Entwicklung patagonischer Eisfelder zeigt enorme Komplexität der physikalischen Wechselwirkungen
- Die patagonischen Eisfelder verlieren zusammen zwischen 2012 und 2016 neun Prozent weniger von ihrer Eismasse als zwischen 2000 und 2012.
- Hochgenaue digitale Höhenmodelle aus Radar-Satellitendaten belegen, dass die Veränderungen der nördlichen und südlichen Eisfelder in den zwei Epochen teilweise gegenläufig waren.
- Eine Studie bestätigt das große Potenzial von bistatischer Radar-Interferometrie und der Mission TanDEM-X für eine genaue, detaillierte und nahezu lückenlose Erfassung der Höhenänderungen von eisbedeckten Regionen.
- Schwerpunkte: Raumfahrt, Erdbeobachtung, globaler Wandel
Seit der Kleinen Eiszeit zwischen 1250 und 1900 befinden sich die Gletscher und Eisfelder in der südamerikanischen Region Patagonien auf dem Rückzug. In den letzten Jahrzehnten beschleunigte sich der Verlust an Eismassen im Zusammenhang mit der troposphärischen Erwärmung. Von 2000 bis 2016 tragen die patagonischen Eisfelder etwa sechs Prozent zum eustatischen Meeresspiegelanstieg von 0,74 Millimeter pro Jahr bei. Dieser beziffert den durchschnittlichen Pegelanstieg durch alle Gletscher und Eiskappen auf der Welt – ohne die Eisschilde von Grönland und Antarktis. So eindeutig dieser Trend insgesamt auch ist, im direkten Vergleich der Entwicklungen vom nördlichen und südlichen patagonischen Eisfeldern (kurz NPI und SPI) zeigten sich unterschiedliche, sogar gegensätzliche Trends – ein Beleg dafür, wie komplex die Wechselwirkungen von Prozessen an der Gletscheroberfläche, die direkt vom Klima gesteuert werden, und die Änderungen der Fließgeschwindigkeit des Eises sind.
Eisdynamik, Gletschertopographie und Klimawandel
Zu dem Ergebnis kam kürzlich eine Studie vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der ENVEO IT GmbH aus Österreich und der europäischen Raumfahrtorganisation ESA/ESRIN. Das Team untersuchte die Entwicklung der patagonischen Eisfelder NPI und SPI anhand von Radar-Interferometrie-Daten der Erdbeobachtungsmissionen SRTM und TanDEM-X. Am Earth Observation Center (EOC) entsanden im Rahmen der Studie ‚
Heterogeneous spatial and temporal pattern of surface elevation change and mass balance of the Patagonian ice fields between 2000 and 2016
‘ sogenannte Surface-Elevation-Change-Karten der Eisfelder in der südamerikanischen Region Patagonien. SEC-Karten sind hochgenaue 3-dimensionale Ansichten der Höhenänderung von Erdoberflächen berechnet über eine Zeitspanne von mehreren Jahren.
Die DLR-Wissenschaftler verarbeiteten die SEC-Daten mit komplexen Techniken und Algorithmen. So erhielten sie präzise digitale Höhenmodelle entsprechend der australischen Sommern 2000, 2012 und 2016. Durch komplexe Prozessierungsverfahren, die im EOC entwickelt wurden, erreichten sie eine über 90-prozentige Flächenabdeckung der NPI und SPI mit gültigen Höhenwerten. Das Studienteam analysierte anschließend die Entwicklungen der Regionen über 2000-2012 (Epoche 1) und 2012-2016 (Epoche 2). Im Vergleich zeigten sich äußerst heterogene räumliche Muster und eine gegensätzliche zeitliche Entwicklung zwischen den beiden Eisfeldern.
Kombiniert sind die Volumensverluste der Eisfelder Patagoniens zwischen 2012 und 2016 etwa um neun Prozent geringer als zwischen 2000 und 2012. Individuell betrachtet verhalten sich die zwei Eisfelder unterschiedlich. Der Verlust von NPI stieg in dem Zeitraum um 31 Prozent an. Beim südlichen Eisfeld war das Gegenteil der Fall: Die Verlustrate sank um 20 Prozent.
"Ein Hauptfaktor für die erhöhten Massenverluste während der zweiten Epoche auf NPI ist die höhere Lufttemperatur im Vergleich zu Epoche 1, insbesondere während der Hauptablationsperiode. Dies führt zu zunehmenden Schmelzverlusten an der Oberfläche. Dies ist der dominierende Prozess für den Massenschwund. Der durch das Kalben verursachte Eisexport ist weniger wichtig, da er nur etwa 20 Prozent des durch das Schmelzen verursachten Massenverlusts ausmacht", erklärt DLR-Wissenschaftlerin Dr. Dana Floricioiu vom EOC. Im Süden ist das räumliche Muster der Oberflächenhöhenänderung komplexer als im Norden – der zeitliche Trend weniger einheitlich. Im Süden haben die Kalbungsflüsse der Gletscher einen bedeutenderen Beitrag zum Massenumsatz als im Norden. "Unterschiedliche zeitliche Trends zwischen den einzelnen Gletschern sind auf gegenläufige Veränderungen der Fließgeschwindigkeiten zurückzuführen", so Floricioiu weiter.
Potenzial von bistatischem InSAR für Gletscher
Die DLR-Wissenschaftler erstellten hochaufgelöste Topographie-Karten aus bistatischen Radar-Interferometrie-Daten (InSAR) der Shuttle Radar Topography Mission SRTM der NASA aus dem Jahr 2000 sowie der Nachfolgemission TanDEM-X. Beide Missionen sind bislang die einzigen mit sogenannten Single-Pass-Radarinterferometern. Aus den Karten leitete das Studienteam die Oberflächenänderung, englisch Surface Elevation Change (SEC), jeweils für das nördliche und das südliche patagonische Eisfeld für die Zeiträume 2000 bis 2012 (Epoche 1) und 2012 bis 2016 (Epoche 2) ab.
"Die Studie bestätigt das Potenzial von bistatischem InSAR und insbesondere der TanDEM-X-Mission für eine genaue, detaillierte und nahezu lückenlose Kartierung von Oberflächenhöhenänderungen sowohl großer Eisfelder, als auch für kleine Eisbecken und -zungen", resümiert Dana Floricioiu und betont: "Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse die Entwicklung von neunen Fernerkundungsmissionen fördern, die zu wiederholten bistatischen InSAR-Beobachtungen fähig sind und die regelmäßige, weltweite SEC-Kartierungen und Massenbilanzschätzungen mit verbesserter zeitlichen Abtastung ermöglichen."
Die Mission TanDEM-X
An der Mission beteiligt sind die DLR-Einrichtung Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum (DFD), das DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme sowie das DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung, die gemeinsam das sogenannte "SAR-Center of Excellence" bilden. Die Institute ergänzen sich durch eine Abdeckung aller relevanten Bereiche von der Sensortechnik und Missionsauslegung über die hochgenaue Verarbeitung der Rohdaten bis hin zu den veredelten Nutzerprodukten. Zusammen mit dem Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum (GSOC) des DLR sind sie zudem zuständig für den Aufbau des Bodensegmentes, also der Infrastruktur zum Betrieb der Satelliten und der Verarbeitung der Daten. Die wissenschaftliche Leitung obliegt dem DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme in Oberpfaffenhofen.
Nachfolgemission Tandem-L
Eine mögliche Nachfolgemission zu TanDEM-X hat das DLR auch bereits entworfen: Das Tandem-L-Missionskonzept sieht zwei Radarsatelliten vor, die im L-Band (23,6 Zentimeter Wellenlänge) arbeiten und dynamische Prozesse auf der Erdoberfläche wie die Dynamik der patagonischen Eisfelder global und systematisch erfassen sollen. Ziel von Tandem-L ist es, die Landmasse der Erde im Wochenrhythmus interferometrisch abzubilden. Die Mission wird neue Maßstäbe in der Erdbeobachtung setzen, den globalen Wandel mit einer neuen Qualität beobachten und wichtige Handlungsempfehlungen ermöglichen. Mit der neuen Technologie könnten die dreidimensionalen Strukturen von Vegetations- und Eisgebieten erfasst werden sowie die großflächige Vermessung von Deformationen mit Millimetergenauigkeit erfolgen.