Hotspot Nordpol?
Der vom Menschen verursachte Klimawandel bedroht besonders empfindliche Ökosysteme, wie das der Arktis. Hier erwärmt sich die Erdoberfläche fast dreimal so stark wie im globalen Mittel. Die Gründe dieser sogenannten arktischen Verstärkung sind bislang noch nicht bekannt. Ein internationales Forschungsteam war mit fünf Flugzeugen in und über den arktischen Wolken unterwegs, um Daten zu sammeln, die diese Frage beantworten sollen.
In Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens, sind die Sommer kurz und kühl und die Winter lang, extrem kalt und schneereich. Touristinnen und Touristen zieht es dorthin wegen der unberührten Natur, Schlittenhundtouren oder Nordlichtern. Forscherinnen und Forscher kommen hierher, um Höhenforschungsraketen oder -ballons zu starten, aber auch, um den Klimawandel in der Arktis zu untersuchen. Während der Kampagne HALO-(AC)³ startete das vom DLR betriebene Forschungsflugzeug HALO von hier aus zu 17 rund neunstündigen Flügen in der Arktis, vollgepackt mit modernster Messtechnik. Begleitet wurde es von einem französischen und einem englischen Forschungsflugzeug, die auch in Kiruna stationiert waren, sowie von den beiden Polarfliegern des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), die nahe des Nordpols von Spitzbergen aus abhoben. Zusammen untersuchten die Flieger die arktische Atmosphäre auf ihre Beschaffenheit. Die Forschenden vereint das Ziel, das arktische Klima und seine besonders starke Erwärmung besser zu verstehen.
„Es ist ein Privileg, dieses einzigartige Stück Erde sehen und erleben zu dürfen. Seine Erhaltung liegt uns sehr am Herzen.“
Prof. Dr Christiane Voigt, Abteilungsleitung Wolkenphysik, DLR-Institut für Physik der Atmosphäre
Der arktischen Verstärkung auf der Spur
Ein wichtiges Phänomen, um die dortigen Veränderungen zu beschreiben, ist die arktische Verstärkung. Sie bezeichnet den im Vergleich zum globalen Mittel überdurchschnittlichen Temperaturanstieg in der Region. Zum Vergleich: Weltweit erwärmte sich das Klima seit 1971 um circa ein Grad Celsius. In der Arktis liegt dieser Anstieg aktuell bereits bei etwa drei Grad Celsius. Und es ist möglich, dass sich dieses Phänomen aufgrund von Rückkopplungseffekten weiter verstärkt. Die Veränderung des Temperaturgradienten zwischen mittleren Breiten und der Arktis kann dazu führen, dass vermehrt warme Luftmassen aus mittleren Breiten Richtung Nordpol strömen und kalte hinaus.
Dieser Zustrom von warmen Luftmassen würde wiederum das Abschmelzen des Meereises beschleunigen. Der dadurch offene dunkle Ozean kann Wärmeenergie besser absorbieren und speichern als eine weiße Eisoberfläche, welche solare Strahlung reflektiert. Somit würde das weitere Abschmelzen des Meereises beschleunigt werden und die Erwärmung der Arktis weiter verstärkt. Schieben sich weiße reflektierende Wolken über den Ozean, so verändert sich das Bild, denn sie haben einen großen Einfluss auf den atmosphärischen Strahlungshaushalt. Sie wirken über dem offenen Ozean oder dem Meereis in unterschiedlicher Weise. Unter anderem diese Effekte wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den Flugzeugmessungen untersuchen. „Es ist ein Privileg, dieses einzigartige Stück Erde sehen und erleben zu dürfen. Seine Erhaltung liegt uns sehr am Herzen“, sagt Prof. Dr. Christiane Voigt. Die Wolkenphysikerin leitete das DLR-Team vom Institut für Physik der Atmosphäre auf Spitzbergen.
Vielfältige Messtechnik
„Mit unserem Forschungsflugzeug HALO können wir hoch über den Wolken fliegen. Von dort aus vermessen wir diese und verfolgen die Bewegung der Warmluftmassen“, erläutert Dr. Silke Groß vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre. HALO steht für High Altitude and Long Range Research Aircraft. Mit einer Reichweite von über 8.000 Kilometern und einer maximalen Flughöhe von 15 Kilometern ist der Flieger perfekt geeignet für die arktischen Touren. Ein modernes Verkehrsflugzeug wie der Airbus A320neo erreicht eine maximale Flughöhe von knapp 12 Kilometern bei einer Reichweite von 3.200 Kilometern. Während der HALO-Kampagne kamen vor allem Fernerkundungsmessinstrumente wie Radar und Lidar zum Einsatz. Mit ihnen untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche Arten von Wolken sich über dem kalten Arktismeer bilden, wenn dort Warmlufteinschübe eintreffen. Unterwegs warf das Team an Bord von HALO zahlreiche Messsonden aus großen Höhen ab. Diese sogenannten Dropsonden erfassten während des freien Falls Temperatur, Feuchte, Wind und Druck. Wind und Druck wurden auch von Sonden gemessen, die am Flugzeug angebracht waren. Die Daten lieferten ein gutes Bild von der meteorologischen Situation vor Ort.
Mit den Polarfliegern auf Spitzbergen
Auf Spitzbergen waren die DLR-Forschenden mit ihren Wolkensonden auf dem Polarflieger P5 des AWI direkt in niedrigen Wolken unterwegs. Im Sägezahnmuster ging es im Tiefflug unterhalb von 600 Metern Flughöhe durch kalte Grenzschichtwolken. Mit hochauflösenden Wolkeninstrumenten untersuchte das Team den Einfluss von Erdoberfläche, Meereis, durchbrochenem Meereis oder von dem offenem Ozean auf die Wolkenbildung, ihre Beschaffenheit, die Partikelgrößenverteilung und die Partikelform. „Erste Ergebnisse von HALO-(AC)³ und den Vorgängerkampagnen MOSAIC und AFLUX zeigen, dass die tiefen Wolken im Frühling über dem Ozean einen höheren Wassergehalt sowie größere Partikeldurchmesser haben als über dem Meereis“, so Christiane Voigt. Die weißen Wolken über dem Eis sind vom Satelliten aus kaum von der hellen Eisfläche zu unterscheiden. Über dem dunklen Ozean hingegen verändern tief hängende Eiswolken den Strahlungshaushalt deutlich mehr. Zudem interessierten die Forschenden die unterschiedlichen Wolkeneigenschaften in den Warmlufteinströmungen oder in Kaltluftausbrüchen.
Letztere führen zu spezifischen kammförmigen linienhaften Wolkenmustern, die sich nach Überströmung der Meereiskante in der kalten Luft über dem Ozean bilden. Dabei sind die Flüge in der turbulenten Grenzschicht und in Wolken kein einfaches Unterfangen. „Es ist superspannend, in 60 Meter Höhe über dem Schelfeis zu fliegen. Die Polarflieger sind sehr gut geeignet für diese Flugmanöver und das AWI hat eine langjährige Expertise in der Polarfliegerei“, ergänzt die DLR-Forscherin.
Weil es keinen Hangar gibt, konnte HALO im Winter nicht auf Spitzbergen stationiert werden, die Polarflieger hingegen bleiben auch bei Eiseskälte auf dem Vorfeld. Um Daten zu den Strahlungseinflüssen hoch über den Wolken zu sammeln, wurde der Polarflieger P6 mit Fernerkundungsinstrumenten ausgestattet und führte koordiniert direkt oberhalb der P5 Messflüge durch. Bei besonders interessanten Situationen kamen auch die Forschungsflugzeuge HALO, FAAM und ATR zum Einsatz, um gemeinsam mit den Polarfliegern P5 und P6 die Veränderung der atmosphärischen Strahlungsflüsse in der Arktis, den besonders starken Temperaturanstieg und den Einfluss von Wolken zu untersuchen.
Kalte, komplizierte Forschungsobjekte
Hohe Eiswolken, sogenannte Zirruswolken, sind der häufigste Wolkentyp in der Arktis. Sie beeinflussen das globale Klima immens. Im Allgemeinen haben Zirruswolken eine wärmende Wirkung, da sie die Wärmestrahlung wieder zurück zur Erde reflektieren. Weil sie so kalt sind, geben sie selbst aber wenig Wärme in den Weltraum ab. Gleichzeitig reflektieren sie die Sonnenstrahlung. „Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Effekte macht es unglaublich kompliziert, diesen Wolkentypus zu untersuchen“, sagt die DLR-Atmosphärenphysikerin Silke Groß.
Hinzu kommt, dass sich Erdabstrahlung über Eis und über Wasser in der Temperatur unterscheidet. Außerdem ist die Reflexion der solaren Strahlung vom Sonnenstand abhängig – je nachdem, ob gerade Polarnacht oder Polartag ist – und die Eigenschaften der Wolken, wie Größe, Form oder die Anzahl der Eiskristalle hängen wiederum von äußeren Bedingungen wie Temperatur oder Feuchtigkeit ab. All das beeinflusst, wie Zirren auf die solare und terrestrische Strahlung reagieren und damit wiederum den Wärmehaushalt der Erde.
Aktuell sind die Forschenden dabei, die Daten der Kampagne auszuwerten. „Die ersten Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich die Verteilung der Feuchte in arktischen Zirren von denen in mittleren Breiten unterscheidet“, so Silke Groß. Die relative Feuchte ist ein wichtiger Faktor für die Wolkenbildung. Die Forschenden gehen davon aus, dass sie auch auf die Mikrophysik und den Strahlungshaushalt der Wolken einwirkt. Wenn sich also der Zufluss feucher, warmer Luft in die Arktis erhöht, könnte das die Strahlungswirkung der Region beeinflussen. „In welche Richtung sich die Klimaerwärmung verändern wird, möchten wir mithilfe der Kampagnendaten untersuchen“, ergänzt Groß.
Wettersimulation als Basis für Flüge
Als Basis für die Flugplanung dienten Wettersimulationen der Universität zu Köln und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Diese sagen mithilfe von Daten des Europäischen Wetterdienst – wie Temperatur und Luftdruck – präzise vorher, wann sich in welchen Höhen Wolken bilden werden. Diese Gebiete flog HALO zusammen mit den Polarfliegern ab und überprüfte, wie genau die Simulationen die realen Entwicklungen vorhergesagt hatten. Auf diese Weise können moderne Wetter- und Klimamodelle verbessert werden. Diese Aufgabe wird die Forschenden die nächsten Jahre beschäftigen. „Dass wir die Kampagne überhaupt so erfolgreich durchführen konnten, hatte sicherlich auch mit Glück und Mut zum Risiko zu tun, denn kleinräumige Wetterphänomene detailliert vorherzusehen ist alles andere als trivial“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Manfred Wendisch von der Universität Leipzig. Ein weiterer Punkt, der für den Projektleiter viel mit dem Erfolg der Mission zu tun hat, ist die Zusammensetzung des Teams: Etwa 20 Doktorandinnen und Doktoranden arbeiteten an dem Projekt. „Die jungen Leute kommen auf Ideen, die einem selbst gar nicht einfallen würden. Davon profitieren wir alle und ich bin froh, dass sie dabei waren. Die Mischung macht’s einfach!“, ergänzt Wendisch.
Daten und Fakten zu HALO-(AC)³ | |
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Zurückgelegte Flugstrecke | ca. 107.700 km |
Messflüge | 17 |
Flugzeit | ca. 140 Std. |
Abgeworfene Dropsonden | 347 |
Gesendete Slack-Nachrichten | 23.163 |
Ein Beitrag von Andreas Ellmerer aus dem DLRmagazin 171