Artikel aus DLRmagazin 171: Das DLR geht einer neuen Form der Fortbewegung nach

Gekommen, um zu bleiben?

Das DLR forscht zum Thema Mikromobilität
E-Scooter gehören wie E-Bikes, Segways oder Elektro-Roller zu sogenannten Mikromobilen. Das sind kleine und leichte Fahrzeuge für eher kurze Strecken mit einer maximalen Geschwindigkeit zwischen 25 oder je nach Definition 45 Kilometern pro Stunde.

Trendverkehrsmittel, Umweltretter oder Ärgernis? Mit E-Scootern, E-Bikes und Pedelecs ist die Mikromobilität auf unseren Straßen angekommen. Sie erweitert unsere Optionen, von A nach B zu kommen. Die Erwartungen sind hoch, die Einschätzungen bisher gespalten. Dr. Laura Gebhardt vom DLR-Institut für Verkehrsforschung begleitet das noch relativ junge Thema schon seit seinen Anfängen und gehört zu den wenigen Fachleuten auf diesem Gebiet. Im Interview wirft sie einen Blick auf diese neue Art der Fortbewegung.

Frau Gebhardt, was ist Mikromobilität eigentlich?

: Das ist bereits eine spannende und schwierige Frage. Denn eine klare und einheitliche Definition gibt es bisher nicht. In der Regel fallen darunter kleine und leichte Fahrzeuge für eher kurze Strecken mit einer maximalen Geschwindigkeit zwischen 25 oder je nach Definition 45 Kilometern pro Stunde. Dazu gehören E-Scooter, E-Bikes, Segways oder Elektro-Roller. Einiges davon gibt es schon länger. Aber vor allem der elektrische Antrieb und das Sharing-Prinzip – also leihen und teilen statt kaufen – haben dem Thema Mikromobilität Aufschwung gegeben. So sind zum Beispiel in Deutschland die E-Scooter 2019 quasi über Nacht auf die Straßen gekommen. E-Bikes waren im Sharing-Betrieb etwas früher dran.

Welche Chancen bietet diese Mobilitätsform?

: Eine Motivation ist natürlich die offensichtliche Notwendigkeit, in Zukunft ressourcensparender unterwegs zu sein. Das betrifft sowohl den CO2-Ausstoß als auch den Verbrauch von Flächen. In den stetig wachsenden Städten ist Raum ein knappes Gut. Dessen Verfügbarkeit und Nutzung beeinflussen jedoch die Lebensqualität erheblich. Autos benötigen relativ viel Platz und stehen den Großteil der Zeit herum. Mikromobile, die geteilt werden und in Bewegung sind, können eine Alternative sein. Außerdem können sie als Zubringer für die erste und letzte Meile dabei helfen, die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs zu steigern.

Welche Herausforderungen gibt es für die Forschung?

: Die größte besteht darin, dass es kaum empirisch fundierte und vergleichbare Daten gibt. Mikromobilität ist ein relativ neues Phänomen. Große statistische Erhebungen wie „Mobilität in Deutschland“ werden nur circa alle fünf Jahre durchgeführt und erfassen dieses Thema deshalb noch nicht. Es gibt zwar einzelne Studien und Projekte und man erhält teilweise Einblick in die Nutzungsdaten von Anbietern, dort können wir aber oft nicht genau nachvollziehen, wie die Daten erhoben und ausgewertet wurden.

Welche Erkenntnisse lassen sich bisher festhalten?

: Aus den rund drei Jahren, die E-Scooter auf den Straßen unterwegs sind, wissen wir, dass die durchschnittlich zurückgelegte Strecke etwa zwei Kilometer beträgt. Mikromobilität kommt vor allem für Freizeitzwecke zum Einsatz, der Samstag ist der beliebteste Nutzungstag. Die Nutzenden sind eher jüngere Menschen in Städten sowie Touristen. Während der Corona-Pandemie haben sich die Wege verlängert, wahrscheinlich zu Ungunsten des öffentlichen Nahverkehrs. Die Verkaufszahlen von E-Bikes steigen kontinuierlich und sind während der Pandemie explodiert. Wir sind gespannt, ob diese Entwicklung so weitergeht.

Welche Fragen bewegen Sie und andere Forschende?

