist ein kleiner Astro-Krimi: Asaph Hall, geboren 1829, hatte seine erste Stelle am Harvard-Observatorium. Drei magere Dollar verdiente er pro Woche. Später bekam er etwas mehr am US Naval Observatory in Washington. Für Hall galt damals noch die Lehrbuchmeinung: „Der Mars hat keine Monde!“ Skeptisch wurde er, als seine Massenberechnungen für den Mars, abgeleitet aus den Bahnstörungen von Erde und Jupiter, nicht passten. Er zweifelte am mondlosen Mars und plante Beobachtungen für die nahe Oppositionsstellung von nur 56 Millionen Kilometern im August 1877.

Hartnäckigkeit zahlt sich aus

Seine Sorge, dass sein Kollege und Konkurrent Henry D. Holden diebesten Nächte für Beobachtungen im Herbst 1877 am großen Refraktor, dem Great Equatorial Telescope, selbst zur Suche nutzen würde, war glücklicherweise unbegründet. Als Hall die Suche wegen schlechter atmosphärischer Bedingungen schon aufgeben wollte, ermunterteihn seine Frau Angeline, weiterzusuchen. Mit Erfolg! In der Nacht zum 12. August 1877 notierte Hall „einen blassen ‚Stern‘ nahe Mars“; dann trübte es ein. Am 16. August fand er den Lichtpunkt wieder, der mit dem Mars wanderte. Er hatte Deimos entdeckt. Und zwei Tage späterauch Phobos. Allerdings reklamierte sein Direktor Simon Newcomb in der New York Times vom 20. August die Entdeckung dreist für sich. Henry Holden behauptete sogar, Weitere drei Marsmonde entdeckt zu haben. Ein früher Fall von Fake News? Hall rechnetenach und stellte fest, dass diese neuen Monde die Keplerschen Bahngesetze verletzten, beziehungsweise wiederholte Beobachtungen von Phobos und Deimos waren. Am Ende war es Asaph Hall, der in der Fachwelt aufgrund seiner korrekten Berechnungen höchstes Ansehen genoss.

Keine Monde für die Ewigkeit

Phobos umkreist den Mars in etwas mehr als siebeneinhalb Stunden rund 6.000 Kilometer über dessen Oberfläche. Der Mond ist also schneller, als der Planet rotiert, nämlich in 24,5 Stunden. Ein hypothetischer Marsmensch würde also Phobos im Westen aufgehen und im Osten untergehen sehen. Keine anderen Monde im Sonnensystem umkreisen ihren Planeten auf derart nahen Bahnen. Auch Deimos‘ Orbit befindet sich nur etwa 23.500 Kilometer über dem Mars und hat eine Umlaufzeit von etwas über 30 Stunden.

Messungen von Raumsonden, immer wieder auch mit der DLR-Stereokamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) auf dem ESA-Orbiter Mars Express, haben ergeben, dass der Mars Gezeitenkräfte auf die beiden kleinen Körper ausübt und sich dadurch ihre Bahnen verändern. Deimos entfernt sich vom Mars und dürfte dem Planeten in ferner Zukunft abhandenkommen, ein Schicksal, das er mit dem Erdmond teilt. Phobos indes kommt dem Mars langsam auf einer spiralförmigen Bahn näher und wird vermutlich bei Erreichen einer Entfernung von 5.500 Kilometern, der Roche-Grenze, auseinanderbrechen, weil die Gezeitenkräfte den inneren Zusammenhalt übersteigen. Das passiert voraussichtlich in 40 Millionen Jahren. Die Gesteinstrümmer dürften dem Mars dann zeitweise einen Ring bescheren.

Erste Nahaufnahmen der Monde sendete 1972 die NASA-Sonde Mariner 9. 1976 bis 1980 folgten die beiden amerikanischen Viking-Orbiter. Dann kamen Fotos und Messungen der NASA-Marsorbiter Mars Global Surveyor, Mars Reconnaissance Orbiter, 2001 Mars Odyssey und der ESA-Sonde Mars Express hinzu. Die ehemalige UdSSR und Russland entwickelten sogar drei Missionen exklusiv für die Untersuchung der Marsmonde: In den späten 80er-Jahren Phobos 1 und 2, zu denen aber der Funkkontakt nach Übermittlung weniger Daten abbrach, sowie die 2011 gestartete Mission Phobos Grunt, die bereits kurz nach dem Start verloren ging. Dementsprechend sind Phobos und Deimos, obwohl sie fotografiert, vermessen und in ihren geologischen, mineralogischen und geochemischen Eigenschaften ein wenig charakterisiert werden konnten, für die Planetenforschung noch Terra incognita.

Eingefangen oder herausgeschleudert?

