Modellierung und Retrieval

Fernerkundung bedeutet berührungslose Messung. Über große Distanzen – etwa von einem Satelliten aus, der die Erde vom Weltraum aus beobachtet – wird heute eine Vielzahl geo- und biophysikalischer Parameter des Erdsystems beobachtet. Die physikalische Grundlage hierfür bildet die Wechselwirkung elektromagnetischer Strahlung mit der Erdoberfläche sowie mit den Gasen und Partikeln in der Atmosphäre. Satelliten werden etwa seit Anfang der 70er Jahre im größeren Umfang als Plattform für verschiedenste Instrumente – je nach Fragestellung - zur Erdbeobachtung eingesetzt. Je nachdem, ob beispielsweise die Beobachtung der Vegetation, der Verteilung der Wolken, der Gase in der Atmosphäre oder etwa die Bestimmung der Temperatur der Meeresoberfläche von Interesse ist, werden verschiedene Wellenlängenbereiche des elektromagnetischen Spektrums verwendet und die Messinstrumente jeweils entsprechend ausgelegt. So wird der für das menschliche Auge sichtbare Bereich des Lichts (etwa 0,4 Mikrometer (violett) – 0,7 Mikrometer (rot)) häufig zur Analyse des globalen Wettergeschehens verwendet. Messungen im kürzerwelligen ultravioletten und längerwelligen infraroten Spektrum dienen häufig zur Beobachtung von atmosphärischen Spurenstoffen. Sehr viel größere Wellenlängen im Bereich von etwa 3 Zentimeter – 25 Zentimeter werden zur Abtastung etwa des Reliefs der Erdoberfläche benutzt.

Der Atmosphäre als Bindeglied zwischen der Erdoberfläche auf der einen und dem Weltraum auf der anderen Seite kommt bei der Beobachtung und der Prognose des Klimawandels eine besondere Bedeutung zu. Ihre vielfältigen gasförmigen, flüssigen und festen Substanzen formen ein komplexes Geflecht aus ineinandergreifenden und sich wechselseitig beeinflussenden Phasenübergängen, Strahlungs- und Streuprozessen sowie dynamischen und chemischen Vorgängen, die insbesondere eben auch Wechselwirkungen mit der Erdoberfläche und dem Weltraum beinhalten. Unsere Fähigkeit, vom Weltraum aus auf uns selbst herabzuschauen, gewährt uns dabei wertvolle Über- und Einblicke in die Atmosphäre. Die satellitengestützte Erdbeobachtung ermöglicht die integrale Beobachtung dieses Systems – integral im Sinne der möglichst umfassenden, gleichzeitigen, validierten Messung einer Vielzahl von geophysikalischen Parametern und dieses über längere Zeiträume mit homogener Genauigkeit global und flächendeckend. Fallstudien und Stichproben, sowohl zeitlich wie räumlich, sind aufgrund der hohen Variabilität der Atmosphäre nicht ausreichend; sie erlauben keine Unterscheidung zwischen einem Klimatrend und einer Episode.

Aber Satelliten können nicht alles. Die komplexen Messinstrumente sind jeweils auf die Beobachtung vergleichsweise weniger geophysikalischer Parameter ausgelegt. Ein Beispiel: so beobachtet etwa das europäische GOME-Instrument an Bord des MetOp-Satelliten das atmosphärische Ozon, liefert aber nur eingeschränkt Aussagen über viele andere Spurengase, die für das Verständnis der Ozonchemie erforderlich sind. Umlaufende Satelliten überfliegen zudem den gleichen Ort der Erde nahezu stets zur gleichen Tageszeit. Variationen über den Tag – wichtig etwa bei der Beobachtung der Luftverschmutzung – werden so nicht erfasst. Satellitenbeobachtungen alleine liefern also ein recht schwierig zu interpretierendes Datenvolumen: jeder Datenpunkt wird zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort aufgenommen. Man spricht von einer asynoptischen Abdeckung der Messungen. Um nun z.B. aus diesem sehr heterogen verteilten Datenmuster etwa einer Ozonsäulenmessung zu einer synoptischen Abdeckung – also einer flächendeckenden Verteilung etwa der globalen Chlornitratverteilung zu beliebig wählbaren Zeitpunkten und in beliebigen Höhenstufen zu kommen, werden die Daten des Satelliten einem numerischen Computermodell injiziert, welches unser gegenwärtiges Wissen über die physikalischen und chemischen Vorgänge in der Atmosphäre verknüpft. Das Modell ermöglicht dann den Rückschluss auf den Zustand von Spurengas A, wenn Spurengas B bekannt ist. Diesen Vorgang nennt man „Datenassimilation“.

Die Kombination von Daten und Modellen ermöglicht heute die Ableitung einer Vielzahl von Informationen und trägt bei zum Verständnis der Prozesse des Erdsystems. Verständnis ist wiederum die Voraussetzung für die Erstellung von belastbaren Prognosen, also für die Abschätzung der zu erwartenden Entwicklung etwa der Atmosphäre wenn verschiedene Stellgrößen des Erdsystems (z.B. Luftverschmutzung) verändert werden.

Die Beiträge in diesem Kapitel zeigen an Beispielen schlaglichtartig auf, wie durch Kombination von Satellitenmessungen mit Modellen Informationen gewonnen werden und wie diese unser Wissen um die Vorgänge des Erdsystems verbessern helfen.

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Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Michael Bittner

Abteilungsleitung
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Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum (DFD)
Atmosphäre
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