ATV – auf dem Weg zur Startrampe

Bereits 1987 führte die Europäische Weltraumorganisation ESA erste Untersuchungen zu einem ATV-ähnlichen Fahrzeug durch. Nachdem die ESA-Ministerratskonferenz 1992 in Granada beschlossen hatte, das Programm des europäischen Raumgleiters HERMES nicht fortzuführen, erfolgte eine inhaltliche Neuausrichtung der europäischen Beiträge zu einer internationalen Raumstation. Unter dem politischen Namen FREEDOM wurde diese seinerzeit als Kooperation zwischen den USA, Europa und Japan geplant. Losgelöst von der Frage eines eigenen bemannten europäischen Transportsystems, bestand unter den Fachleuten kein Zweifel an der Notwendigkeit, in Europa über bestimmte eigene Schlüsselkapazitäten für die geplante Raumstation, sogenannte Servicing-Elemente, zu verfügen.

1995: Der Raumtransporter ATV ist beschlossene Sache

Zu diesen Schlüsselkompetenzen zählte unter anderem das Automated Rendezvous and Capturing, also die Fähigkeit, selbstständig einen anderen Raumflugkörper im All anzusteuern und an ihm andocken zu können. Eng verbunden hiermit war die Idee eines Automated Transfer Vehicles für den automatischen Frachtverkehr zur Station. Aufgrund der seinerzeit definierten logistischen Anforderungen der Raumstation FREEDOM strebte die ESA bis zu zwei ATV-Flüge pro Jahr an. Für das mit Russland ab 1993 kontinuierlich neu angepasste, in Internationale Raumstation ISS umbenannte Projekt sind bis zum Jahr 2014 fünf ATV-Flüge vorgesehen.

Nachdem die ISS-Betriebskosten ausgemacht worden waren, wurde ein sogenanntes Barter-Abkommen mit der NASA verhandelt. Dieses regelt den Ausgleich der Betriebskosten durch Sachleistungen, sodass die Raumstationspartner möglichst keine Geldmittel untereinander austauschen müssen. Nach dem Beschluss der ESA-Ministerratskonferenz 1995 in Toulouse über die europäische Beteiligung an der ISS ging ATV in die Entwicklungs- und Konstruktionsphase.

Umfangreiches Testprogramm absolviert

Seit Mitte 2004 wurde der Prototyp „Jules Verne” umfangreichen Tests in den Hallen des europäischen Technologiezentrums ESTEC im niederländischen Noordwijk unterzogen. Bei Weltraummissionen muss alles glatt laufen, denn eine Reparatur im All ist nicht möglich. Daher werden alle Manöver, Prozeduren und Funktionen in aufwändigen und teils langwierigen Kampagnen getestet. Dabei werden die extremen Umgebungsbedingungen in der Erdumlaufbahn mit dem sogenannten Thermal Vakuum Test simuliert. Xenon-Hochdruck-Lampen erzeugen bei diesen Tests die entsprechende Solarstrahlung in einer evakuierten und tiefgekühlten Testkammer. Ingenieure testen das ATV und seine Komponenten so unter annähernd realen Weltraumbedingungen. Beim elektromagnetischen Verträglichkeitstest prüfen sie das Zusammenspiel aller elektrischen und elektronischen Komponenten. Unerwartete Störungen, die ein elektrisches Bauteil bei anderen verursachen könnte, lassen sich dadurch aufspüren.

Durchgeschüttelt vor dem Flug ins All

Weiterhin wird ATV einem mechanischen Belastungstest auf einem Rütteltisch, dem sogenannten Shaker, unterzogen. Hier erfährt das Raumfahrzeug alle mechanischen Belastungen, die während der Start- und Aufstiegsphase auf die Raketennutzlast einwirken. Dazu gehören neben den Vibrationen, die von den Raketentriebwerken erzeugt werden, auch die Abwurfvorgänge von Stufen oder der Nutzlastverkleidungen ebenso wie zufällig auftretende Windböen oder Steuermanöver.

Andockmanöver am Boden

Spektakulär waren die Andocktests auf dem Testgelände der französischen Behörde für Wehrtechnik und Beschaffung DGA (Délégation Générale pour l'Armement) nahe Versailles. In einer normalerweise von der Marine genutzten, langen Halle wurden die letzten 300 Meter des autonomen ATV-Anflugs an die ISS mehrfach erfolgreich getestet. Hierfür wurden die Annäherungssensoren des ATV auf einen Roboterarm angebracht. Auf der anderen Seite wurde die Andockstelle des russischen Servicemoduls Swesda als Anflugziel für den Roboterarm nachgebildet.

Ankunft in Kourou

Mitte Juli 2007 wurde ATV-1 Jules Verne in Rotterdam in Richtung Französisch Guyana verschifft. Am 31. Juli erreichte das Frachtschiff MS Toucan mit dem sorgfältig verpackten ATV-1 den Hafen von Kourou. Von dort aus gelangten die Frachtcontainer per Sattelschlepper zum europäischen Weltraumbahnhof.

In den Hallen des Startgeländes wurden die Container von den Ingenieuren entladen. In den Reinräumen bauten sie das ATV zunächst wieder zusammen. Noch ausstehende Tests wurden ebenfalls in Kourou durchgeführt. Im Dezember 2007 begann dann die Startkampagne, das heißt ATV-1 Jules Verne wurde mit der Nutzlast beladen und im Januar 2008 betankt. Gleichzeitig wurde die Trägerrakete Ariane-5 samt der Oberstufe für das ATV integriert und bereitgestellt.

Erfolgreicher erster Start

ATV-1 startete am 9. März 2008 erfolgreich vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou und dockte nach knapp einem Monat an der Internationalen Raumstation ISS an. Während der Andockphase wurde die Nutzlast in die ISS befördert und das ATV anschließend mit circa zwei Tonnen Abfällen der Raumstation und 260 Liter Abwasser befüllt. Am 5. September 2008 löste sich das ATV wieder von der ISS und trat wenige Wochen später kontrolliert in die Erdatmosphäre ein, wo es verglühte.

Auf das ATV-1 folgte am 16. Februar 2011 ATV-2 „Johannes Kepler”. ATV-3 mit dem Namen „Edoardo Amaldi” startete am 23. März 2012, das nach dem deutschen Physiker Albert Einstein benannte ATV-4 brach am 5. Juni 2013 zur ISS auf. Der Start von ATV-5 „George Lemaître” fand am 30. Juli 2014 statt.

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