: Uns interessiert, wie sich die Potenziale von Mikromobilität am besten heben lassen. Welche Rahmenbedingungen, Förderung und auch Restriktionen brauchen wir dafür? Diese Fragen stehen natürlich in engem Zusammenhang mit unseren generellen Mobilitätsmustern und -routinen. Wie werden sich diese verändern? Wer nutzt Mikromobile für welche Wegstrecken aus welchem Grund? In Frankreich und Spanien kann man schon eine Verlagerung vom Freizeit- und Tourismusbereich hin zu einer breiteren Nutzungsgruppe beobachten. Als Forscherin ist es spannend, solche Entwicklungen quasi hautnah verfolgen zu können und zu untersuchen, was sinnvolle und nachhaltige Szenarien für den Einsatz von Mikromobilen sind. Das DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte untersucht beispielsweise, welche Emissionen bei der Herstellung und Nutzung von Mikromobilen entstehen und welches CO2-Reduktionspotenzial sie gegenüber anderen Fahrzeugen haben. Persönlich interessiert mich auch die Frage, ob diese neuen Verkehrsmittel für bestimmte Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel Jugendliche, neue Statussymbole sind.

„E-Scooter-Fahren statt Laufen oder Radeln ist nicht im Sinn der Nachhaltigkeit.“

Dr. Laura Gebhardt, DLR-Institut für Verkehrsforschung, Abteilung Verkehrsmittel

Und bringt diese neue Mobilitätsform der Umwelt wirklich etwas?

: Dazu müssen die Fahrzeuge adäquat hergestellt, verteilt und eingesetzt werden. Teilweise kann man bei Anbietern von E-Scootern schon beobachten, dass mehr auf Nachhaltigkeit geachtet wird. Um eine möglichst gute Umweltbilanz zu erreichen, sind robuste und langlebige Fahrzeugmodelle, tauschbare Akkus und zum Beispiel das Einsammeln von E-Scootern mit E-Lastenrädern statt mit Dieseltransportern wichtig. Außerdem müssen sich die Nutzenden fragen, welche Wege und Verkehrsmittel sie mit Mikromobilität ersetzen. E-Scooter-Fahren statt Laufen oder Radeln ist nicht im Sinn der Nachhaltigkeit. Daten zeigen, dass Pkw täglich rund 30 Millionen Fahrten zurücklegen, die kürzer sind als zwei Kilometer. In einer DLR-Studie haben wir berechnet, dass mit E-Scootern 13 Prozent der Autofahrten in Deutschland ersetzt werden könnten. Das Potenzial ist also groß und die Frage ist, wie zumindest Teile davon realisiert werden können.

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Elektrische Leichtfahrzeuge können die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors um bis zu 40 Prozent reduzieren. Das zeigte die LEV4Climate-Studie des Instituts für Verkehrsforschung und des Instituts für Fahrzeugkonzepte.

Wie sieht die Zukunft der Mikromobilität aus?

: Im Moment werden Mikromobile als ein zusätzliches und teilweise störendes Verkehrsmittel wahrgenommen. Das führt zu Konflikten, zum Beispiel wenn E-Scooter auf Fahrrad- oder Fußwegen abgestellt werden. Wenn die Verkehrswende, und damit die Abkehr vom eigenen Auto, umgesetzt werden soll, müssen wir auch über die Neuverteilung des Stadtraums sprechen. Durch weniger Autos können Freiräume entstehen, die neu verteilt und genutzt werden können – mit mehr, unterschiedlichen und geteilten Verkehrsmitteln. Im Bereich Mikromobilität wird es wahrscheinlich eine weitere Ausdifferenzierung geben: E-Skateboards oder Segways werden eher Nischenprodukte bleiben. E-Scooter können ein Puzzlestück eines nachhaltigen Verkehrssystems sein, für Distanzen von bis zu vier Kilometern und als Zubringer. Wahrscheinlich wird sich auch bei den E-Lastenrädern einiges tun. Sie könnten verstärkt für Lieferdienste, Stadtreinigung oder andere Dienstleistungen zum Einsatz kommen. Potenzial und Rolle von Mikromobilität stehen und fallen mit den Rahmenbedingungen. Dazu braucht es nicht nur innovative Fahrzeuge, sondern auch den Mut und den Willen, Autofahren weniger attraktiv und weniger notwendig zu machen.

Ein Beitrag von Denise Nüssle aus dem DLRmagazin 171

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