Interview: Wie Quanten aus der Forschung in die Anwendung und unseren Alltag finden
Robbie Shone (links); Copyright (rechts): DLR. Alle Rechte vorbehalten.
Planck, Einstein, Heisenberg und Schrödinger legten die Grundsteine der Quantenphysik. Waren sie auch technologische Visionäre?
Rainer Blatt: Alle bedeutenden Physikerinnen und Physiker waren und sind Visionäre – sie haben eine Vision davon, wie unsere Welt funktioniert und wie man sie beschreiben kann. Konkrete Anwendungen hatten sie sicher auch im Kopf.
Kai Bongs: Anfang des 20. Jahrhunderts hat man Quantenphänomene, wie wir sie heute auch technologisch nutzen, oft für nicht realisierbar gehalten und meist in Gedankenexperimenten debattiert. Wissenschaftler wie Albert Einstein hatten sicherlich ihre Meinung zum technischen Nutzen.
Welche Bedeutung hat die Quantenphysik heute für uns?
Rainer Blatt: Fortschritte in der Physik haben stets zu neuen Technologien geführt, insbesondere auch in der Quantenphysik. Die Industrieländer verdanken ihr mehr als 30 Prozent des Bruttosozialprodukts.
Kai Bongs: Es gibt heute viele Geräte, die auf der Quantenphysik beruhen. Dazu zählen die Halbleitertechnologie für elektronische Bauteile, Computer, Smartphones und Digitalkameras ebenso wie der Laser oder die Magnetresonanz-Tomografie in der Medizin.
Es heißt, wir stehen vor der zweiten Quantenrevolution. Erleben wir gerade einen Durchbruch wie vor hundert Jahren?
Kai Bongs: Eigentlich ist die zweite Quantenrevolution nichts Neues in Bezug auf die Quantenphysik. Dahinter stecken noch immer die Erkenntnisse, wie Atome zu erklären sind, oder dass Licht seine Energie als winzige Pakete überträgt.
Rainer Blatt: Die Erwartungen sind aktuell sehr hoch – doch Durchbrüche brauchen beharrliche und geduldige Forschung und Technologieentwicklung.

Man kann berechtigterweise sagen, dass die Quantenphysik die Basis der Technologien des 20. Jahrhunderts ist.
Worin bestand die erste Quantenrevolution und was hat sie hervorgebracht?
Rainer Blatt: Man kann berechtigterweise sagen, dass die Quantenphysik die Basis der Technologien des 20. Jahrhunderts ist. 1925 haben Werner Heisenberg, Max Born und Pascual Jordan etwa zeitgleich mit Erwin Schrödinger die erste schlüssige Theorie der Quantenphysik formuliert. Es gab aber bereits früher eine ganze Reihe von Vorarbeiten – um 1900 von Max Planck, später von Albert Einstein, Louis de Broglie und vielen anderen. Die Quantenmechanik führte rasch zum Verständnis der Vorgänge in Atomen. Daraus entstanden Technologien wie Magnetresonanzmessungen, Radar, Laser, Transistoren und Halbleiter, aber auch Kernwaffentechnologie und Kernkraftwerke. Ende der Vierzigerjahre gelang es, die spezielle Relativitätstheorie und die Quantenphysik zur Quantenelektrodynamik zusammenzuführen. Sie erklärt, wie Licht und Materie miteinander wechselwirken. Die Quantenchromodynamik beschrieb dann das Innere der Atomkerne und deren Zusammenhalt. In den Achtzigern kamen die Quantenoptik und die Photonik hinzu. All das ermöglicht es heute, atomare Größen präzise zu berechnen, sie sind die Grundlagen für die heutige Messtechnik.

Kai Bongs: Ein Paradebeispiel für eine sehr erfolgreiche Quantentechnologie ist der Laser. Am Anfang hieß es, „A Laser is a device seeking for a problem” – es gab zunächst gar keine konkrete Anwendung. Heute sind Laser überall im Einsatz, in der Wissenschaft, in der Medizin, in der Materialbearbeitung bis hin zur Datenübertragung. Im DLR nutzen wir Laser in der Raumfahrt, in der Spektroskopie, in der Kommunikation, in der Luftfahrt für Strömungsmessungen und in hochpräzisen Laseruhren.
Was sind aktuell große Forschungsschwerpunkte?
Rainer Blatt: Die Fehlerkorrektur bei der Informationsverarbeitung mit Quantencomputern ist ein großes Thema. Quantenzustände sind sehr empfindlich und zerfallen mit der Zeit. Das führt zu Rechenfehlern. Hier gab es in den letzten zehn Jahren erstaunliche Fortschritte, die aber für marktreife Quantencomputer noch technologisch umgesetzt werden müssen. Näher am praktischen Einsatz sind abhörsichere Quantenkommunikation und Quantensensorik für hochpräzise Messtechniken.

In der Quantenkommunikation entwickeln wir Geräte, um Daten per Glasfaser oder über Satelliten weltweit abhörsicher übertragen zu können.
Kai Bongs: Quantenalgorithmen sind ein zentraler Punkt für konkrete Anwendungen. Bei hochkomplexen Optimierungsaufgaben wie dem Stabilisieren von Energienetzen, dem Steuern von Verkehrsströmen oder in der Logistik stoßen klassische Computer an ihre Grenzen, weil ihre Rechenzeit ins Unermessliche steigt. Quantencomputer rechnen anders – ihre Qubits erlauben Rechenoperationen nach Regeln der Quantenphysik, die es in der klassischen Informatik nicht gibt. Ein weiteres Gebiet sind Quantensensoren. Sie sind oft mehr als hundert mal genauer als konventionelle Sensoren. Allerdings sind sie noch sehr teuer. Es geht auch darum die Geräte so robust zu machen, dass sie immun gegen Störungen sind. Künftige Anwendungen reichen von der satellitenfreien Navigation, dem autonomen Fahren über die Suche nach Bodenschätzen bis hin zur medizinischen Diagnostik, beispielsweise bei Gehirnerkrankungen.
Herr Blatt, woran forschen Sie und Ihr Team aktuell?

Rainer Blatt: Wir haben hier in Innsbruck Quantencomputer mit bis zu 100 gespeicherten Ionen als Qubits und forschen intensiv an der Fehlerkorrektur in Quantenalgorithmen. Ein weiteres Thema sind Quantenschnittstellen. Mit ihnen können Quanteninformationen von Ionen auf Photonen übertragen und mehrere Quantencomputer per Glasfaser vernetzt werden - quasi ein abhörsicheres Quanten-Internet. Dafür entwickeln wir auch sogenannte Quantenrepeater, um die in den Photonen gespeicherte Information immer wieder in neue Photonen einzuschreiben, da das Lichtsignal in der Glasfaser gedämpft wird. Noch tiefer in den Grundlagen forschen wir sowohl daran, die Zahl der Qubits von Quantencomputern zu skalieren als auch die Eigenschaften der Qubit zu erweitern. Bisher nutzen wir Qubits mit zwei Basiszuständen, die mit der logischen Null und Eins von Binärcodes assoziiert sind. Das Ziel ist, künftig sogenannte Qudits mit mehr als zwei Basiszuständen zu nutzen. Das erweitert die rechnerischen Möglichkeiten deutlich, ohne die technische Kontrolle schwieriger zu machen.
Herr Bongs, welche Quantentechnologien entwickelt und erprobt das DLR?
Kai Bongs: Luft- und Raumfahrt sind Technologietreiber für Quantentechnologien. Nehmen Sie zum Beispiel die hochpräzise Satellitennavigation: Quantenuhren für Satelliten ermöglichen eine zentimetergenaue Positionsbestimmung auf der Erde. Das DLR forscht an Anwendungen von Quantencomputern bei der Energieversorgung, für die Mobilität oder für die Luftfahrt, beispielsweise zum Optimieren von Flugrouten. Das Spektrum reicht von der Materialforschung bis hin zu quantengestützter KI. In der DLR Quantencomputing-Initiative arbeiten Forschung und Industrie direkt zusammen, entwickeln Hard- und Software für Quantencomputer und sind im unmittelbaren Austausch mit künftigen Nutzern. In der Quantenkommunikation entwickeln wir Geräte, um Daten per Glasfaser oder über Satelliten weltweit abhörsicher übertragen zu können. Hier betreibt das DLR schon erste Satelliten, die Quantenschlüssel zum Ver- und Entschlüsseln der Daten erzeugen und übertragen. In den nächsten Jahren erwarten wir Quantensensoren mit ultrakalten Atomen zur Navigation ohne Satellitensignale, Gravitationssensoren für die Erdbeobachtung, die beim Klimaschutz unterstützen oder für die Suche nach Bodenschätzen, bis hin zu Magnetfeldsensoren für die Medizintechnik.
Herr Blatt, Sie stehen an der Spitze der Quantenforschung. Ganz ehrlich, können wir Quantenphysik überhaupt verstehen?
Rainer Blatt: Das hängt davon ab, was mit „verstehen“ gemeint ist. Unser Verständnis der Natur ist davon geprägt, was wir wahrnehmen und welches Bild wir uns von ihr machen. Mit neuen, besseren Instrumenten können wir Phänomene wahrnehmen, die uns sonst nicht zugänglich wären. Daran passen wir unser Weltbild an. Generell fragt die Physik nicht nach dem „Warum“, sondern nach dem „Wie“. Wir können nicht begründen, warum ein Stein fällt. Wir können aber sagen, wie der Stein fällt. So verstehen wir heute auch die Quantenphysik. Mein Weltbild ist von den Phänomenen geprägt, die wir täglich im Labor beobachten. Ich habe ein pragmatisches Verhältnis zur Quantenphysik. Wenn ein neues Phänomen hinzukommt, passe ich als Physiker meine Sicht an und kann mit dem neuen Verständnis weiterarbeiten. Die Phänomene der Quantenwelt evozieren auch so manche philosophische Frage, bei deren Beantwortung wir mit dem physikalischen Verständnis an Grenzen stoßen. Solche Überlegungen können wichtig und wertvoll sein. Sie ändern mein „Verständnis“ der Quantenphysik aber nicht, solange sie nicht zu neuen, belegbaren Erkenntnissen führen.

Herr Bongs, wie sieht Ihr Quantenbild aus?
Kai Bongs: Ich nutze häufig den Welle-Teilchen-Dualismus, um zumindest ein klein wenig Intuition zu erlangen. Wenn ich an Wellen denke, fällt es mir leichter, mir eine Superposition oder ein Quantenobjekt vorzustellen, das an zwei Orten gleichzeitig ist. Aus dem Urlaub weiß man ja, eine Welle erreicht naturgemäß alle Teile eines Strands.
Wo sind heute in der Quantenforschung die Grenzen unseres Wissens?
Rainer Blatt: Auf Grenzen stoßen wir dort, wo wir mit heutigen Technologien noch nicht messen können, im extrem Kleinen oder in sehr großen Dimensionen, aber auch dort, wo Theorie und Experiment noch nicht übereinstimmen. Wir verstehen noch nicht, wie sich die Quantenphysik und die allgemeine Relativitätstheorie, also die Gravitation, zusammenbringen lassen. Wo beginnt die Quantenwelt, wo endet die klassische Welt? Gibt es überhaupt eine Grenze, oder ist alles nur eine Frage der Messung und Kontrolle von Quantenzuständen?
Kai Bongs: Eine grundlegende Herausforderung ist, Quantenzustände noch besser isolieren und kontrollieren zu können. Wie weit wir die Quantenphysik treiben können, wissen wir heute noch nicht.
Ein Beitrag von Jens Mende aus dem DLRmagazin 178 (erscheint im November 2025).
Wichtige Begriffe aus der Quantenforschung
- Quanten (lat. quantum: wie groß, wie viel): 
 Ursprünglich waren damit die Lichtquanten gemeint, die Strahlung als kleine Energiepakete übertragen. Heute zählen dazu auch alle quantenphysikalischen Objekte wie Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen.
- Welle-Teilchen-Dualismus:
 Quantenobjekte haben gleichzeitig Wellen- und Teilcheneigenschaften. So verhält sich Licht als Teilchen bei Messung seiner Energie, wie beim photoelektrischen Effekt, oder als Welle bei Beugung, wie im Doppelspaltexperiment.
- Superposition: 
 Superposition ist eine kontrollierte Überlagerung von Quantenzuständen. So wie die Lage eines Punkts auf einem Blatt Papier durch die jeweiligen Abstände zu dessen Rändern definiert ist, entspricht eine Superposition einer Summe mehrerer Anteile von Quantenzuständen, die ein Quantenobjekt beschreiben.
- Verschränkung: 
 Durch Übertragen einer Superposition von einem auf andere Quantenobjekte lassen sich diese verschränken. Verschränkte Objekte lassen sich nicht mehr einzeln beschreiben, sondern nur noch als ein ganzes Objekt. Quantencomputer nutzen Quantenobjekte, sogenannte Qubits, als Informationsträger. Diese besitzen zwei Basiszustände, die mit der logischen Null und Eins eines klassischen Bits assoziiert sind. Quantencomputer rechnen nach quantenphysikalischen Prinzipien. Ihre Quantenalgorithmen nutzen gezielt Superpositionen und Verschränkungen und können bestimmte Aufgaben effektiver lösen als heutige Computer.
- Quantenkommunikation: 
 Abhörsichere Übertragung von Information mit quantenphysikalischen Methoden. Quantenmechanische Verschränkung ist die Basis zum verschlüsselten Versenden und Lesen der Daten. Abhörversuche würden die Verschränkung zerstören und so die Übertragung unterbrechen.
- Quantensensorik: 
 Hochpräzise Sensoren, die Quanteneffekte zum Messen physikalischer Größen nutzen, beispielsweise Beschleunigung, Rotation oder Gravitation sowie elektrische und magnetische Felder.