14. Mai 2020 | Mission Mars Express

Aufwölbung, Dehnung und Stress auf dem Mars: Horst- und Graben-Landschaft in der Region Tempe Terra

  • Auf den Aufnahmen der Mars-Kamera HRSC, die vom DLR betrieben wird, sind die Spuren gewaltiger tektonische Kräfte, die auf die Oberfläche wirkten, sichtbar.
  • Das abgebildete Gebiet befindet sich nordöstlich der großen Vulkanregion Tharsis, eine magmatische Aufwölbung von etwa fünf Kilometern Höhe. Während ihrer Entstehung kam es zu massiven Dehnungsspannungen in der Marskruste. Diese Spannungen verwandelten große Regionen in Horst-und-Graben-Landschaften.
  • Die hier gezeigten Bruchstrukturen sind Ausläufer der über tausend Kilometer langen Gräben von Tempe Fossae, die in ihrer Entstehung mit dem kenianischen Great Rift Valley verglichen werden können.

Die Bilder der Mars-Kamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) zeigen eine tektonisch stark deformierte Mars-Landschaft nördlich von Labeatis Fossae in der Region Tempe Terra. Hier werden die gewaltigen Kräfte sichtbar, die einst von unten auf die Marskruste durch den Aufstieg großer Magmablasen einwirkten. Diese stemmten sie nach oben und führten zu vulkanischer und tektonischer Aktivität. Die Stereokamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) kartiert seit 2004 im Rahmen der ESA-Mission Mars Express den Roten Planeten. Sie wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und wird von dort betrieben.

Das abgebildete Gebiet befindet sich nordöstlich der großen Vulkanregion Tharsis, wo es viele weitere solcher geologischen Strukturen gibt. Die Tharsis-Region hat einen Durchmesser von mehreren tausend Kilometern und ist damit beinahe so groß wie Europa. Tharsis ist eine magmatische Aufwölbung von etwa fünf Kilometern Höhe, die im Laufe von mehreren Milliarden Jahren entstanden ist. Während der allmählichen Aufwölbung und der Belastung der Lithosphäre durch die vulkanischen und plutonischen Gesteine kam es zu massiven Dehnungsspannungen in der Marskruste. Diese Spannungen verwandelten große Regionen in Horst-und-Graben-Landschaften.

Tempe Terra ist das am weitesten nördlich gelegene Hochlandgebiet auf dem Mars. Die Landschaft ist geprägt von zahlreichen tektonischen Dehnungsstrukturen, Schildvulkanen und erstarrten Lavaströmen. Die hier gezeigten Bruchstrukturen stellen die südwestlichen Ausläufer der über tausend Kilometer langen Gräben von Tempe Fossae dar, die in ihrer Entstehung mit dem kenianischen Great Rift Valley auf der Erde, einem Teil des Ostafrikanischen Grabens, verglichen werden können.

Wie entstehen Horst-und-Graben-Strukturen?

Die auf den HRSC-Bildern zu sehende Region zeigt wie im Lehrbuch eine sogenannte Horst-und-Graben-Tektonik. Wird eine starre, spröde Gesteinskruste gedehnt, beispielsweise weil der Untergrund angehoben wird, gerät die darüber liegende Oberfläche unter Spannung. Steigt die Dehnungsspannung über die für das Gestein "erträglichen" Grenzwerte, kommt es zu einem Aufbrechen der Kruste entlang mehr oder weniger steil einfallender Bruchflächen: Eine "Störungszone" entsteht. Dehnt sich die Kruste weiter, rutschen große Gesteinsblöcke entlang der Bruchflächen mehrere hundert Meter, stellenweise auch ein- bis zweitausend Meter in die Tiefe: Über viele Millionen Jahre entsteht so ein tektonischer Graben. Die zu beiden Seiten stehen gebliebenen Blöcke überragen nun die Landschaft und bilden die dazu gehörigen Horste. Das Wortpaar „Horst und Graben“ hat seinen Ursprung im frühen, mittelalterlichen Bergmannsdeutsch und wurde nach dem Etablieren der Geologie als "Erdwissenschaft" in deren Sprachgebrauch übernommen. Es wird in diesem Wortlaut auch in anderen Sprachen verwendet.

