19. November 2020 | Mission Mars Express

Chaos auf dem Mars

  • Diese Aufnahmen der DLR-Marskamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) zeigen ein sogenanntes chaotisches Terrain in der Region Pyrrhae im südlichen Hochland des Mars.
  • Verschiedene Flutereignisse hinterließen hier ihre Spuren.
  • Die Stereokamera HRSC kartiert seit 2004 im Rahmen der ESA-Mission Mars Express den Roten Planeten in nie dagewesener Auflösung, dreidimensional und in Farbe. Ihre Daten sind eine wichtige Ressource für die gegenwärtige und zukünftige Marsforschung.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Planetenforschung

Diese Bilder der Marskamera HRSC zeigen eine faszinierende Landschaft in der Nähe des großen Canyonsystems der Valles Marineris. Auf einem Hochplateau mit vielen Kratern liegt ein geologisch sehr "bewegtes" Gebiet, das in der Fachsprache als chaotisches Terrain bezeichnet wird. Solche Geländeformen entstehen, wenn unterirdische Eisreservoirs durch Wärme schmelzen und plötzlich große Mengen Wasser freigesetzt werden. Die Wärme könnte von Vulkanen in der Nähe abgestrahlt oder durch Asteroideneinschläge hervorgerufen worden sein. Nach Abfluss des Wassers kollabiert die Oberfläche über den neu entstandenen Hohlräumen, und die Landschaft stürzt in sich zusammen. Zurück bleiben viele "chaotisch" verstreute Tafelberge.

Die High Resolution Stereo Camera (HRSC) wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und wird von dort betrieben. Seit 2004 kartiert sie an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express den Mars in nie dagewesener Auflösung, dreidimensional und in Farbe. Ihre Daten sind eine wichtige Ressource für die gegenwärtige und zukünftige Marsforschung. Die bereits im Missionsverlauf gewonnenen Erkenntnisse haben unser Bild von der geologischen Entwicklung des Roten Planeten massiv verändert.

Katastrophale Flutereignisse hinterließen ihre Spuren

Südlich des Eos Chasma, der "Schlucht der Morgenröte", einem östlichen Seitenarm des großen Grabensystems Valles Marineris, erstreckt sich die Region Pyrrhae. Sie liegt auf einem uralten, von Kratern übersäten Hochlandplateau. Die Aufnahmen der HRSC zeigen am rechten Bildrand eine eindrucksvolle chaotische Landschaft.

Die Übersichtskarte (Bild 3) zeigt einen größeren Teil der umliegenden Landschaft. Im Nordosten (außerhalb des markierten rechteckigen HRSC-Bildausschnitts) ist zu erkennen, dass in dieses chaotische Gebiet verzweigte Ausflusstäler münden, die Osuga Valles. Wissenschaftliche Untersuchungen der Kollapsstrukturen in Eos Chasma im Südwesten und der Pyrrhae-Region sowie des Ausflusstalsystems der Osuga Valles, das zwischen beiden liegt, ergaben, dass hier mindestens zwei gegenläufige Abflussereignisse auftraten: Zuerst fand ein Abfluss von der Pyrrhae-Region in Eos Chasma statt, und zu einem späteren Zeitpunkt ein Abfluss in umgekehrter Richtung.

Nach dem Wasser- und Sedimentabfluss aus der Region Pyrrhae blieben zerklüftete Blöcke in der Senke zurück, in der einst das Eis in Hohlräumen im Untergrund verborgen und somit vor der Sublimation (dem Verdampfen beim niedrigen Atmosphärendruck des Mars) geschützt war. Vermutlich fand zusätzlich zum Schmelzwasser auch Grundwasseraustritt statt. Das austretende Grundwasser führte dann zu Rutschungen und Abbrüchen an den Rändern des kleinen Chaosgebiets. Die konzentrischen Strukturen an den Geländekanten bezeugen augenfällig, wie die Hänge ins Innere der Senke abrutschten. Der Höhenunterschied hier beträgt viertausend Meter! Die Menge des dabei herausgelösten und abtransportierten Materials war dementsprechend enorm.

"Triefende" Täler

Auf der südlichen Seite (links in den Bildern 1, 4 und 5) sind zwei große und ein kleiner Einschlagskrater zu sehen, letzterer misst etwa 20 Kilometer im Durchmesser. Der größte Krater zeigt einige lineare Bruchstrukturen auf dem Kraterboden. Sie entstanden vermutlich, als sich Lava, die nach dem Einschlag in das Kraterinnere austrat, schnell abkühlte und sich dabei zusammenzog. Zwischen dem Krater und dem Chaosgebiet erkennt man zwei Täler, beide sind zwei Kilometer breit. Diese Täler, vor allem das obere, zeigen große Ähnlichkeit mit sogenannten "sapping valleys". Bei dieser Form der Erosion tritt Grundwasser direkt an der Geländekanten oder etwas unterhalb davon wie an einer triefenden Quelle aus. Dadurch wird der Abhang erodiert und ausgehöhlt. Durch das Nachrutschen von Material an der Geländeoberkante "wandert" die Erosionskante nach dem Abtransport durch fließende Gewässer immer weiter nach hinten. So entstehen steile und u-förmige Talstrukturen.

Ein wenig Mythologie zum Schluss

Die Region wurde nach Pyrrha, Tochter der Pandora und des Epimetheus, benannt. Sie war die Frau von Deukalion, dem in der griechischen Mythologie die gleiche Rolle wie Noah zukommt. Er wurde von seinem Vater Prometheus aufgefordert, eine Arche zu bauen, um sich und seine Frau vor der großen Flut zu retten, die Zeus heraufbeschworen hatte, um die Menschheit zu vernichten. Pyrrha und Deukalion überlebten als einzige die Katastrophe und schufen danach die Menschheit neu, indem sie Steine über ihre Schultern warfen, aus denen dann Menschen entstanden.

Alle Bilder in hoher Auflösung und weitere Bilder der HRSC finden Sie in der Mars Express-Bildergalerie auf flickr.

  • Bildverarbeitung

    Die Aufnahmen mit der HRSC (High Resolution Stereo Camera) entstanden am 3. August 2020 während Orbit 20.972 von Mars Express. Die Bildauflösung beträgt etwa 16 Meter pro Bildpunkt (Pixel). Die Bildmitte liegt bei etwa 322 Grad östlicher Länge und 16 Grad südlicher Breite. Die Farbaufsicht wurde aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche gerichteten Nadirkanal und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Die perspektivische Schrägansicht wurde aus den Geländemodelldaten sowie den Nadir- und Farbkanälen der HRSC berechnet. Das Anaglyphenbild, das bei Betrachtung mit einer Rot-Blau- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und den Stereokanälen abgeleitet. Die in Regenbogenfarben kodierte Aufsicht beruht auf einem digitalen Geländemodell (DTM) der Region, von dem sich die Topographie der Landschaft ableiten lässt. Der Referenzkörper für das HRSC-DTM ist eine Äquipotentialfläche des Mars (Areoid).

    Die Stereokamera HRSC wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und wird von dort betrieben. Die systematische Prozessierung der Kameradaten erfolgte am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof. Mitarbeiter der Fachrichtung Planetologie und Fernerkundung der Freien Universität Berlin erstellten daraus die hier gezeigten Bildprodukte.

  • Das HRSC-Experiment auf Mars Express
    Die High Resolution Stereo Kamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern gebaut (Airbus, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Das Wissenschaftsteam unter Leitung des Principal Investigators (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann besteht aus 50 Co-Investigatoren, die aus 35 Institutionen und 11 Nationen stammen. Die Kamera wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben.

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Kontakt

Elke Heinemann

Leitung Digitale Kommunikation
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-1852

Dr. Daniela Tirsch

Principal Investigator HRSC
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Ulrich Köhler

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Prof. Dr. Ralf Jaumann

Freie Universität Berlin
Institut für Geologische Wissenschaften
Planetologie und Fernerkundung
Malteserstr. 74-100, 12249 Berlin