Die Mission Cosmic Kiss
Wenn ESA-Astronaut Matthias Maurer am 11. November 2021 als Mitglied der Crew-3 von Cape Canaveral (Florida, USA) aus zur Internationalen Raumstation ISS aufbricht, wird er der erste deutsche und zweite europäische Astronaut sein, der mit einer Dragon-Raumkapsel des kommerziellen NASA-Crew-Programms zur ISS fliegt (gleichzeitig ist es sein erster Flug ins All). Mit ihm an Bord werden die NASA-Astronauten Raja Chari, Thomas H. Marshburn und Kayla Barron sein. Maurer löst seinen französischen Astronautenkollegen Thomas Pesquet ab, der sich seit dem 23. April 2021 auf der ISS befindet. Auf Maurer wird wiederum die italienische ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti folgen (voraussichtlich im April 2022). Somit sind zum ersten Mal drei ESA-Astronautinnen und -Astronauten in direkter Folge und durchgehend über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren an Bord der Raumstation. Sie arbeiten dort im Team mit ihren US-amerikanischen, russischen und japanischen Kolleginnen und Kollegen zusammen.
Die Namen und Logos für ihre Missionen wählen die Astronautinnen und Astronauten der Europäischen Weltraumorganisation ESA selbst. Matthias Maurers Mission heißt „Cosmic Kiss“. Der Missionsname ist eine Art Liebeserklärung an das Weltall, an die Raumstation als Bindeglied zwischen Menschheit und Kosmos und an das, was die Menschen dort tun und zukünftig tun werden. Gleichzeitig steht der Name für den Wert der partnerschaftlichen Erkundung des Weltraums und für den respektvollen und nachhaltigen Umgang mit unserem Heimatplaneten. Im Zentrum des Missionslogos befindet sich daher auch die ISS, die über einen menschlichen Herzschlag mit der Erde und dem Mond verbunden ist. Der Herzschlag soll die Leidenschaft und Neugier symbolisieren, die die Menschen bei der Erforschung des Weltalls antreibt, sowie die lebenswissenschaftlichen Experimente, die die Raumstation ermöglicht. Für das Logo hat sich Matthias Maurer von der Himmelsscheibe von Nebra (die älteste bekannte Darstellung des Nachthimmels) und den Datenträgern der Raumsonden Pioneer und Voyager (mit dem gesammelten Wissen über die Menschheit) inspirieren lassen. Sie stehen für die Faszination der Menschheit für den Weltraum und den Wunsch, mehr über die Entstehung des Lebens und das Universum sowie unseren Platz darin zu erfahren. Das Emblem umfasst außerdem verschiedene kosmische Elemente wie die Erde, den Mond, die Sterngruppe der Plejaden (Siebengestirn) und den Mars.
Erde, Raumstation, Mond und weiter…
Matthias Maurer ist einer der derzeit sieben aktiven Astronautinnen und Astronauten der Europäischen Weltraumorganisation. Seit Juli 2015 ist er Mitglied im ESA-Astronautenkorps. Im September 2018 schloss er die 18-monatige Grundausbildung ab und wurde im Dezember 2020 offiziell für seine erste Mission zur ISS nominiert. Zur Missionsvorbereitung hat er Trainingseinheiten im Astronautenzentrum der ESA in Köln, am Johnson Space Center der NASA in Houston, im SpaceX-Crew-Dragon-Cockpit in Kalifornien sowie in Russland, Japan und Kanada absolviert.
Sechs Monate für über 100 Experimente
Mond und Mars haben für Maurer eine besondere Bedeutung. Vor seiner Aufnahme ins Astronautenkorps war er als Projektleiter für die Entwicklung der zukünftigen ESA-Mondsimulationsanlage Luna, einem Gemeinschaftsprojekt von ESA und DLR, in Köln tätig. Außerdem hat er an mehreren geologischen Feldübungen im Zusammenhang mit der zukünftigen Monderkundung teilgenommen. 2016 war er Teil der Crew der NASA-Analog-Mission NEEMO 21. Dafür verbrachte er insgesamt 16 Tage unter Wasser und testete Erkundungsstrategien und Werkzeuge für zukünftige Mars-Missionen.
Matthias Maurers Mission auf der ISS dauert sechs Monate. In dieser Zeit wird der gebürtige Saarländer und promovierte Werkstoffwissenschaftler 36 deutsche sowie mehr als 100 internationale Experimente betreuen und durchführen. Die deutschen Experimente finden mehrheitlich im europäischen Columbus-Labor auf der ISS statt. Sie reichen dabei von Grundlagenforschung bis hin zu anwendungsorientierter Wissenschaft in Bereichen wie Lebenswissenschaften, Materialwissenschaft, Physik, Biologie, Medizin oder Erdbeobachtung.
So werden fundamentalphysikalische Fragestellungen mittels sehr kalter Atome oder die Kristallisation verschiedener Betonmischungen untersucht. Andere Experimente testen Anwendungen nichtinvasiver Diagnostik oder neue antimikrobielle Oberflächen, die nicht nur im Weltraum sondern auch auf der Erde, beispielsweise in Krankenhäusern, eingesetzt werden können. Erfolgreiche Technologieexperimente wie der mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete CIMON-2 assistieren Maurer während seiner Mission und zeigen neue Möglichkeiten der Mensch-Maschine-Interaktion. Auf dem Missionsplan stehen auch zahlreiche biologische und humanphysiologische Experimente – insbesondere zu den Auswirkungen von permanenter Schwerelosigkeit, erhöhter Strahlenbelastung und längerer Isolation auf den Menschen und seinen Metabolismus.
Mit Matthias Maurer forschen: Vielfältige Aktionen für den Nachwuchs
Weitere Informationen zu den Experimenten der Mission finden Sie hier.
Den Nachwuchs für die Raumfahrt zu begeistern und dadurch verstärkt in die naturwissenschaftlich-technischen Bereiche zu bringen, ist ein großes Anliegen des DLR und spiegelt sich auch bei dieser Mission wider. Zu den Maßnahmen für Schulen gehört unter anderem die Aktion „Hand in Hand um die Welt“. Dabei haben schon im Vorfeld der Mission über 1.000 Grundschulkinder „Klassen-Selfies“ gemalt, die teils zu einem zehn Meter langen Bilderstreifen zusammengefügt, teils in elektronischer Form gespeichert mitfliegen werden. Außerdem wird der KI-Assistent CIMON2 Fragen von Schulklassen beantworten und junge Zuschauerinnen und Zuschauer zusammen mit Maurer zu einer Besichtigungstour durch die ISS einladen. Beim Schulwettbewerb der Raumfahrtagentur „Beschützer der Erde – Space for Change“ werden kreative Ideen zum Schutz des Klimas gesucht. Schülerinnen und Schüler im Alter von zwölf bis 14 Jahren sollen mithilfe von Erdbeobachtungsdaten nachhaltige Projekte zum Schutz der Umwelt entwickeln.
Weitere Informationen zu den Aktionen finden Sie hier.
Ein einzigartiges Labor mit außerirdischen Möglichkeiten
Aufgrund der permanenten Schwerelosigkeit bietet die Internationale Raumstation ISS einmalige Bedingungen, die es so in keinem Labor auf der Erde gibt. Das ermöglicht ein besseres Verständnis physikalischer und biologischer Vorgänge auf der Erde und im Weltraum, denn ganz ohne hydrostatischen Druck, Auftrieb, Sedimentation und natürliche Konvektion (durch Dichteunterschiede angetriebene Konvektion) können einzelne Phänomene besser beobachtet und isoliert werden. Ebenso werden hier neue Werkstoffe entwickelt und Technologien getestet.
Die Internationale Raumstation ist auch eine ideale Plattform, um innovative Diagnostiken und Therapien zu entwickeln und zu testen. Hier bietet sich die einzigartige Gelegenheit, reversible Prozesse im Zeitraffer zu beobachten und die Erkenntnisse auf Therapien auf der Erde zu übertragen - von der Zelle auf molekularbiologischer Ebene bis zum Menschen als System. Zum Beispiel lässt sich die Krankheit Osteoporose (Knochenschwund) gut auf der Raumstation untersuchen. Der Zustand anhaltender Schwerelosigkeit führt bei den Astronautinnen und Astronauten zum Abbau der Knochen – dieser Prozess ist vergleichbar mit dem Knochenschwund bei einer Osteoporoseerkrankung (nach ihrer Rückkehr zur Erde kehrt sich dieser Effekt wieder um). Während ihres Aufenthalts auf der ISS führen die Astronautinnen und Astronauten dann beispielsweise Ultraschalluntersuchungen an sich durch oder entnehmen Blut- und Urinproben. So lässt sich gut beobachten, wie genau der Knochenabbau vonstattengeht. Aufgrund der bisherigen Forschungsergebnisse konnten bereits Medikamente entwickelt werden, die gegen Osteoporose helfen.
Seit April 2020 ist die Bartolomeo-Plattform außen am Columbus-Modul befestigt. Sie ist die erste kommerzielle Außenplattform Europas auf der Internationalen Raumstation ISS und bietet Firmen und Forschungseinrichtungen die einmalige Chance, etwa Technologien dort im Weltraum zu testen. Die Experimente und Entwicklungen auf Bartolomeo sind deutlich kostengünstiger, als wenn sie auf Satelliten ins All geschickt würden, da sie keinen eigenen Raketenstart benötigen, sondern auf routinemäßigen Versorgungsflügen zur ISS gebracht werden. Darüber hinaus können die Experimente ausgetauscht oder Proben zur Erde zurückgebracht werden – etwas was bei Satellitenmissionen nicht geht. Das macht die Plattform insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen attraktiv. Die Plattform wurde von Airbus in Bremen gebaut und wird gemeinsam mit dem Columbus-Kontrollzentrum am DLR-Standort Oberpfaffenhofen betrieben.
Die ISS bietet auch ganz besondere Beobachtungsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu Erdbeobachtungssatelliten, die sich auf einer geostationären Umlaufbahn in ca. 36.000 Kilometer Höhe befinden, umkreist die ISS die Erde in „nur“ 400 Kilometer Höhe. Deswegen bietet sie auch die einmalige Möglichkeit, Wetterphänomene, wie Blitze und Entladungen in die Hochatmosphäre zu beobachten, die von Satelliten aus so nicht zu erfassen sind. Die Astronautinnen und Astronauten müssen dafür lediglich aus dem „Fenster“, beziehungsweise der Cupola fotografieren.
Ein weiter Weg bis zur ISS
Damit ein Experiment auf der ISS durchgeführt werden kann, ist es buchstäblich ein weiter Weg – nicht nur, um es von der Erde ins All zur Raumstation zu bringen, – sondern auch von der ersten Idee über die Auswahl für die Mission bis zur tatsächlichen Durchführung durch die Astronautinnen und Astronauten im All. Viele Stationen müssen durchlaufen werden, teilweise werden die Experimente sogar auf den DLR-Parabelflugkampagnen getestet. So finden regelmäßig sogenannte Calls statt, bei denen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihren Projekten bewerben können. Diese werden dann nach dem Best-Science-Prinzip ausgewählt, ebenso finden sogenannte Peer Reviews statt. Grundsätzlich müssen die Experimente wissenschaftlich relevant, technisch machbar und sicher sein – so sind Experimente, die mit Hochspannung und giftigen Stoffen arbeiten oder feuergefährlich sind, ausgeschlossen. Sind sie dann getestet und für einen Flug qualifiziert worden, können sie Teil einer Mission werden.
Hier kommt das Missionsmanagement ins Spiel. Für die deutschen Experimente und Beiträge liegt es bei der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR. Sie ist für die Auswahl und Koordination derselbigen verantwortlich. Typischerweise beginnen die Planungen für eine Mission lange Zeit vor dem Flug zur ISS – bei Cosmic Kiss starteten die Vorbereitungen für die Experimentauswahl Ende 2019.