Ein Wechsel im "Stress-Regime"

Bei Tempe Terra handelt es sich um einen Teil der Marskruste, der über einen sehr langen Zeitraum der Marsgeschichte unter hoher tektonischer Spannung gestanden haben muss. Die meist parallelen Gräben haben einen Verlauf von Nordosten nach Südwesten. Allerdings gibt es auch Gräben, die diese Hauptrichtung schneiden. Dies weist auf eine Veränderung in der Orientierung des Spannungsfelds hin. Vor allem im Süden (links in den Bildern 1, 3 und 4) verlaufen einige Brüche nahezu rechtwinklig zur vorherrschenden Hauptausrichtung der Störungen.

Vielfältige Landschaft

Im nördlichen Teil (rechts in den Bildern 1, 3 und 4) zeigt die Landschaft ein deutlich sanfteres Profil. Die Gräben sind zum Teil von schuttbedeckten Gletschern verfüllt, die in diesen Breitengraden charakteristisch für alle steileren Hänge sind. Oben im Bild sind sogenannte Runzelrücken (engl. "wrinkle ridges") zu erkennen. Diese entstanden in der Region Tempe Terra durch Kompressionsspannungen und sind als konzentrischer Ring um ganz Tharsis herum ausgeprägt. Aber auch Abtragungsprozesse haben diesen nördlichen Teil der Region geprägt: Das Auswurfmaterial eines kleinen Kraters (oben rechts in der perspektivischen Ansicht und rechte Bildhälfte von Bild 1) ragt wie ein Podest aus der umliegenden Landschaft empor. Solche Kratertypen entstehen immer dann, wenn das Auswurfmaterial deutlich widerstandsfähiger gegenüber Erosionsprozessen ist als das Oberflächengestein. Es bildet eine erosionsbeständige Lage, die nach der Abtragung des umliegenden Materials ein Plateau um den Krater entstehen lässt.

Alle Bilder in hoher Auflösung und weitere Bilder der HRSC finden Sie in der Mars Express-Bildergalerie auf flickr.

  • Bildverarbeitung
    Die Aufnahmen mit der HRSC (High Resolution Stereo Camera) entstanden am 30. September 2019 während Orbit 19.913 von Mars Express. Die Bildauflösung beträgt etwa 15 Meter pro Bildpunkt (Pixel). Die Bildmitte liegt bei etwa 279 Grad östlicher Länge und 36 Grad nördlicher Breite. Die Farbaufsicht wurde aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche gerichteten Nadirkanal und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Die perspektivische Schrägansicht wurde aus den Geländemodelldaten, den Nadir- und den Farbkanälen der HRSC berechnet. Das Anaglyphenbild, das bei Betrachtung mit einer Rot-Blau- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und den Stereokanälen abgeleitet. Die in Regenbogenfarben kodierte Aufsicht beruht auf einem digitalen Geländemodell (DTM) der Region, von dem sich die Topographie der Landschaft ableiten lässt. Der Referenzkörper für das HRSC-DTM ist eine Äquipotentialfläche des Mars (Areoid). Die Kamera HRSC wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und wird von dort betrieben. Die systematische Prozessierung der Kameradaten erfolgte am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof. Mitarbeiter der Fachrichtung Planetologie und Fernerkundung der Freien Universität Berlin erstellten daraus die hier gezeigten Bildprodukte.

  • Das HRSC-Experiment auf Mars Express
    Die High Resolution Stereo Kamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern gebaut (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Das Wissenschaftsteam unter Leitung des Principal Investigators (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann besteht aus 50 Co-Investigatoren, die aus 35 Institutionen und 11 Nationen stammen. Die Kamera wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben.

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Kontakt

Elke Heinemann

Leitung Digitale Kommunikation
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-1852

Dr. Daniela Tirsch

Principal Investigator HRSC
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Ulrich Köhler

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Prof. Dr. Ralf Jaumann

Freie Universität Berlin
Institut für Geologische Wissenschaften
Planetologie und Fernerkundung
Malteserstr. 74-100, 12249 Berlin