15. Januar 2021 | Laborexperimente liefern vielversprechenden Ansatz

Mit Erkenntnissen aus dem Labor zurück zur Venus

  • Extremen Bedingungen der Venus experimentell in DLR-Glutofen simuliert.
  • Im Labor gemessene Emissionsspektren von 440-480 Grad heißen, eisenhaltigen Gesteinen können diagnostisch genutzt werden.
  • Labormessungen liefern neue Resultate aus 46 Jahre alten Aufzeichnungen von Venus-Landesonden.
  • Mineralogie und Geochemie der Venusgesteine kann jetzt mit neuen Instrumenten kartiert werden.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Exploration des Sonnensystems, Venus

Die undurchdringliche Atmosphäre der Venus erschwerte bislang eine genauere Untersuchung unseres Nachbarplaneten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben nun mit Laborexperimenten eine Möglichkeit entwickelt, die Beschaffenheit der Oberfläche des Planeten mit neuartigen Instrumenten aus dem Orbit zu bestimmen. Die Venus kann nun erstmals global mineralogisch kartiert werden, damit würde eine große Wissenslücke in der Planetenforschung geschlossen werden.

Venus und Erde – zwei sehr verschiedene Geschwister

Die Venus gilt als der Schwesterplanet der Erde. Sie ist fast genau so groß und ihre Umlaufbahn ist nur 40 Millionen Kilometer von jener der Erde entfernt. Allerdings entwickelten sich beide Planeten höchst unterschiedlich: Auf der Erde entstanden Kontinente, dazwischen füllten sich die Ozeane mit Wasser. Unter ihrer Atmosphäre entstand vor gut dreieinhalb Milliarden Jahren das Leben, aus dem sich die uns heute vertraute Vielfalt an Organismen entwickelt hat. Ganz anders die Venus, deren Gashülle hundertmal dichter ist als die der Erde, und in der ein extremer Treibhauseffekt für eine konstant hohe Oberflächentemperatur von 470 Grad Celsius sorgt, bei der Wasser sofort verdampfen und sogar Blei schmelzen würde. Der Planet ist permanent von dichten Schwefelsäurewolken eingehüllt, die eine Beobachtung der Oberfläche mit Teleskopen oder Kameras auf Raumsonden unmöglich macht – mit Radar ließ sich immerhin die Topographie kartieren. DLR-Wissenschaftler des Instituts für Planetenforschung haben nun mit Laborexperimenten eine Möglichkeit entwickelt, die Beschaffenheit der Oberfläche des Planeten mit neuartigen Experimenten aus dem Orbit zu bestimmen.

"Seit gut zehn Jahren vermessen wir am DLR mit einem weltweit einmaligen Laboraufbau unter den gleichen extremen Bedingungen wie an der Oberfläche der Venus die Emissionseigenschaften von verschiedenen Gesteinen, die wir auf der Venus erwarten können", erklärt Dr. Jörn Helbert, Leiter des DLR Planetary Spectroscopy Laboratory (PSL) und Erstautor einer Forschungsarbeit, die heute im Wissenschaftsmagazin SCIENCE Advances erscheint. "Die Reflexions- und Emissionseigenschaften von Gesteinen verändern sich bei den hohen Temperaturen, wie sie auf der Venus herrschen. Das bedeutet, dass Spektralverläufe, die bei irdischen Temperaturen gemessen wurden, bei der Anwendung auf die Venus nicht weiterhelfen würden. Aber jetzt haben wir ein Werkzeug an der Hand, dass wir in Form von neuartigen Instrumenten bei den geplanten nächsten Venusmissionen einsetzen können, um dort endlich die unterschiedlichen Gesteine bestimmen zu können."

Übereinstimmung mit Messungen von der Venusoberfläche

Die vierköpfige Forschergruppe aus dem DLR, dem Planetary Science Institute in Tucson (Arizona) und dem Mt. Holyoke College im US-Bundesstaat Massachusetts stellte mit ihren Laborexperimenten eine neue "Spektralbiobliothek" von diversen Gesteinen zusammen. "Mit den dabei ermittelten Emissionsspektren ist es uns erstmalig gelungen, den Gehalt von Eisenoxid an der Landestelle der Landesonden Venera 9 und Venera 10 der damaligen Sowjetunion zu rekonstruieren", freut sich DLR-Planetenforscher Dr. Alessandro Maturilli. "Die beiden Sonden übermittelten 1975 zwar Bilder von der Venus und lieferten wichtige Messdaten. Aber sie hatten kein Instrument, mit dem sich der Eisenoxidgehalt direkt hätte messen lassen."