Zwei große Fragen stehen im Raum: Wie sind die beiden Monde entstanden? Woraus bestehen sie? Beide Körper sind extrem dunkel, sie spiegeln nur fünf Prozent des Sonnenlichts. Fast wie Holzkohle. Der Mars hingegen reflektiert im Schnitt fast viermal so viel. Damit ist ein gemeinsamer Ursprung von Planet und Monden nur schwer erklärbar. Trotzdem ist dieses Modell noch im Rennen. Drei Theorien werden diskutiert: Entweder sind die Monde von der Schwerkraft des Mars eingefangene Asteroiden oder sie entstanden infolge eines gewaltigen Einschlags auf dem Planeten. Vielleicht sind sie aber auch zeitgleich mit dem Mars entstanden.

Für die „Einfangtheorie“ spricht, dass das Farbspektrum beider Monde der „D-Klasse“ von Asteroiden ähnelt: Sie sind genauso dunkel, dabei homogen rötlich, wasserarm und reich an kohlenstoffhaltigen und silikatischen Molekülen. Ihren Ursprung könnten die „Asteroiden“-Monde vielleicht jenseits der Neptunbahn haben. Gegen dieses Modell spricht, dass beide Monde den Mars nahe der Ekliptik umkreisen, jener Ebene, in der sich alle Planeten und die meisten ihrer Monde um die Sonne bewegen. Zudem sind beide Orbits fast kreisrund. Das wäre für „eingefangene“ Asteroiden ein schwer zu erklärender Zufall. Die Orbitalparameter sind gute Argumente für die dritte Theorie. Gegen sie spricht, dass die spezifische Dichte der Monde mit 1,87 Gramm pro Kubikzentimeter nicht einmal halb so groß ist wie die des Mars.

Jüngere Untersuchungen legen nahe, dass die Monde Überreste eines großen Einschlags in der Frühzeit des Mars sind, durch den auch das ausgedehnte nördliche Tiefland des Planeten entstanden ist. Der einschlagende Körper könnte bis zu 2.000 Kilometer groß gewesen sein und Billionen Tonnen heller Kruste und dunklen Mantels aus dem jungen Planeten geschlagen haben. Die Trümmer bildeten einen Ring um den Mars, woraus Phobos und Deimos hervorgingen, vielleicht sogar weitere Monde, die dem Mars allerdings verloren gingen oder wieder auf ihm einschlugen. Diese Theorie würde die relativ niedrigen und kaum elliptischen Umlaufbahnen recht gut erklären.

MMX-Rover (Artist View)
Das DLR übernimmt die Entwicklung des Rovergehäuses, des robotischen Fortbewegungssystems sowie eines Spektrometers und eines Radiometers, die jeweils Oberflächenzusammensetzung und -beschaffenheit messen werden.
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CNES

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Immer am besten: direkt vor Ort nachschauen

Um die Frage nach dem Ursprung von Phobos und Deimos zu klären,aber auch um die Rolle kleiner Körper bei der Entwicklung der Planeten zu verstehen, hilft nur eine Raumsonde: die Geburtsstunde der Mission MMX der japanischen Weltraumorganisation JAXA. Sie wird nach den beiden Hayabusa-Missionen in den Asteroidengürtel die dritte JAXA-Mission sein, bei der Proben genommen und zur Erde gebracht werden sollen. An der Mission sind auch die amerikanische Raumfahrtagentur NASA, die europäische Weltraumorganisation ESA, die französische Raumfahrtagentur CNES und das DLR beteiligt.

So werden ab 2025 am Mars schon wieder aufregende Dinge geschehen: Die Sonde wird Phobos und Deimos aus dem Orbit beobachten. Dabei wird eine geeignete Landestelle für das Mutterschiff und den kleinen MMX-Rover gesucht. Der Rover ist ein gemeinschaftliches Projekt von CNES und DLR. Die Projektleitung für das DLR liegt beim Institut für Robotik und Mechatronik in Oberpfaffenhofen. Das 25 Kilogramm leichte Fahrzeug wird aus etwa 50 Metern Höhe sanft auf die Oberfläche von Phobos fallen gelassen. Dort wird es bei einer Anziehungskraft von nur einem Zweitausendstel der Erde nach mehrmaligem sanftem Abprallen zur Ruhe kommen, um sich daraufhin autonom in eine aufrechte, startbereite Lage zu manövrieren. Der Rover wird Phobos mobil erkunden, unter anderem mit einem Radiometer und einem Raman-Spektrometer, an deren Entwicklung das DLR maßgeblich beteiligt ist. Etwas später werden Proben genommen, die voraussichtlich 2029 auf der Erde ankommen sollen. Unabhängig von der Frage, wie Phobos und Deimos entstanden sind, ist es wahrscheinlich, dass auch vom Mars bei späteren Einschlägen Material auf Phobos geschleudert wurde. Die Proben des Mondes werden in jedem Fall auch Spuren des Planeten enthalten. MMX wäre dann die erste Mission mit Marsproben.

