Artikel aus dem DLRmagazin 172: Die Ausstellung „Nach der Natur“ im Humboldt Labor Berlin

Schwarmintelligenz und Exzellenzcluster

Eingangsbereich der Ausstellung
Die Besucherinnen und Besucher empfängt ein projizierter Fischschwarm.
Credit:

Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Stefanie Loos

Was hat ein Schwarm von Zierfischen mit moderner Wissenschaft zu tun? Diese Frage stellt man sich unwillkürlich beim Betreten der Ausstellung „Nach der Natur“ im Humboldt Labor des neuen Berliner Stadtschlosses. Auf einer riesigen Projektionsfläche, die den Eingangsraum diagonal teilt, sind Guppys zu sehen. Droht Gefahr, ordnen sie sich blitzschnell neu und ändern ihre Schwimmrichtung. Dabei agieren sie wie ein komplexer einzelner Organismus – ein starkes Bild für eine moderne Forschungslandschaft, die sich über Fachgrenzen hinweg vernetzt, um die komplexen Herausforderungen der Gegenwart anzugehen.

Neben den Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst ist auch das Humboldt Labor Bestandteil des Humboldt Forums. Es entstand in den letzten Jahren am Standort des ehemaligen Palastes der Republik. Auf circa 500 Quadratmetern sind Exponate insbesondere aus den Bereichen Humanmedizin, Klimaforschung, Informationstechnologie und Soziologie versammelt. Die Leitfragen lauten: Wie hat der Mensch seit Beginn des industriellen Zeitalters die Welt geformt? Welche Probleme sind daraus entstanden? Und wie kann die Wissenschaft heute zu deren Lösung beitragen? Schwerpunktmäßig geht es um Forschungsprojekte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Humboldt-Universität zu Berlin und den Exzellenzclustern der Hauptstadt, in welche diese Projekte eingebettet sind.

Von Humboldt bis zur Hirnforschung

Den Auftakt bilden mehrere Screenexponate. Sie schlagen den Bogen von den Forschungspionieren Alexander und Wilhelm von Humboldt im 18. Jahrhundert zu aktuellen Projekten mit Beteiligung der Humboldt-Universität. Unter anderem geht es hier um die Erkennung und Bekämpfung neurologischer Krankheiten: Vorgestellt wird ein neuartiger Mini-Magnetresonanztomograf. Dieser erlaubt es, anders als eine klassische MRT-Röhre, dass Patientinnen und Patienten während des Hirn-Scans Bewegungen, zum Beispiel mit den Händen, ausführen. Kann der oder die Erkrankte ein Kommando nicht mehr umsetzen, lässt sich der Gehirnbereich lokalisieren, der passiv ist, obwohl er aktiv sein sollte. Wird eine Operation notwendig, kann eine hochgenaue Projektion auf das freiliegende Gehirn diesen Bereich zeigen. Der Vergleich des neuronalen Netzes mit dem Fischschwarm liegt nahe.

Ist das „liberale Skript“ am Ende?

In der Ausstellung
Die Exponatskästen hängen von der Decke und scheinen im Raum zu schweben.
Credit:

Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Stefanie Loos

Richtig in die Ausstellung hineingezogen wird man spätestens bei Betreten des zweiten Raumes. Von der Decke abgehängte Exponatkästen „schweben“ geradezu im Raum. Eine gut 20 Meter lange Projektionswand zeigt prägnante wissenschaftliche Statements zum Anthropozän – dem Zeitalter, in dem der Mensch der Natur unwiderruflich seinen Stempel aufdrückte. Einer der Diskurse auf der großen Leinwand beschäftigt sich mit dem „liberalen Skript“ – dem seit dem 19. Jahrhundert geltenden Grundsatz, dass sich Gesellschaften als Nationalstaaten organisieren und ihren Bürgerinnen und Bürgern in unterschiedlichem Maße Sicherheit und Freiheit gewähren. Inzwischen ist die Welt zum globalen Dorf geworden. Wir erleben mehr und mehr, wie grundlegende Probleme – Klimawandel, Energieunsicherheit, soziale Spannung zwischen Arm und Reich, Rassismus – Staatsgrenzen überschreiten und nur mit Schwarmintelligenz zu lösen sind.

Die zu Wort kommenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weisen darauf hin, dass sich die Hoffnung vom „Ende der Geschichte“ nach Überwindung des Kalten Krieges nicht erfüllt hat. So ist zum Beispiel das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit ins Wanken geraten. Angesichts der Corona-Pandemie rufen Forschende in Erinnerung, dass auch in einer liberalen Gesellschaft Freiheitsrechte zugunsten von Sicherheit eingeschränkt wurden, zumindest vorübergehend. Ist angesichts der Herausforderungen unserer Gegenwart das „liberale Skript“ auserzählt? Der Diskurs bricht recht unvermittelt ab und gibt den eigenen Gedanken Nahrung.

Interaktiv und partizipativ

Der Rückkanal war den Ausstellungsmacherinnen und -machern bei der Konzeption ein wichtiges Anliegen. Per Twitter-Postings können die Besuchenden quasi in Echtzeit auf die laufenden Diskurse reagieren und ihre eigenen Gedanken einbringen. Ausgewählte Postings werden neben den Video-Statements der Forschenden, Infografiken und musikalischen Intermezzi auf die sich ständig neu anordnenden Leinwand-Segmente projiziert – dieser technische Aspekt ist eine faszinierende Art der Vermittlung und ein Highlight für sich.

Zwei kleine Kritikpunkte: Dargestellt sind fast ausschließlich Projekte aus der universitären Forschung. Arbeiten anderer Einrichtungen wie der Helmholtz-Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft oder Max-Planck-Gesellschaft, die ebenfalls mit Schwarmintelligenz arbeiten und mit der Humboldt-Universität vernetzt sind, bleiben außen vor. Zudem wirken die Humboldt-Archive zur Erforschung fremder Völker und lokaler Dialekte, die eine kleine Ecke einnehmen, ein bisschen wie Fremdkörper in einer ansonsten sehr modernen Ausstellungswelt.

Abschließend eine Empfehlung: Am besten vermeidet man die Spitzenzeiten und besucht die Ausstellung zum Beispiel abends, um den Raum auf sich wirken zu lassen und ungestört die etwa 30 minütigen Diskurse aufnehmen zu können. Übrigens werden regelmäßig öffentliche Führungen in verschiedenen Sprachen und Gruppenführungen für Familien sowie Workshops angeboten – für diejenigen, die die Ausstellung gerne im Schwarm besuchen möchten.

DAS HUMBOLDT LABOR

Das Humboldt Labor
Credit:

Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Alexander Schippel

Adresse:
Humboldt Forum, Schloßplatz, 10178 Berlin

Öffnungszeiten:
Mi. - Mo. 10:30 -18:30
Di. geschlossen

Der Eintritt ins Humboldt Labor ist in der Regel frei. Ausgenommen sind Sonderveranstaltungen.

www.humboldt-labor.de

Ein Beitrag von Michael Müller aus dem DLRmagazin 172

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