Forschende machen simulierten Triebwerksschall hörbar
- DLR entwickelt ein Verfahren für die Auralisierung (Hörbarmachung) von Triebwerksschall.
- Die Antriebssysteme von Flugzeugen können durch die Auralisierung hinsichtlich ihres Höreindrucks beurteilt werden.
- Im Projekt VIRLWINT wird das Verfahren eingesetzt, um den Höreindruck verteilter, elektrifizierter Antriebe von Kleinflugzeugen durch Probandinnen und Probanden akustisch zu bewerten.
- Schwerpunkte: Luftfahrt, Antriebstechnik, Psychoakustik, Lärmemission, Nachhaltigkeit
Flugtaxis sollen in Zukunft Menschen in städtischen Umgebungen bewegen. Daher werden neue Flugzeugkonzepte mit verteilten Antrieben für die urbane und regionale Luftmobilität entwickelt. Durch den Einsatz dieser Flugzeuge entsteht eine neue Art der Lärmbelästigung. Es besteht die Gefahr, dass solche Flugkörper, ähnlich wie Drohnen, bedrohlich klingen und den Eindruck erwecken, dass ein Bienenschwarm durch die Luft fliegt. Damit neue Flugzeugkonzepte, nicht auch eine bedrohliche und belästigende Lärmwirkung verursachen, forscht das Institut für Antriebstechnik des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an einer Methode, um den Schall der zukünftigen Antriebe hörbar zu machen.
Das Ergebnis der Methode sind Audiodateien, die für Hörversuche mit Probandinnen und Probanden genutzt werden können, um so Designänderungen bereits früh im Entwicklungsprozess hörbar zu machen und die subjektive Schallwahrnehmung zu bewerten. Ziel ist es, das Antriebsgeräusch nicht nur leise, sondern auch angenehm zu gestalten, um so die Lärmbelästigung zukünftiger Flugzeuge zu reduzieren. „Die Lärmwirkung des Antriebssystems wird ein Schlüsselfaktor für die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber neuartigen Flugzeugen im Bereich der urbanen und regionalen Luftmobilität darstellen. Besonders die vom Antriebssystem ausgehende Schallemission stellt eine entscheidende Geräuschquelle dar“, sagt Stephen Schade vom DLR-Institut für Antriebstechnik.
Der Höreindruck zukünftiger Flugzeuge wird sich signifikant ändern
Verteilte Antriebe von Flugzeugen, welche beispielsweise für die urbane Luftmobilität (Urban Air Mobility, UAM) entwickelt werden, können aus einer Vielzahl von Propulsoren (zum Beispiel Fans oder Propeller) bestehen. Beeinflusst wird die Schallwahrnehmung durch die Anordnung und die Anzahl der Propulsoren. Darüber hinaus können sich die einzelnen Schallfelder überlagern. Dies führt zu einer gegenseitigen Verstärkung oder Auslöschung der Schallwellen. Für den Höreindruck bedeutet dies eine höhere oder niedrigere Lautstärke. Weiterhin können die Amplituden innerhalb kurzer Zeitabschnitte stark variieren, was ebenfalls zu einer Schwankung der Lautstärke führt. Diese Schwankungen der Lautstärke werden häufig als lästig und unangenehm empfunden. „Aufgrund dieser Effekte wird sich die subjektive Schallwahrnehmung verteilter Antriebe von der Schallwahrnehmung konventioneller Antriebe abgrenzen“, erklärt Stephen Schade. „Die Schallemissionen verteilter Antriebe werden sich also nicht nur hinsichtlich des Schallpegels von konventionellen Antrieben unterscheiden, sondern insbesondere auch hinsichtlich des Hörerlebens, welches durch psychoakustische Merkmale eines Geräusches bedingt wird“, führt der Wissenschaftler weiter aus.
Von der Bewertung der Schallpegel hin zur Bewertung des Höreindrucks
Die menschliche Schallwahrnehmung wird bei der Entwicklung von Antriebssystemen häufig nur begrenzt berücksichtigt. Die akustische Auslegung von Triebwerken basiert typischerweise auf der Beurteilung einzelner Schallpegel eines einzelnen Triebwerks. Basierend auf den Schallpegeln werden so unterschiedliche Designs akustisch bewertet. Dabei wird das Design mit minimalem Schallpegel gesucht. Allerdings bedeutet das nicht, dass das Design mit minimalem Schallpegel auch in der menschlichen Schallwahrnehmung als das angenehmste und leiseste Design empfunden wird, vor allem wenn das Antriebssystem aus einer Vielzahl von Triebwerken besteht. Insbesondere wird bei der Zulassung im Bereich der Akustik von Flugzeugen der zeitliche Verlauf eines einzigen Schallpegels beurteilt. Dabei wird jedoch der tatsächliche Höreindruck nicht berücksichtigt.
Aufgrund der beschriebenen akustischen Effekte, welche bei verteilten Antrieben besonders stark auftreten können, müssen für die akustische Zulassung von Flugzeugen mit verteilten Antrieben die bestehenden Verfahren zur Lärmbeurteilung weiterentwickelt werden. Wird jedoch die menschliche Schallwahrnehmung gezielt in der Entwicklung der Antriebe berücksichtigt, bietet dies die Möglichkeit die Minimierung einzelner Schallpegel durch die Minimierung des Höreindrucks des Gesamtsystems abzulösen. So kann im Entwicklungsprozess der Antriebssysteme bereits auf die menschliche Schallwahrnehmung eingegangen werden, sodass die Schallpegel nicht mehr allein als Faktor für die Beurteilung der Antriebssysteme gelten. Durch die Einbindung der Lärmwirkungsforschung in den Entwicklungsprozess der Antriebssysteme, könnte das Design gezielt so beeinflusst werden, dass das resultierende Antriebsgeräusch dem Höreindruck von positiv assoziierten Geräuschen ähnelt.
Das Auralisierungs-Verfahren
Um die Verknüpfung zwischen der Schallwahrnehmung und der Entwicklung der Antriebssysteme herzustellen, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Abteilung Triebwerksakustik des Instituts für Antriebstechnik ein Verfahren zur Hörbarmachung (Auralisierung) von Triebwerksschall entwickelt. Das Verfahren besteht aus drei Abschnitten.
Zu Beginn werden die Schallpegel vorhergesagt, indem sie analytisch berechnet werden. Dabei stellt man sich die Fragen: An welchen Stellen innerhalb des Triebwerks werden die Schallquellen erzeugt und wie laut sind sie?
Anschließend wird ein virtueller Überflug des Flugzeugs simuliert und dabei die Ausbreitung des Schalls in der Atmosphäre berechnet. Grundlegend ist dabei die Flughöhe, ob eine Kurve geflogen wird oder das Flugzeug startet beziehungsweise landet. Es wird berechnet, wie sich der Schall vom Flugzeug zum menschlichen Gehör ausbreiten wird. Berücksichtigt werden hierbei zum Beispiel der Einfluss der Atmosphäre auf den Schall sowie die Reflexion und die Dämpfung des Schalls am Boden. In diesem Prozessschritt entsteht für jeden simulierten Überflug ein zugehöriges Spektrogramm.
Im dritten Abschnitt findet die Auralisierung des Schalls statt. Dazu wird ein Spektrogramm in eine Audiodatei überführt, welche den Höreindruck des Flugzeuges beinhaltet. Nun kann, zum Beispiel durch die Wiedergabe mit Lautsprechern in einem Testraum, festgestellt werden, wie das Flugzeug klingt und empfunden wird. Zukünftig sollen mit diesem Verfahren geräuscharme Flugzeugantriebe basierend auf der menschlichen Schallwahrnehmung erforscht werden.
Aktuell wird das Verfahren anhand des konventionellen und weit verbreiteten V2500-Triebwerks validiert, welches an Airbus A320 Flugzeugen (zum Beispiel DLR ATRA) installiert ist. Dazu werden die Spektrogramme, Zeitsignale und Audiodateien mit Messdaten aus Überflügen bei einer Start-Flugbahn verglichen. Die Audiodateien der Messung und der Auralisierung können hier angehört werden.
Verwendung der Auralisierungsdaten
Auralisierungen ermöglichen es, schnell und kosteneffizient Audiodateien von Flugzeugüberflügen mit verschiedensten Antriebskonfigurationen zu generieren, die anschließend für Hörversuche mit Probandinnen und Probanden genutzt werden können. Dadurch können Designs variiert, Parameterstudien durchgeführt und die resultierenden Höreindrücke unmittelbar angehört werden. „Aufbauend auf den Ergebnissen der Lärmwirkungsstudien können Empfehlungen für den Entwurf von verteilten Antrieben abgeleitet werden“, erläutert Stephen Schade.
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Das Projekt VIRLWINT
Im Projekt VIRLWINT (Virtueller akustischer Zwilling verteilter Antriebe) wird das Verfahren angewendet, um psychoakustische Untersuchungen von verteilten Antrieben für Kleinflugzeuge aus dem Bereich der urbanen Luftmobilität durchzuführen. In der aktuellen Phase des Projektes werden dazu die UAM Flugzeugkonzeptentwürfe vom DLR-Institut für Systemarchitekturen in der Luftfahrt entwickelt.
Die Studien im Projekt VIRLWINT bestehen aus zwei Aspekten: Einerseits werden Hörversuche mit Probandinnen und Probanden durchgeführt, in denen die unterschiedlichen Antriebsdesigns bewertet werden. Darüber hinaus wird eine App entwickelt, die es Nutzenden ermöglichen soll den Höreindruck der Antriebssysteme auf intuitive und anschauliche Weise anzupassen. Dazu können definierte Triebwerks-Designparameter (zum Beispiel die Anordnung und Drehzahl der Antriebe) variiert werden und die resultierenden Änderungen im Antriebsgeräusch angehört und bewertet werden. Aus der Anwendung der App entsteht eine Datenbasis mit den angenehm und unangenehm empfundenen Antriebsgeräuschen. Es werden speziell solche Antriebssysteme untersucht, die sich von konventionellen Konzepten unterscheiden, wie zum Beispiel spannweitig verteilte, ummantelte Fanstufen oder Flügelspitzen-Propeller.