9. Oktober 2024 | Mission Mars Express

Ungewöhnliche Landschaftsformen am Mars-Südpol

  • Neue Bilddaten der Marskamera HRSC des DLR zeigen das Gebiet „Australe Scopuli“ in der Südpolregion des Mars.
  • Dort gibt es eine erstaunliche Vielfalt ungewöhnlicher Landschaftsformen.
  • Sie entstehen durch die jahreszeitlichen Veränderungen und die damit einhergehenden Prozesse.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Planetenforschung, Mars

Diese Bilder der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebenen, hochauflösenden Stereokamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express zeigen die erstaunliche Vielfalt ungewöhnlicher Landschaftsformen in der Südpolregion des Mars. Helle und dunkle fächerförmige Ablagerungen, weiß-gepunktete Regionen und polygonale Muster prägen das Bild. Der Grund, warum es gerade hier einen so ungewöhnlichen Formenschatz gibt, sind die jahreszeitlichen Veränderungen und die damit einhergehenden Prozesse.

Diese HRSC-Aufnahmen entstanden Anfang April 2024 – zur Zeit des Frühlings in der südlichen Hemisphäre des Mars. Die hier gezeigte Region namens „Australe Scopuli“ scheint erst kürzlich von der dicken Winterdecke aus Frost befreit worden zu sein.

Während die permanenten Polkappen des Mars hauptsächlich aus Wassereis bestehen, bilden sich jeden Winter saisonale Polkappen darüber, die hauptsächlich aus Kohlendioxid-Eis bestehen. Ab Herbst kondensiert das Kohlendioxid der Marsatmosphäre durch die sinkenden Temperaturen und „rieselt“ als Kohlendioxid-Eis auf die Oberfläche, wodurch die Polkappen wachsen und im Spätwinter Regionen bis zu 55 Grad Breite reichen. Dieses Eis verdampft – in der Fachsprache: es sublimiert – im Frühjahr durch die höheren Temperaturen teilweise und setzt dabei große Mengen an Gas in die dünne Marsatmosphäre frei. Diese Prozesse bilden sonderbare Gebilde auf der Oberfläche der Polargebiete, die die Marsforschung als „cryptic Terrain“ bezeichnen.

Fächer, polygonale Muster und gepunktete Böden – ein kryptisches Terrain in der Region „Australe Scopuli“

Die linke Seite des ersten Bildes (in der Bildergalerie oben) wird von einem mächtigen Stapel geschichteter Ablagerungen dominiert, die aus einer Mischung aus Kohlendioxid-Eis und Staub bestehen. Die rechte Seite des Bildes zeigt die glatte Oberfläche der polaren Schichtablagerungen. In der Bildmitte sind die tiefergelegenen Bereiche der Region zu sehen, in denen dunklere Farbtöne dominieren. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass die Oberfläche von einem Muster aus Polygonen unterschiedlicher Größen bedeckt ist.

Perspektivischer Blick aus östlicher Richtung auf den Übergang von den geschichteten Ablagerungen zum Frostmusterboden
Mit den aus den Stereo-Bildkanälen des Kamerasystems HRSC auf der ESA-Raumsonde Mars Express erzeugten digitalen Geländemodellen lassen sich perspektivische Ansichten erzeugen, also solche Blicke auf die Marslandschaft erlauben, als würde man aus einem Flugzeug auf sie herabschauen. Links sieht man einen Teil der geschichteten Ablagerungen, rechts und links davon deren glatte Oberflächen und im rechten Bildteil schließt sich der Frostmusterboden mit den hellen und dunklen fächerförmigen Ablagerungen an.
Credit:

ESA/DLR/FU Berlin (CC BY-SA 3.0 IGO)

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Auf der Erde sind diese polygonalen Muster typische Merkmale periglazialer Gebiete in arktischen und antarktischen Regionen und weisen auf das Vorhandensein von Eis im Boden hin. „Periglazial“ bezieht sich auf Landschaften und Prozesse, die in Gebieten mit dauerhaftem Frost (dem sogenannten Permafrost) auftreten. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen: peri bedeutet „um ... herum“, und glacies bedeutet „Eis“. Polygone entstehen auf der Erde durch Bodenbewegungen durch wiederholte Gefrier- und Tauzyklen des Bodeneises im Laufe mehrerer Jahre und sogar Jahrhunderte. Die dadurch entstehenden polygonalen Risse füllen sich dann entweder mit Eis, Geröll, Sand oder bleiben offen. Auf dem Mars wird die Bildung dieser Polygone eher durch zyklische Temperaturschwankungen über längere Zeiträume verursacht, die sich entweder mit Sand füllten oder offenbleiben. Solche Landformen werden auch als „Frostmusterböden“ bezeichnet.

An vielen Stellen in den Bildern ist die Oberfläche von weißen oder dunklen Punkten gesprenkelt, die sich bei genauerem Hinsehen als fächerförmige Ablagerungen entpuppen. Die Fächer sind dabei immer in die Richtung der vorherrschenden Winde ausgerichtet und ihre Länge reicht von einigen Dutzend bis zu mehreren hundert Metern. Die dunklen Fächer bestehen aus feinkörnigen, dunklen Sanden und die hellen Fächer aus Kohlendioxid-Frost. Beide Typen entstehen aber durch den gleichen Prozess: die Ausgasung von in der Eisdecke enthaltenem Kohlendioxid-Gas in Form von Gas-Eruptionen, auch CO2-Jets genannt. Ihre Aktivität wird von der Sonneneinstrahlung bestimmt.

Wie auf den Bildern zu erkennen ist, bestehen die polaren Eiskörper des Mars immer aus Wechsellagerungen von Eis und dunklem Staub oder Sand. Wenn das Sonnenlicht im zeitigen Frühjahr durch die durchscheinende CO2-Eisschicht dringt und das darunter liegende dunkle Substrat erwärmt, wird die Sublimations-Temperatur des Eises schnell erreicht und es bilden sich Taschen mit unter Druck stehendem Gas. Schließlich reißt die Eisdecke, das Gas entweicht und bildet CO2-Jets. Das entweichende Gas reißt einen Teil des feinkörnigen dunklen Sandes wie in einer Fontäne mit und befördert es an die Oberfläche, wo es in Form von dunklen Fächern ablagert wird.

(3D-) Anaglyphenbild der Südpolregion „Australe Scopuli“
Aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche gerichteten Nadirkanal des vom DLR betriebenen Kamerasystems HRSC auf der ESA-Sonde Mars Express und einem der vier schräg blickenden Stereokanälen lassen sich sogenannte Anaglyphenbilder erzeugen. Sie ermöglichen bei der Verwendung einer Rot-Blau- oder Rot-Grün-Brille eine dreidimensionale Ansicht der Landschaft und geben dem Betrachter eine räumliche Vorstellung der Höhenunterschiede. Bei solcher Betrachtung lassen sich subtile topografische Details ausgezeichnet untersuchen. Ein Beispiel: der tiefergelegene Bereich in der Bildmitte mit den dunklen Ablagerungen und dem Frostmusterboden.
Credit:

ESA/DLR/FU Berlin (CC BY-SA 3.0 IGO)

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Nach dieser ersten Aktivitätsphase, in der sich dunkles Material auf der Eisoberfläche ablagert, setzt eine zweite Phase ein, in der die Eisschicht mit dem dunklen Material auf ihr interagiert. Wissenschaftliche Theorien besagen, dass die hellen Fächer entweder durch Re-Kondensation von Eis entstehen oder dass helle Fächer auch aus dunklen Fächern entstehen können. Wenn dunkle Sandkörner durch die Eisschicht sinken, absorbieren sie Sonnenlicht und erwärmen das Kohlendioxid-Eis, das sublimiert und ein Loch hinterlässt. Neues Kohlendioxid-Eis re-kondensiert auf den sinkenden dunklen Körnern. Dieser Prozess führt zu einem hellen Fächer an der Stelle der dunklen Sandkörnchen.

Eine andere Hypothese besagt, dass der wärmere dunkle Sand oder Staub an der Oberfläche einen Effekt im Eiskristall erzeugt, der die Transparenz des Eises stark verringert. Das führt zu einer starken Lichtreflexion des Fächers im Vergleich zum umgebenden Material, was ihn hell/weiß erscheinen lässt. Im Allgemeinen entwickeln sich die Fächer nur während des lokalen Mars-Frühlings, bis die komplette (durchsichtige) saisonale Eisschicht von der Oberfläche verdampft ist und die Fächer nicht mehr von der darunter liegenden Oberfläche zu unterscheiden sind.

Bildverarbeitung

Die Bilder wurden von der HRSC (High Resolution Stereo Camera) am 2. April 2024 während Mars-Express-Orbits 25.569 aufgenommen. Die Bodenauflösung beträgt etwa 16 Meter pro Pixel und das Bild ist auf etwa 265 Grad Ost und 85 Grad Süd zentriert. Das Farbbild wurde aus den Daten des Nadirkanals, dem senkrecht zur Marsoberfläche ausgerichteten Sichtfeld, und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Die schräge perspektivische Ansicht wurde aus dem digitalen Geländemodell, dem Nadirkanal und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Das Anaglyphenbild, das bei Betrachtung mit einer Rot/Blau- oder Rot/Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck von der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal abgeleitet. Die farbkodierte topografische Ansicht basiert auf einem digitalen Geländemodell (DGM) der Region, aus dem sich die Topografie der Landschaft ableiten lässt. Der Referenzkörper für das HRSC-DGM ist eine Mars-Äquipotentialfläche (Areoid), also eine gedachte Fläche gleicher Anziehungskraft.

HRSC ist ein Kameraexperiment, das vom DLR entwickelt wurde und betrieben wird. Die systematische Verarbeitung der Kameradaten fand am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof statt. Die Arbeitsgruppe Planetenforschung und Fernerkundung an der Freien Universität Berlin hat die Daten verwendet, um die hier gezeigten Bildprodukte zu erstellen.

Mapserver

Download-Link für freigegebene Rohbilder und DGMs der Region in GIS-fähigen Formaten

Weiterführende Links

Das HRSC-Experiment auf Mars Express

Die hochauflösende Stereokamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Das Wissenschaftsteam unter der Leitung von Dr. Daniela Tirsch, Principal Investigator (PI), besteht aus 50 Co-Investigatoren aus 35 Institutionen und elf Ländern. Die Kamera wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben.

Kontakt

Elke Heinemann

Leitung Digitale Kommunikation
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-1852

Dr. Daniela Tirsch

Principal Investigator HRSC
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin