14. Juli 2014

Der verfrühte Frühlingseinbruch 2014 im Licht langer Zeitreihen

NDVI-(Normalized Difference Vegetation Index) Monatsmittel für Mitteleuropa im April 2014

Angesichts des wechselhaften und regnerischen Sommers ist es schon fast in Vergessenheit geraten. Aber der Frühling 2014 war ungewöhnlich warm, die Sonne schien länger als in anderen Jahren und es gab weniger Niederschläge als sonst. Diesen Eindruck bestätigen auch die Messungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Aber nicht nur das Wetter zeigte sich von seiner sonnigen Seite, auch die Vegetationsentwicklung setzte früher ein als sonst. Kirsche, Huflattich, Löwenzahn, oder auch Buschwindröschen blühten rund 2 Wochen früher als im langjährigen Mittel (Quelle: Meteoswiss).

Das Ergrünen der Natur kann man auch in Zeitreihen von Satellitenbildern sehen. Mit Hilfe eines Vegetations-Index - z.B.  dem NDVI (Normalized Difference Vegetation Index) – kann die langjährige Vegetationsentwicklung aus optischen Satellitendaten beobachtet, verglichen und bewertet werden. Der NDVI ist ein Maß für die Vegetationsdichte – je „grüner“ das Land ist, desto höher sind auch die NDVI-Werte. Am EOC werden seit 20 Jahren AVHRR Satelliten-Daten in 1.1 km Auflösung (im Nadir) empfangen und daraus wird der NDVI täglich operationell berechnet und archiviert. In der Abbildung 1 sieht man gemittelte AVHRR-NDVI-Werte über Europa im Jahresverlauf. Die durchgezogene Linie repräsentiert dabei ein 20-jähriges Mittel, die farbigen Kreuze zeigen die Jahre 2011 bis 2014. Das Jahr 2014 zeichnet sich von Anfang an durch erhöhte Werte aus. Während die Werte im Januar und Februar durch fehlenden Schnee erhöht sind, zeigen sich v.a. im März und April deutlich höhere Werte, als in den vorherigen Jahren.

Abbildung 1: Jahresverlauf des NDVI

Interessant an dieser Abbildung sind ebenfalls die deutlich erhöhten Werte aller Jahre 2011 bis 2014 gegenüber dem 20-jährigen Mittelwert. Obwohl die Daten einer Korrektur für die unterschiedlichen Spektralempfindlichkeiten der verschiedenen AVHRR-Sensoren unterworfen wurden, lässt sich eine regional unterschiedlich stark ausgeprägte Entwicklung zu höheren NDVI-Werten feststellen. Trends dieser Art wurden auch von anderen Gruppen festgestellt und sind Forschungsgegenstand. Zu welchem Anteil nun die erhöhten NDVI-Werte von 2014 auf den verfrühten Frühlingseinbruch zurückzuführen sind, und zu welchem Anteil sie Teil des langjährigen Trends sind, bleibt Thema der aktuellen Forschung. Genauso bleibt abzuklären, welche Auswirkungen Effekte wie  die kontinuierliche Verschiebung der Aufnahmezeitpunkte pro Sensor (Orbit-Drift), Veränderung der gemessenen Reflektanzwerte durch unterschiedliche Aufnahme- und Einstrahlungswinkel der Sonne (BRDF-Bidirektionale Reflektanzverteilungsfunktion), die Wolkenverteilung oder die Degradation der Sensoren, welche aufgrund fehlender On-Board-Kalibrationsmöglichekeiten teilweise unkorrigiert bleiben, an den Kurven haben.

Um solche und andere vertiefte Analysen zu ermöglichen, gibt es am DFD das TIMELINE Vorhaben, welches sich zum Ziel gesetzt hat, das DFD AVHRR Rohdaten-Archiv der letzten 30 Jahre vollständig zu höherwertigen Produkten zu reprozessieren. Der NDVI ist dabei nur eines von vielen Zeitreihen-Produkten, welche sich in den fünf Kategorien „Satelliten-Beobachtungen“, „Strahlungsvariablen der Oberfläche“, „Landoberfläche“, „Kryosphäre“ und „Atmosphäre“ wiederfinden. Informationen zu TIMELINE finden sich unter www.dlr.de/timeline.

Angesichts der beobachteten erhöhten Werte des NDVI im Jahre 2014 lohnt auch einen Blick auf die großskaligen Zirkulationsmuster in der Atmosphäre. In den mittleren geografischen Breiten charakterisieren maßgeblich sogenannte planetare Wellen die Strömungsmuster der Luftmassen auf kontinentalen und globalen Skalen. Die Strömungsmuster sind eine direkte Folge der Erdrotation und werden durch die Kräftebilanz aus Coriolis- und Druckgradientkraft gesteuert.

Das DFD ermittelt täglich die Aktivität dieser planetaren Wellen auf der Grundlage satellitenbasierter Messungen der Ozonsäulenkonzentration. Die Ozonsäulenkonzentration steht für die Menge des Ozongases innerhalb einer imaginären Säule mit einer Grundfläche von einem Quadratmeter, welche von der Erdoberfläche bis an den Rand zum Weltraum reicht. Das stratosphärische Ozon, welches den Hauptteil an der Ozonsäule ausmacht, weist eine vergleichsweise lange Lebensdauer auf.  Es kann daher gewissermaßen als Kontrastmittel verwendet werden, um die Strömungsmuster in der Atmosphäre sichtbar zu machen. In Abbildung 2 zeigen sich Gebiete mit vergleichsweise hohen Ozonsäulenkonzentrationen, die drei Maxima entlang eines Breitenkreises formen (sogenannte „Welle-3-Struktur“).

Abbildung 2: Ozonsäulenkonzentrationen der OMI Daten des AURA-Satelliten in Dobson Units [DU] für den 25.04.2014

Der im DFD entwickelte Dynamical Activity Index (DAI) ist ein einfacher Index, der die mittlere zonale Aktivität einer planetaren Welle beschreibt. Er wird für einen Breitenbereich von 50° N (um den Einfluss des polaren chemischen Ozonabbaus auf den DAI zu reduzieren) bis zum Äquator berechnet (Abb. 3). Eine spektrale Zerlegung nach den zonalen Wellen 1 bis 5 liefert die jeweiligen Wellenamplituden, die anschließend über alle Breiten gemittelt werden.

Abbildung 3: Summe des DAI in Dobson Units [DU] für die Wellen 1 bis 4 für das Jahr 2014 (grüne Kurve) und 2013 (rote Kurve), sowie für einen 20-jährigen Mittelwert von 1994 bis 2014 (schwarze Kurve). Dargestellt sind für alle Kurven 7-Tages-Mittel.

Der sich ergebende Jahresgang des summierten DAI der zonalen Wellen 1 bis 4 (siehe Abb. 3) mit geringer Aktivität im Sommer und hoher Aktivität im Winter entspricht der Erwartung.  Planetare Wellen können sich vornehmlich bei Westwind (also hauptsächlich im Winter) aus der Troposphäre in die Stratosphäre ausbreiten. Das Frühjahr 2014 (grüne Kurve) liegt tendenziell etwas unter dem 20-jährigen Mittelwert (schwarze Kurve) ebenso wie das Jahr 2013 (rote Kurve). Dies bedeutet, dass im Mittel der meridionale Transport von Luftmassen in diesen Jahren gegenüber dem mittleren Zustand geringer ausfällt.

Zu den dramatischsten Änderungen der atmosphärischen Zirkulation führen sogenannte Stratosphärenerwärmungen. Hierbei handelt es sich um plötzliche Überhöhungen der planetaren Wellenaktivität. Dies kann etwa durch eine resonante Welle-Welle-Wechselwirkung zwischen stationären und laufenden Anteilen der planetaren Wellen erzeugt werden. Wird die Überhöhung zu groß, wird das Wellenfeld instabil: die Welle bricht – ganz analog zu einer Wasserwelle, die auf das Ufer zuläuft. Die im Bild sichtbaren starken Einbrüche der Wellenaktivität (z. B. Dezember 2013 oder Februar 2014) weisen auf solche Stratosphärenerwärmungen hin. Offenbar gab es im Frühjahr 2014 eine besonders stark ausgeprägte Stratosphärenerwärmung (grüne Kurve). Die Folge einer solchen Erwärmung ist die Verschiebung des polaren Wirbels weg vom Pol, derart, dass dann die globale Zirkulation vermehrt kalte Luftmassen nach Nordamerika leitet, während Europa eher milde Luftmassen erhält. Dieser Effekt könnte zu den beobachteten hohen Temperaturen im Frühjahr 2014 beigetragen haben und damit den Verlauf des NDVI beeinflusst haben. Eine genaue Klärung der Prozesse erfordert allerdings weitergehende, sorgfältige Untersuchungen.

Vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung ist zu erwarten, dass sich das Temperaturgefüge – und damit auch das meridionale Temperaturgefälle verändert. Dies hätte unmittelbar Konsequenzen für die Aktivität planetarer Wellen und damit möglicherweise auch indirekten Einfluss auf den Zustand der Vegetation.