Der Krater Stickney
Der Krater Stickney auf Phobos ist die markanteste Struktur auf dem Marsmond. Er wurde nach Chloe Angeline Stickney Hall benannt, der Ehefrau des Entdeckers Asaph Hall.
Credit:

NASA/JPL/University of Arizona

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Die markanteste Oberflächenstruktur von Phobos ist übrigens ein neun Kilometer großer Einschlagskrater, bei dessen Entstehung der Mond beinahe zerstört worden wäre. Er wurde 1972 zum ersten Mal von Mariner 9 fotografiert und dann vom Komitee für Namensgebungen der Internationalen Astronomischen Union mit dem Namen Stickney belegt. Es war eine Hommage an die hartnäckige und ihren frustrierten Ehemann Asaph Hall motivierende Chloe Angeline Stickney Hall. Stickney war ihr Mädchenname. Asaph schrieb 1878: „Ich hätte die Suche nach den Marsmonden aufgegeben, hätte mich meine Frau nicht ermutigt, weiterzusuchen.“ Welch eindrucksvolle Geschichte!

Die Mission MMX (Martian Moons eXploration) im Überblick

MMX ist eine Mission der japanischen JAXA mit Beiträgen von NASA, ESA, CNES und DLR – Start: voraussichtlich September 2024, dann Ankunft beim Mars: August 2025. Sie hat die Aufgabe, die Marsmonde Phobos und Deimos zu charakterisieren sowie zu klären, wie und wo die beiden Trabanten entstanden sind. MMX besteht aus den Teilen:

  • Explorationsmodul mit Landebeinen und Probennehmer mit acht Instrumenten
  • Rover
  • Rückkehrmodul mit Probenkapsel und drei Instrumenten
  • Antriebsmodul mit Treibstofftanks und Triebwerken für Einschuss in die Marsumlaufbahn

Der Rover mit knapp 25 Kilogramm Masse inklusive 4 Kilogramm dazugehörige Komponenten auf dem Mutterschiff ist ein gemeinsamesProjekt von CNES und DLR. Seitens des DLR sind unter der Leitung des Instituts für Robotik und Mechatronik auch die Institute für Raumfahrtsysteme, für Systemleichtbau, für Systemdynamik und Regelungstechnik, für Optische Sensorsysteme, für Planetenforschung und sowie das Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) beteiligt.

Der Rover wird die geologischen, physikalischen und mineralogischenEigenschaften der Oberfläche von Phobos untersuchen und die Mobilität bei niedriger Schwerkraft demonstrieren. Die Daten dienen auchzur Eichung der Orbiter-Messungen und werden die Landung des Explorationsmoduls unterstützen. Der Datenaustausch mit der Erde erfolgt über den Orbiter. Der Betrieb des Rovers wird von den Kontrollzentren des CNES in Toulouse und des DLR in Köln (MUSC – Microgravity User Support Center) gesteuert. Auf dem Rover befinden sich:

  • Stereokamera (NavCAM)
  • Radiometer (miniRAD)
  • Raman-Spektrometer (RAX)
  • Zwei Radkameras am Chassis (WheelCAM)

Instrumente mit DLR-Beteiligung auf dem MMX-Rover

Das Radiometer miniRAD

Das Radiometer miniRAD des DLR-Instituts für Planetenforschung wird die Abstrahlung der Oberfläche in sechs Wellenlängen des thermalen Infrarots messen. Damit wird die Oberflächen-temperatur bestimmt, die neben den Einstrahlungs-bedingungen stark von den thermischen Eigenschaften der Oberfläche abhängt. Durch die Messung der Abstrahlung lassen sich Rückschlüsse auf die Materialeigenschaften ziehen. Neben den thermischen Eigenschaften erhält man dadurch Hinweise auf die Porosität des Oberflächenmaterials. Das ermöglicht einen direkten Vergleich von Messungen an Asteroiden und Kometen sowie Asteroiden- und Meteoritenproben.

Das Raman-Spektrometer RAX

Das Raman-Spektrometer RAX (RAman spectroscopy for MMX) ist eine Entwicklung unter Führung des DLR-Instituts für Optische Sensorsysteme mit Beteiligung der JAXA (Leitung Universität Tokio) und der spanischen Raumfahrtagentur INTA. RAX wird entlang der Roverstrecke die mineralogische Zusammensetzung der Oberfläche messen. So können jene Prozesse verstanden werden, die Phobos durchlaufen haben könnte. Die Raman-Messungen auf der Phobosoberfläche werden mit Messungen anderer Rover auf dem Mars verglichen, um die verschiedenen Entstehungshypothesen zu überprüfen. Der Vergleich mit Messungen an den von MMX zur Erde zurückgebrachten Proben wird außerdem zeigen, wie repräsentativ die Proben sind.

Ein Beitrag von Ulrich Köhler aus dem DLRmagazin 171

Ulrich Köhler

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Julia Heil

Redaktion DLRmagazin
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation und Presse
Linder Höhe, 51147 Köln