Strategien für Testinfrastruktur und Startplätze: wettbewerbsfähig – flexibel – nachhaltig
- Vom 25. bis 26. April trafen sich renommierte Vertreterinnen und Vertreter der Raumfahrtindustrie, Raumfahrtagenturen und der Wissenschaft zu den 10. Industrial Days beim DLR am Standort Lampoldshausen.
- Der Erhalt des strategisch unabhängigen Zugangs Europas zum Weltall und die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Trägerraketen hat hohe Priorität.
- Wie Test- und Startanlagen dabei unterstützen, diese vielschichtigen Herausforderungen zu meistern, darüber tauschten sich die Teilnehmenden der Konferenz aus.
- Schwerpunkte: Raumfahrt, Raumtransport, Trägersysteme, New Space
Europa hat sich anspruchsvolle Ziele gesetzt, um den Zugang zum Weltall weiterhin zu sichern. Doch die derzeitigen Herausforderungen sind vielschichtiger und der Trägermarkt ist fragmentierter, internationaler und weniger standardisiert wie in keiner anderen Zeit zuvor. Will sich Europa einen unabhängigen und bezahlbaren Zugang zum All sichern, müssen neue Technologien und Trägerkonzepte weiterentwickelt und getestet werden. Um die zu ergreifen, müssen auch die Test- und Startanlagen zukunftsfähig ausgerichtet werden. Sie sind integraler Bestandteil einer nachhaltigen und wirtschaftlichen europäischen Trägerstrategie. Das ist das zentrale Thema der diesjährigen Industrial Days, zu denen führende Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Raumfahrtagenturen, Raumfahrtindustrie und -forschung am 25. und 26. April 2023 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Lampoldshausen zusammengekommen sind.
Europas Raumtransport: steigende Anforderungen, neue Chancen
Die technologische Unabhängigkeit und Souveränität im Raumtransport sind unverzichtbar für Deutschland und Europa. Dies betonte Dr. Anna Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsche Luft- und Raumfahrt, in ihrer Videobotschaft zu den 10. Industrial Days und machte auf die Herausforderungen aufmerksam, denen die Bundesregierung in diesem Technologiefeld gegenübersteht: „Der Erhalt des strategisch unverzichtbaren Zugangs mit der Ariane-Trägerrakete abzusichern, dabei die Kosten zu reduzieren, und gleichzeitig Bedingungen zu schaffen, die es auch neuen Unternehmen erlauben sich in diesem schwierigen Umfeld zu entwickeln und zu behaupten, sind von höchster Priorität.“
Strategische Testinfrastruktur für den gegenwärtigen und zukünftigen Raumtransport
„Der Trägerraketensektor befindet sich in einem Umbruch. Um unseren Zugang zum Weltall von morgen zu stärken, brauchen wir mutige Konzepte und außergewöhnliche Innovationen, die unseren zukünftigen Raumtransport wettbewerbsfähig machen. Kosteneffektive, skalierbare und zukunftsfähige Lösungen und Technologien stehen dabei an vorderster Stelle. Das gilt auch für Testeinrichtungen wie hier in Lampoldshausen. Daher war es ein richtiger und wichtiger Schritt, diesen Standort neben dem Raumfahrtbahnhof in Kourou ebenfalls als Teil der strategischen ESA-Infrastruktur anzuerkennen. Lampoldshausen trägt mit dazu bei, Europa den Zugang zum All zu sichern und ist gleichzeitig Europas modernstes, flexibelstes und effizientestes Testzentrum – auch für neue Akteure im Trägersektor“, hob Dr. Walther Pelzer, DLR-Vorstandsmitglied und Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR, die Besonderheiten der Start- und Testinfrastrukturen und deren Bedeutung für den europäischen Raumtransport hervor.