Die beiden Landesonden zeichneten die einzigen Spektren von Venusgesteinen auf. Die im Labor ermittelten Emissionsverläufe und die Venera-Spektren stimmten zu einem hohen Grad überein. "Damit konnten wir jetzt beweisen, dass unsere Methode funktioniert, das ist ein Riesenfortschritt", so Jörn Helbert. Denn obwohl auch wieder Landesonden für die Venus diskutiert werden, lässt sich eine globale Kartierung der Venus nur aus der Umlaufbahn bewerkstelligen. Damit dies trotz der für das menschliche Auge, also den Wellenlängen des sichtbaren Lichts, undurchdringlichen Venusatmosphäre möglich ist, konzentrierten sich die Wissenschaftler auf die sogenannten 'atmosphärischen Fenster'. Das sind jene Wellenlängen, bei denen die Venusatmosphäre in einem schmalen Band transparent und ein Blick auf den Boden möglich ist. Fünf solche 'Fenster' öffnen sich bei Wellenlängen um 1000 Nanometer (oder einem Mikrometer), also im nahen Infrarot, das sich dem sichtbaren Licht (etwa 400-700 Nanometer) anschließt.

Venus rückt wieder in den Fokus der Planetenforschung

Mit ihrem Experiment konnten die Forscher zeigen, dass mit den im Labor gemessenen Spektren unterschiedlicher Gesteinstypen und ihrer charakteristischen Verläufe zuverlässig aus der Umlaufbahn Gesteinstypen identifiziert werden können. "Unser Ehrgeiz ist jetzt, die erste globale Karte der Gesteine auf der Venus zu erstellen", gibt Dr. Helbert das Ziel vor. "Das wäre ein Quantensprung! Denn wir wissen viel zu wenig über die Venus. Vielleicht hatte der Planet in seiner Jugend wie die Erde auch Wasser und war möglicherweise sogar etwas lebensfreundlicher." Umsetzen wollen die Wissenschaftler ihr Vorhaben mit dem Instrument VEM, dem 'Venus Emissivity Mapper' zur Kartierung der Emissionen in den wenigen vorhandenen atmosphärischen Fenstern in den Wellenlängen des nahen Infrarot. VEM könnte auf der Mission EnVision der Europäischen Weltraumorganisation ESA und dem VERITAS-Orbiter der NASA noch in diesem Jahrzehnt zum Einsatz kommen.

Die Venus, jener als 'Schwesterplanet' der Erde apostrophierter benachbarter Himmelskörper, war zwar das erste Ziel interplanetarer Raumsonden, der sowjetischen Mission Venera 1 (1961) und der amerikanischen Mariner 2 (1962). Nach spektakulären Erfolgen vor allem der sowjetischen Raumfahrt mit zunächst einigen Orbitern und zwischen 1970 und 1983 insgesamt acht Landungen geriet der nach der römischen Göttin der Liebe benannte Planet ein wenig ins Abseits der Planetenforschung. Der NASA-Orbiter Magellan kartierte die Venus von 1990 bis 1994 mit Radar und zeigte hochaufgelöst viele Details der vielgestaltigen Oberfläche, und die ESA-Mission Venus Express untersuchte zwischen 2006 und 2015 die Venus mit sieben Experimenten.

Über die Beschaffenheit dieser Oberfläche ist aber nach wie vor wenig bekannt. Bei den beiden anderen Nachbarn der Erde, dem Mond und dem Mars, war die Bestimmung von Gesteinstypen, deren mineralogische Zusammensetzung und die Häufigkeiten chemischer Elemente sehr viel einfacher und ist im Wesentlichen heute gut verstanden. Vom Mond wurden von den Astronauten der Apollo-Missionen und robotischen Sonden der früheren Sowjetunion knapp 400 Kilogramm Probenmaterial zur Erde gebracht. Auf dem Mars haben ein halbes Dutzend Landesonden die Gesteine analysieren können. Eine Landung auf der Venus gleicht einem Husarenritt durch einen immer heißer werdenden Backofen, dessen Temperaturen jeder Elektronik heftig zusetzt, begleitet vom immer höher werdenden Atmosphärendruck, der am Boden 92 bar misst: Das entspricht dem Druck in 900 Meter Wassertiefe. Am längsten hielt die Landesonde Venera 13 diesen Bedingungen stand und übermittelte am 30. Oktober 1981 für fast zwei Stunden Daten aus dem Glutofen der Venusoberfläche. Mit der neuen Methode könnte die Oberfläche der Venus systematisch über Jahre aus der Umlaufbahn studiert werden, ohne das Risiko einer Landung.

Kontakt

Melanie-Konstanze Wiese

Kommunikation Berlin, Cottbus, Dresden, Jena, Neustrelitz und Zittau
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin-Adlershof
Tel: +49 30 67055-639

Dr. Jörn Helbert

Abteilungsleiter
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Abteilung Planetare Labore
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Ulrich Köhler

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin