Perspektivwechsel für die Verkehrswende
- Die bevorzugte alltägliche Mobilität verzerrt die Wahrnehmung von Umgestaltungsmaßnahmen zur Verkehrswende.
- Das Projekt EXPERI weist eine Datenlücke zur Auto-Infrastruktur abseits der Straßen auf.
- Verkehrsforschende veröffentlichen eine Broschüre mit Impulsen für die urbane Verkehrswende.
- Schwerpunkte: Verkehr, urbane Mobilität
Der Straßenverkehr ist vielerorts geprägt von Staus und Lärm. Der große Ressourcenverzehr der heutigen Verkehrssysteme, wie etwa der Verbrauch fossiler Kraftstoffe, soll durch die Verkehrswende gesenkt und die allgemeine Lebensqualität gestärkt werden. Im Projekt EXPERI wurde erforscht, wie die Verkehrswende in Städten gelingen kann. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) waren daran beteiligt. Dazu wurden Straßen für einen begrenzten Zeitraum verändert, um festzustellen wie mehr Aufenthaltsqualität für den Fuß- und Radverkehr geschaffen werden kann. Im Rahmen von Realexperimenten wurden drei Berliner Straßenabschnitte in Charlottenburg, Schöneberg und Kreuzberg temporär in verkehrsberuhigte Aufenthaltsflächen umgewandelt.
Einfluss der täglichen Routine
Die Mobilitätsforscherin Dr. Julia Jarass vom DLR-Institut für Verkehrsforschung konzentrierte sich auf die Akzeptanz der Umgestaltungsmaßnahmen. „Es zeigte sich, dass vor allem eine häufige Autonutzung, nicht der bloße Besitz eines Autos, die Zustimmung zu Umgestaltungsmaßnahmen sinken lässt“, sagt Julia Jarass. „Dies hängt damit zusammen, dass alle Verkehrsteilnehmenden den Raum in der Stadt aus der Sicht des eigenen Verkehrsmittels wahrnehmen. Verkehrsberuhigungen wirken sich als Teil von Umgestaltungsmaßnahmen vor allem den Autoverkehr negativ aus, sodass die Betroffenen zunächst keine positiven Effekte für sich sehen“, führt die Verkehrsforscherin weiter aus. Daher ist es für die Verkehrswende besonders wichtig, dass Autofahrende andere Mobilitätserfahrungen mit anderen Verkehrsmitteln machen und die Stadt dadurch auch anders wahrnehmen. Ansonsten sehen sie sich vor allem mit negativen Effekten konfrontiert und lehnen die Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung ab.
Nicht nur das Auto an sich verbraucht Platz
Weitere Untersuchungen im Rahmen des Projekts am Beispiel Berlin zeigen, dass Autohäuser, Tankstellen und Parkhäuser große Flächen beanspruchen, die größer sind als der gesamte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, jedoch statistisch meist nicht als Verkehrsinfrastruktur erfasst werden. Konkret verbraucht die Auto-Infrastruktur abseits der Straßen (die sogenannte „Off-street-Auto-Infrastruktur“, OSAI) in Berlin über 22 Quadratkilometer. „Dieser Flächenverbrauch wird allerdings in den Statistiken nur unzureichend abgebildet - lediglich 5,5 Prozent werden als Verkehrsfläche erkannt“, erklärt Alexander Czeh vom DLR-Institut für Verkehrsforschung. Dies wirft ein neues Licht auf den realen Flächenverbrauch und die Notwendigkeit einer umfassenden statistischen Erfassung, um ein fundiertes Verständnis für die städtische Mobilitäts- und Raumplanung zu entwickeln.
Impulse und Lösungsansätze
Die Forschungsgruppe EXPERI präsentiert nun eine Sammlung von innovativen Vorschlägen, um Städte nachhaltiger und lebenswerter zu gestalten. In der Broschüre „Impulse für die urbane Verkehrswende“ finden sich insgesamt 18 Ansatzpunkte, über sechs Themengebiete verteilt. Dabei werden Themenkomplexe von den Konfliktpotenzialen und Umgestaltungsmaßnahmen bis hin zu der Einbindung verschiedenster Akteure aufgegriffen.
Ein Lösungsansatz für Minderung des Konfliktpotentials wäre, neue Mobilitätserfahrungen für Autofahrende anzubieten. Dies wurde in Rotterdam praktiziert, wo Menschen für einen Monat auf ihr Auto verzichten und im Gegenzug einen Mobilitätspass für Bike-Sharing und ÖPNV erhalten. Aber auch kollektive Abschiedsrituale können hierbei helfen wie beispielsweise die Bemalung von Parkflächen im Rahmen einer Abschiedsparty wie auf der Siegbrücke in Siegen.
Verwandte Links
Über EXPERI
EXPERI ist ein inter- und transdisziplinäres Kooperationsprojekt der Technischen Universität Berlin, der RIFS Potsdam und dem DLR-Institut für Verkehrsforschung. Übergeordnetes Ziel von EXPERI ist die Erforschung, wie die sozial-ökologische Verkehrswende in Metropolregionen gelingen kann.
Die Broschüre ist hier online verfügbar.
Das Projekt EXPERI wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).