„Zukunftsfähig zu sein bedeutet für das DLR Lampoldshausen keine Entscheidung für oder gegen eine Sache, sondern das geschickte Miteinander etablierter und junger Raumfahrtakteure“, betonte Prof. Stefan Schlechtriem, Direktor des DLR-Instituts für Raumfahrtantriebe. „Mit dieser Flexibilität in der Testinfrastruktur schaffen wir die Basis das wichtigste und effizienteste europäische Forschungs- und Testzentrum für Flüssigantriebe und -stufen aller Größen und Spezifikationen zu bleiben.“
Kleine Raketen – großes Marktpotenzial
Mit dem Boom der Mikrolauncher haben neue Akteure die Raumfahrtbühne betreten. Ausgehend von den USA und China hat diese Entwicklung auch Europa erreicht. Mehr als zehn Unternehmen zeigen auf unserem Kontinent großes Potenzial, in dieser Sparte einen nachhaltigen Fußabdruck zu hinterlassen. Mit HyImpulse, Isar Aerospace und Rocket Factory Augsburg kommen drei davon aus Deutschland. Im Mikrolauncher-Wettbewerb der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR wurden deutsche Start-Ups über das „BOOST!“-Programm der ESA zunächst in einer Gesamthöhe von 25 Millionen Euro gefördert. Die jungen Unternehmen müssen dafür Startdienstleistungen kommerziell entwickeln und anbieten. Dafür bringen die beiden Gewinner der ersten und zweiten Hauptrunde – Isar Aerospace und Rocket Factory Augsburg – jeweils mit den ersten beiden Flügen ihrer neuen Mikrolauncher mehrere Kleinsatelliten von einigen 150 Kilogramm ins All. Diese Nutzlasten wurden über den eng mit dem Mikrolauncher-Wettbewerb verknüpften Nutzlast-Wettbewerb im Rahmen der „Kleinsatelliten-Initiative“ ausgewählt. Mit der schwerpunktmäßigen Zeichnung des Boost!-Element 3 auf der ESA-Ministerratskonferenz 2022 schreibt Deutschland als Programmführer sein starkes Engagement für den Sektor fort. Im Rahmen der "Flight Ticket Initiative" werden im Verbund mit der Europäischen Kommission wettbewerblich zusätzliche Startdienstleistungen bei den Start-Ups beschafft werden.
„Wir haben mit dem Mikrolauncher-Wettbewerb kommerzielle Aktivitäten in der bislang stark von Großunternehmen und staatlichen Entwicklungsprogrammen bestimmten Landschaft der europäischen Trägerraketen angestoßen. Auf diese Weise haben wir KMU mit ihren innovativen Ideen und Konzepten einen kommerziellen und kostengünstigen Weg in den Markt der Startdienstleistungen geebnet. Dass die ESA-Mitgliedsstaaten auf ihrer letzten Ministerratskonferenz entschieden haben, den Transport von ESA-Nutzlasten für privat finanzierte europäische Trägerraketen zu öffnen, ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg, der sich nachhaltig auf die europäische Raumfahrt auswirken und den größten europäischen Nutzlastmarkt auch für die bisher schon erfolgreichen deutschen Mikrolauncher-Unternehmen öffnen wird. Die dritte erfolgreiche Finanzierungsrunde hat dem ersten Mikrolauncher-Wettbewerb-Gewinner Isar Aerospace zu über 300 Millionen Euro Gesamtfinanzierung verholfen. Dieses Beispiel zeigt, dass auch in Europa die private Finanzierung von Raumfahrt-Start-ups möglich ist. Daher freuen wir uns schon auf die ersten Raketenstarts im Mikrolauncher-Wettbewerb“, verdeutlicht Dr. Walther Pelzer.
Prüfstände für Raumfahrtantriebe – Maßanfertigung im großen Maßstab
Das DLR Lampoldshausen richtet seine Forschungs- und Testaktivitäten seit über 60 Jahren auf die Bedürfnisse des europäischen Trägermarktes aus. Das heutige Prüfstandsportfolio ist das Spiegelbild dieser Anforderungen. Dank der flexiblen, effizienten und skalierbaren Testinfrastruktur gestaltet das in Lampoldshausen ansässige Institut für Raumfahrtantriebe einen fließenden Übergang in zukünftige Antriebssysteme und nutzt zugleich die vorhandenen Ressourcen – sowohl Infrastruktur als auch Know-How – bestmöglich.
„Es sind nicht nur neue Entwicklungs- und Herstellungsmethoden von Triebwerken und Triebwerkskomponenten, die über den Erfolg im Raumtransport entscheiden, sondern auch der gesamte Betrieb der optimierten Teststrukturen, der eine höchst effiziente Entwicklung bis zur Einsatzreife ermöglicht. Für einen sicheren, unabhängigen und bezahlbaren Zugang zum Weltall dürfen wir uns nicht auf Strukturen der Vergangenheit ausruhen. In Lampoldshausen verfügen wir bereits heute über alle notwendigen Anlagen, um sowohl die Ariane 6 als auch alle zukünftigen Raumfahrtantriebe der Kleinträgerraketen auf den Prüfständen testen zu können. Weitere Optimierung ist dennoch dringend geboten“, so das Fazit von Stefan Schlechtriem.