Ein Teil der Experimente wird finanziert über das nationale Raumfahrtprogramm Deutschlands, das die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR im Auftrag der Bundesregierung steuert. Ein anderer Teil läuft über das ESA-Nutzungsprogramm SciSpacE (Science in Space Environment), in dem Deutschland als Beitragszahler Gelder bereitstellt.
Ebenso gibt es eine Reihe von Experimenten, die über viele Jahre auf der ISS stattfinden, da bei ihnen die Wiederholung und die Statistik von großer Bedeutung sind. Hierzu gehören der Hightech-Schmelzofen EML (Elektromagnetischer Levitator), das Plasmakristallexperiment PK-4 oder die Forschung an Granulaten. Diese werden auch während Cosmic Kiss weitergeführt.
Um die Experimente bestmöglich durchführen zu können, müssen die Astronautinnen und Astronauten vor Missionsstart lernen, wie man diese bedient. Denn die Crew auf der Raumstation ist quasi der verlängerte Arm der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Diese Vorbereitungen machen einen großen Teil ihres Astronautentrainings aus (neben all den anderen Trainingseinheiten für die Bedienung und Steuerung der Crew-Kapsel, das Andocken an die Raumstation, Außenbordeinsätze, Sicherheits- und Überlebenstrainings, der Betrieb der ISS, medizinische Notfallversorgung, Rückkehr zur Erde und Landung – ein Missionstraining umfasst etwa 5.000 Stunden). Zukünftig könnte dieser Teil des Trainings reduziert werden, da KI-gestützte Assistenzsysteme wie CIMON die Astronautinnen und Astronauten bei der Durchführung der Experimente auf der ISS unterstützen könnten.
Bodenkontrolle – Unterstützung rund um die Uhr
Für den Betrieb der Raumstation und die Sicherheit ihrer Besatzung sorgen mehrere Kontrollzentren weltweit. Die Gesamtverantwortung für die Station liegt bei den Missionskontrollzentren der NASA in Houston und von Roskosmos in Moskau. Sind Experimente betroffen, hat das Nutzlastzentrum in Huntsville (USA) die übergeordnete Verantwortung für alle westlichen ISS-Versuchsanlagen. Mit ihnen stehen die anderen Kontrollzentren, die sich um die Nutzlast kümmern, in engem Kontakt.
Für alle Experimente, die im Columbus-Labor der ESA auf der Internationalen Raumstation ablaufen, ist das Columbus Kontrollzentrum (Col-CC) zuständig, das im Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum (German Space Operations Center, GSOC) beim DLR in Oberpfaffenhofen beheimatet ist. Im GSOC arbeiten DLR und ESA eng zusammen und stehen in ständigem Kontakt mit den anderen Kontrollzentren auf der Welt und den Astronautinnen und Astronauten auf der ISS. Lange vor der Mission beginnt hier die Planung und Einbindung neuer Experimente. Das Col-CC ist zuständig für die Steuerung und Kontrolle der Systeme des europäischen Weltraumlabors, die Koordinierung des Betriebs der europäischen Nutzlasten auf der Internationalen Raumstation und den Betrieb des europäischen Bodenkommunikationsnetzes. So bildet es die Nahtstelle zwischen den Columbus-Experimentanlagen auf der ISS sowie den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den europäischen Nutzerkontrollzentren, wie beispielsweise dem MUSC (Microgravity User Support Center) des DLR in Köln. Das MUSC qualifiziert Weltraumexperimente für die Zertifizierung ihrer Flugbereitschaft, unterstützt den Betrieb mit der notwendigen Infrastruktur während des Flugs und macht die archivierten Daten nach jeder erfolgreichen Mission für Nutzer in ganz Europa zugänglich. Im Auftrag der ESA betreibt es die Einrichtungen Biolab, Expose, DOSIS, Materials Science Lab (MSL), FASTER (Facility for Absorption and Surface Tension), European Drawer Rack (EDR) und EML (Electromagnetic Levitator) auf der Internationalen Raumstation.