Für die Fernerkundung Für die FernerkundungTeil 1/4 - Meine ersten Jahre in der DFVLR
Ein persönlicher Rückblick anlässlich des 40-jährigen Bestehens
des Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums (DFD) von Stefan Dech
Einführung
Im Jahr 2020 feiert das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) sein 40-jähriges Gründungsjubiläum.
1980 wurde das heutige DFD – damals noch als Hauptabteilung „Angewandte Datentechnik“ (WT-DA) – im Zuge einer Ausgliederung aus dem Raumflugbetrieb in Oberpfaffenhofen gegründet. Die Initiative hierfür ging von seinem Gründungsdirektor Prof. Winfried Markwitz aus. Er erkannte bereits Mitte der 1970er Jahre, dass Management und Prozessierung von Nutzlastdaten weltraumbetriebener Instrumente zunehmend an Bedeutung gewinnen werden.
Und insbesondere die satellitengestützte Fernerkundung ließ schon damals ihr enormes Potential z. B. für das Umweltmanagement erkennen. So bildete sich auch rasch ein fachlicher Schwerpunkt heraus: Entwicklung und Betrieb von Systemen zur Verarbeitung von satellitengestützten Daten zur Erdbeobachtung. Und diese Mission wurde schon bald auch namensgebend: 1993 erhielt das DFD auch im Außenverhältnis seinen heutigen Namen. Seit dieser Zeit hat sich das DFD sicher in vielerlei Hinsicht gewandelt. Und ist sich gleichzeitig treu geblieben: Unsere fachliche DNA aus den ersten Jahren bestimmt auch heute noch große Teile unseres Aufgaben-Portfolios. Und noch immer sind Mitarbeiter aus den ersten Jahren tätig und prägen bis heute die an Gestaltungswillen, Zuverlässigkeit und Pragmatismus ausgerichtete „Kultur“ des DFD. Zur – auch im internationalen Vergleich – „besonderen“ Einrichtung wurde das DFD aber erst durch die später entwickelte Kombination aus ingenieur- und informatisch/geowissenschaftlicher Kompetenz. Heute vereinen sich Technologie und Forschung unter einem Dach: Von der Datenaufzeichnung bis zur fertigen Analyse in eigens entwickelten Open-GIS-Umgebungen beherrscht das DFD die komplette Systemkette der Fernerkundung.
Anlässlich dieses Jubiläums blickt Stefan Dech – seit 1998 Direktor des DFD – aus seiner ganz persönlichen Perspektive zurück auf wichtige Entwicklungen bis heute.
An dieser Stelle folgt Teil 1 von vier Teilen.
TEIL 1 - Meine ersten Jahre in der DFVLR
Im Sommersemester 1985 sitze ich bei meinem Geomorphologie-Professor Detlev Busche (†) in Würzburg im Büro. Bei ihm habe ich kürzlich auch einen Kurs zur „Luftbild- und Satellitenauswertung“ absolviert, was mich fasziniert hat. Stereo-Luftbildaufnahmen von Würzburg unter dem Stereoskop ausgewertet und anschließend eine thematische Kartierung (freilich noch analog) der Landnutzung in einer Region in Unterfranken auf Basis eines US-amerikanischen Landsat-Multispektralkomposits angefertigt. Meine Begeisterung für die Fernerkundung war geweckt. Gelehrt wurde das Fach Fernerkundung zu dieser Zeit nur in Ansätzen. Das meiste brachte man sich autodidaktisch bei. Jedenfalls stand fest: es war die Richtung, in die ich mich weiterentwickeln wollte. Auch wenn mir als „Physischem Geographen“ bisher besonders die Klimageomorphologie Freude bereitet hatte. Dieser Zweig hatte gerade in Würzburg durch die Forschung von Julius Büdel (†), einem der großen Konzeptentwickler und Lehrer dieser Zeit, große Tradition. Ich fand rasch heraus, dass in Darmstadt eine europäische Raumfahrtorganisation (die ESA) ansässig war, die auch Satellitendaten empfing. Dort wollte ich mich um ein Praktikum bewerben und schlug dies Prof. Busche vor.
„Nein, ich glaube, da gibt es noch etwas Besseres…“ antwortete er. „In Oberpfaffenhofen bei München gibt es die DFVLR, die machen auch viel mit Fernerkundung, aber deutlich angewandter.“ Dort könne man ab 1986 sogar die neuen Daten des 10m auflösenden französischen SPOT-1 Satelliten verarbeiten. „Und Landsat-Daten vertreiben sie auch für Deutschland“. Nachdem meine Bewerbung für ein Praktikum schließlich über den Umweg von Dr. Franz Schlude im damals bekannteren GSOC in der Hauptabteilung Angewandte Datentechnik bei Dr. Rudolf Winter auf dem Schreibtisch landete, bekam ich tatsächlich das Angebot, ab März 1986 in seiner Abteilung ein Praktikum zu absolvieren. Und so stand ich am 1. März an der Pforte und wenig später im Büro bei Margot Pfeil im Vorzimmer von Dr. Winter. Ich wurde einem sehr tatkräftigen Doktoranden im „Waldprojekt“ zu geordnet: Mathias Schardt, heute Professor in Graz und Direktor am Joanneum Research. Und so begann mein berufliches Abenteuer in der DFVLR – Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum!
Erste Jahre als Doktorand
Nach dem Praktikum konnte ich im Sommer als Diplomand zurückkehren und an eigenen Themen arbeiten. 1987 – nach dem Diplom – bot sich mir die Chance, weiter als Doktorand zu arbeiten. Ich hätte tatsächlich nicht zu hoffen gewagt, dass ich diese Gelegenheit bekommen könnte. In der Abteilung von Dipl.-Ing. Jörg Gredel beschäftigte ich mich mit US-amerikanischen NOAA-Daten und der Analyse der Meereisbewegung in der Arktis. Die Teilnahme an einer internationalen Kampagne 1988 in Spitzbergen war mein erstes berufliches Highlight. Ich war noch „Greenhorn“ unter all den gestandenen Wissenschaftlern aus Deutschland und international. Aber schon damals bekam ich Unterstützung von älteren Kollegen. Besonders Dr. Hermann Mannstein (†) und Dr. Peter Wendling vom Institut für Physik der Atmosphäre halfen mir bei der nicht ganz einfachen Planung meiner eigenen Befliegung. Die mehrfach täglich aufgezeichneten NOAA-AVHRR-Daten für die Flugeinsatzplanung der ARKTIS 88-Kampagne – das DFD hatte dafür extra eine Empfangsstation auf dem Flugplatz in Longyearbyen aufgebaut –, bildeten auch die Basis für meine Eisdrift-Analysen. In so hoher zeitlicher Auflösung hatte das damals noch niemand machen können. Ich konnte schließlich auch auf zwei Flügen mit der Falcon und der DO-228 CALM (die unvergessenen „Haudegen“ Helmut Laurson (†) und Peter Vogel (†) waren die Piloten) u. a. in der Ostgrönlandsee die Meereiskante befliegen und eigene Referenz-Aufnahmen mit zwei Hasselblad-Kameras erstellen. Es sollten Stereo-Aufnahmen werden, um die Rauigkeit des Eises abschätzen zu können, aber eine Kamera war defekt (was ich vor Ort nicht bemerkte), und alle Bilder kamen Wochen später als perfekte „Nachtaufnahmen“ im WT-DA-eigenen Fotolabor bei Wilfried Huss raus. Welche Erleichterung, dass wenigstens die zweite Kamera perfekt funktionierte!
Schon damals erlebte ich die DFVLR als einen geradezu „magischen“ Ort, mit Möglichkeiten, die man sonst nur schwer wiederfindet. Und was mich von Anfang an begeistert hat: Es gab nahezu keine naturwissenschaftlich-technisch-informatische Frage, die nicht wenigstens ein Kollege beantworten konnte. Das Wissen war schon damals unglaublich groß, und ich meine, es ist heute noch viel breiter geworden.
Ich war in diesen Jahren nur an Fernerkundung interessiert und heiß auf neue Daten und Ergebnisse. Besonders in den Nächten – zum Leidwesen der Wache – hatten wir Doktoranden freie Bahn und konnten die begrenzten (für damalige Verhältnisse freilich ungeheuren!) Ressourcen nutzen. Ich arbeitete an einem Perkin-Elmer Rechnersystem mit wechselbaren magnetischen Laufwerken für die Datenhaltung und verschiedenen, überwiegend im Haus selbst entwickelten Software-Paketen, v. a. mit DIBIAS und ISM. Spät abends wurden Batch-Jobs aufgesetzt, und morgens konnte man es nicht erwarten, das Ergebnis zu sehen. Stunden, Tage, Wochen und Monate verbrachte ich vor den Bildschirmen. Damals bestehend aus einer Konsole für die ASCII-Kommandoeingabe, einem kleinen Kontrollmonitor, auf dem alle Jobs auf der Perkin Elmer zu sehen waren und einem weiteren System für die interaktive Bildausgabe. Mit Rollkugel statt Maus, versteht sich. Dazu ein TV-Monitor, auf dem ein Bild des Rechnerraums live zu sehen war. Dies war sehr praktisch, konnte man doch sehen, ob Kommandos zum Einlesen von Daten tatsächlich ausgeführt wurden. Leicht zu erkennen an den sich dann schnell drehenden CCT-Bandlaufwerken.
Einstieg ins Berufsleben
Noch vor Abschluss meiner Promotion bat mich zu meiner Verblüffung unser Direktor, Prof. Winfried Markwitz, zu einem persönlichen Gespräch. Recht nervös saß ich schließlich in seinem Büro, frisch bezogen im 2. Stock des Gebäudes 121, das damals den Namen User Data Center, UDC, trug und 1989 in frisch in Betrieb genommen wurde. Was ich denn nach meiner Promotion so vorhätte, frage mich Herr Markwitz. Und ob ich mir vorstellen könnte, zu bleiben. Welche Frage! Schließlich, ob ich denn vom Aufbau der Station GARS O’Higgins gehört hätte. Dort bräuchte man gewissen Sachverstand zu polaren Forschungsthemen, sei doch auch ein enger Dialog mit der nationalen Polarforschungs-Community zu pflegen. Und Zeit für eigene Themen blieb sicher auch noch.
Ein Sechser im Lotto. Mit Zusatzzahl!
So wechselte ich noch vor Abschluss meiner Promotion in die dritte Abteilung von WT-DA. Meine Reise führte mich also von der „Fernerkundungsanwendung DA-FE (Winter)“ über die „Informationssysteme DA-IF (Gredel)“ zur Abteilung „Satellitendatenakquision“ (DA-SN) bei meinem neuen Chef, Dr. Klaus-Dieter Reiniger (†). Dieser galt als hoch erfahren, vielfach erprobt auch unter schwierigen MORABA-Jahren im Ausland und gleichsam auch gefürchtet aufgrund seiner direkten Art. Hinter der rauen Schale verbarg sich aber ein sehr angenehmer und verlässlicher Mensch. Uns beide verband schließlich mehr als berufliche Zusammenarbeit. Klaus Reiniger wurde ab 2001 bis zu seinem Ausscheiden Ende 2006 auch mein Stellvertreter als Direktor des DFD.
Recht schnell bildeten Wolfgang Balzer (als Ingenieur) und ich (als Fernerkundungsanwender) Klaus Reinigers Stellvertretung. Klaus Reiniger und Winfried Markwitz gaben mir freie Hand bei der Umsetzung erster Ideen, im DFD nicht nur Standardprodukte im Bodensegment zu erzeugen, sondern auch regelmäßig geowissenschaftliche Inhalte abzuleiten, also value-adding zu betreiben. Erproben konnte ich es mit den mir gut bekannten AVHRR Daten der NOAA-Satelliten. Was heute selbstverständlich ist, war damals doch eher ungewöhnlich, bedenkt man die konzeptionelle Aufstellung des DFD. Fernerkundungsdaten nutzte man überwiegend in Projekten, also zeitlich und räumlich eher begrenzt, und die Verarbeitungen wurden bei den Nutzern durchgeführt. Mein Ziel war, dekadische Zeitreihen aus den Daten zu erzeugen, um Entwicklungen zu sehen und Ursachen und Auswirkungen erforschen zu können. Und die entstehenden Zeitreihen durch Computeranimationen auch öffentlichkeitswirksam für das DFD in Szene setzen zu können. Mit dieser Idee – zuerst unter der Bezeichnung Feature Data Base gestartet – konnte ich 1991 meine eigene Arbeitsgruppe aufbauen: Value Adding und Visualization.
Bis 1996 wuchs die Gruppe auf 8 Mitarbeiter an. Zusammen mit Thomas Ruppert, einem schon damals geradezu virtuosen Programmierer und IT-Nerd im besten Sinne, überwanden wir viele technische Hürden beim Aufbau des Systems. Zum Glück fand er, neben seiner Hauptaufgabe, ein spezifisches DMS-System für ERS-1 zu testen, Gefallen an meinen Ideen. Wir beschafften uns US-amerikanische Software inklusive eines kleinen X-Band-Aufnahmesystems unter einem Radom. Beides von der Firma SeaSpace aus San Diego. Denn die Zeit der eigenen Softwareentwicklung für die „Bildverarbeitung“ neigte sich spürbar dem Ende entgegen. Zu hoch war der Aufwand, Schritt zu halten mit industriell entstehenden Produkten, zu teuer die Entwicklungen. Wir arbeiteten mit den selbst empfangenen NOAA- und später Terra/Aqua Daten. Inhaltlich konzentrierten wir uns auf Zeitreihen der Meeres- und Landoberflächentemperaturen, Vegetationsindizes und ab 1995 auch auf Ozon-Daten des GOME-Instruments auf ERS-2. So konnten wir schließlich auch wie geplant ab 1992 erste Zeitreihen erzeugen. Und – nachdem ich Robert Meisner für meine Gruppe gewinnen konnte – wenig später auch erste Animationen.
Dies war wohl meine unbeschwerteste Zeit in der DLR, der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt, wie wir jetzt hießen: Wir hatten Freiräume für spannende, selbst entwickelte Projekte wie z. B. der Aufbau eines Nahe-Echtzeitverarbeitungssystems zur Auswertung von ERS-1 SAR-Daten beim BSH, die Bewertung von Rüstungsaltlasten in den neuen Bundesländern mit hyperspektralen DAEDALUS-Daten oder die Analyse der fortschreitenden Verlandung des Aralsees. Es wurde uns nie langweilig. Und buchstäblich überredet von Winfried Markwitz und dem Lehrstuhlinhaber für Physische Geographie in Würzburg, Prof. Horst Hagedorn (†), begann ich an meiner Habilitation zu arbeiten, die ich 1997 fertigstellen konnte.
Gleichzeitig war es die Zeit, in der sich bereits größere Transformationen im Haus ankündigten. Nach einer hervorragenden Überprüfung 1993 wurde die Hauptabteilung Angewandte Datentechnik auch im Außenverhältnis fortan formell als „Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum“ geführt. Aus WT-DA wurde das DFD. Erneut ein richtungsweisender, strategisch bedeutsamer Schritt unseres Direktors Winfried Markwitz. Ziel war, als Institution in der DLR, die Versorgung der nationalen Nutzergemeinde mit Fernerkundungsdaten sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass diese auch langfristig verfügbar bleiben. Uns wurden nach der guten Überprüfung auch neue Stellen zugeordnet, die das DFD weiter stärken sollten. Nachdem Rudolf Winter zur EU als Direktor des Space Applications Institutes ins italienische Ispra wechselte, berief mich Winfried Markwitz 1996 zu Rudolf Winters Nachfolger als Leiter der Abteilung Fernerkundungsanwendung, und ich integrierte meine eigene Arbeitsgruppe aus der Abteilung von Klaus Reiniger in den neuen, erweiterten Kontext.
Aus dem damaligen Portfolio der Abteilung „FE“ sind bis heute vier eigenständige Abteilungen im DFD entstanden, die sich mit Fernerkundung und Geoforschung sowie Computeranimation beschäftigen: „Atmosphäre“ (Prof. Michael Bittner), „Dynamik der Landoberfläche“ (Prof. Claudia Künzer), Georisiken und zivile Sicherheit“ (Prof. Günter Strunz) und „Wissenschaftskommunikation und Visualisierung“ (Dipl.-Geogr. Nils Sparwasser). Insgesamt ca. 120 Mitarbeitende umfasst der Bereich heute. Die Arbeit in diesen Abteilungen prägt heute neben der „klassischen“ DFD-Datentechnik und unseren weithin sichtbaren Bodenstationen zu einem wesentlichen Teil die Sichtbarkeit des DFD.