Ohne jeden Zweifel
„Der jüngste Klimawandel ist beispiellos. Wir alle wissen und spüren das.“ Es gibt keinen Zweifel an dem, was Prof. Dr. Veroni ka Eyring sagt. Die Forschungsergebnisse, die den Klimawandel belegen, sind eindeutig. Gleichzeitig werden die Klimamodelle für belastbare Vorhersagen immer besser. Dazu trägt auch die Forschung von Veronika Eyring bei. Die Wissenschaftlerin leitet am DLR-Institut für Physik der Atmosphäre die Abteilung Erdsystemmodell-Evaluierung und -Analyse. Hinter dem Namen stehen Klimamodelle, mit denen Forschende nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft des Erdklimas blicken.
Im November 2022 sprach Veronika Eyring bei der Eröffnungsveranstaltung der UN-Weltklimakonferenz (COP27) vor Staatsoberhäuptern und Verhandlungsführenden. Sie zeigte den Klimawandel, seine Folgen und Ursachen anhand von wissenschaftlichen Daten: die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre zum Beispiel, die Rekordwerte erreicht. Sie ist gegenüber vorindustriellen Zeiten um 50 Prozent gestiegen. Die Folge: „Die globale Erwärmung hat im Jahr 2020 bereits 1,1 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau erreicht“, erklärte Veronika Eyring bei der Konferenz in Ägypten. 1,1 Grad ist schon recht nah an dem 1,5-Grad-Ziel, das bei der früheren UN-Weltklimakonferenz 2015 in Paris vereinbart wurde. Die Ergebnisse stammen aus dem Bericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), für den Forschende weltweit zusammenarbeiten.
„In allen Regionen der Welt erleben wir außer Kontrolle geratene Klimaauswirkungen mit immer häufigeren und schwereren Extremereignissen. Viele der jüngsten Extremereignisse wären ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel höchstwahrscheinlich nicht aufgetreten.“
Prof. Dr. Veronika Eyring, Abteilungsleiterin Erdsystemmodell-Evaluierung und -Analyse im DLR-Institut für Physik der Atmosphäre
Ihre Aussagen sind auch jetzt noch aktuell: „Die Erwärmung, die wir seit 1850 beobachten, ist nicht auf natürliche Ereignisse zurückzuführen. Sondern auf menschliche Aktivitäten, die CO2 und andere Treibhausgase ausstoßen und weit verbreitete, schnelle und sich verstärkende Klimaveränderungen im gesamten Erdsystem verursachen, die sich mit jeder weiteren Erwärmung verstärken werden.“ Veronika Eyring spricht mit ruhiger Stimme, stellt die Erkenntnisse der Wissenschaftsteams in den Vordergrund. Ihr Vorredner Al Gore applaudierte stehend, als sie die Bühne verließ, und reichte ihr die Hand. Die Wissenschaftlerin und der Friedensnobelpreisträger und ehemalige US-Vizepräsident saßen am Bühnenrand nebeneinander. Kommt man auch ins Gespräch? „Der direkte Austausch mit Politikerinnen und Politikern auf unterschiedlichen Ebenen war sicherlich eine intensive Erfahrung auf der COP“, sagt Veronika Eyring später.
Die Zeit zum Handeln ist jetzt!
Seit mehr als 20 Jahren forscht Veronika Eyring im DLR in Oberpfaffenhofen und ist seit 2017 Professorin für Klimamodellierung an der Universität Bremen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat ihr vor zwei Jahren den Leibniz-Preis verliehen, weil sie maßgeblich dazu beigetragen hat, das Verständnis und die Genauigkeit von Klimavorhersagen zu verbessern. Veronika Eyring weiß sehr genau, wovon sie redet. Ihre Aussagen lassen keinen Interpretationsspielraum offen. „In allen Regionen der Welt erleben wir außer Kontrolle geratene Klimaauswirkungen mit immer häufigeren und schwereren Extremereignissen. Viele der jüngsten Extremereignisse wären ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel höchstwahrscheinlich nicht aufgetreten“, erklärte sie bei der COP27. Und: „Die Zeit zum Handeln ist jetzt.“
Die Ergebnisse der Weltklimakonferenz COP27 blieben insbesondere bei dem Ziel, die Treibhausgasemissionen weltweit deutlich zu senken, hinter den Erwartungen zurück, teilte die Bundesregierung nach Abschluss der Konferenz mit. „Die Lücke zu 1,5 Grad steht weiter klaffend offen, und einige Staaten haben jeden Versuch blockiert, sie ein Stück zu schließen“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Es wurde ein globaler Schutzschirm gegen Klimarisiken gestartet. Er dient den von Klimaschäden betroffenen Menschen – zumeist in ärmeren und verwundbaren Staaten.
Das DLR liefert wichtige Erdfernerkundungsdaten
Seither ist einiges an Zeit vergangen. Veronika Eyring ist längst in ihren Forschungsalltag zurückgekehrt. „Mit den derzeit geltenden Richtlinien wird eine globale Erwärmung von 2,8 Grad Celsius vorhergesagt, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden“, erklärt sie. „Um auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen wir die CO2-Emissionen bis 2030 um etwa 45 Prozent senken. Das ist schon in sieben Jahren. Und sie müssen weiter sinken, um bis 2050 Netto-Null zu erreichen, gefolgt von negativen CO2-Emissionen für den Rest des Jahrhunderts.“ Selbst die Begrenzung der Erwärmung auf 2 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts erfordere ähnlich drastische Reduktionen. Eine Grafik mit einer Skala von Blau über Orange und Rot bis Lila verdeutlicht die Erwärmung: Der Globus färbt sich fast überall orange, rot und sogar lila.
Die Modelle zur Vorhersage des Klimawandels werden stetig exakter. Sie verarbeiten riesige Datenmengen, bewerten Informationen und verknüpfen sie zu einem Gesamtbild. Veronika Eyring nutzt Erdbeobachtungsdaten und wendet Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) an, um Klimamodelle weiter zu verbessern, belastbarere Klimavorhersagen zu erhalten und Technologiefolgen abzuschätzen. Das DLR hat die notwendigen Informationen aus Jahrzehnten der Erdbeobachtung. Und die entsprechende Infrastruktur, um die Analysen durchführen zu können.
Um die Resultate von Klimamodell-Simulationen darzustellen, entwickelt das DLR-Institut für Physik der Atmosphäre in Oberpfaffenhofen gemeinsam mit über 70 internationalen Forschungseinrichtungen federführend das Earth System Model Evaluation Tool (ESMValTool). Das Computerprogramm erlaubt eine umfangreiche Bewertung der Klima- und Erdsystemmodelle im Vergleich mit Beobachtungsdaten. CMIP (Coupled Model Intercomparison Project), das schon vor mehr als 25 Jahren gestartet wurde, ist ein Projekt, in dem Klimamodelle miteinander verglichen werden. Es bildet Standards für Simulationen, Datenformate und Algorithmen für die Auswertung. Mit dem ESMValTool können diese riesigen Datenmengen ausgewertet werden. Das Team von Veronika Eyring analysiert auch die Simulationen der neuesten Generation der CMIP6-Modelle im Vergleich mit Erdbeobachtungsdaten. „Wir können so die Qualität der Klimasimulationen aufzeigen“, sagt Veronika Eyring, die das CMIP6-Projekt von 2014 bis 2020 leitete. „Bei der Modellevaluierung mit Erdbeobachtungsdaten haben Veronika Eyring und das DLR wichtige Pionierarbeit geleistet. Diese Arbeiten vereinen die Stärke des DLR in der Erdbeobachtung mit Kenntnissen aus der Klimaforschung und treiben so die Qualität der Klimavorhersagen voran. Damit ist das DLR auch in seinem Aufgabenbereich der Luftfahrt- und Verkehrsforschung in einer Spitzenposition, wichtige Beiträge zur Bewertung und Verringerung der Klimawirkung unserer Verkehrsträger zu leisten“, sagt der Direktor des Instituts für Physik der Atmosphäre, Prof. Markus Rapp.
Brücke zwischen Physik und maschinellem Lernen
Im interdisziplinären Projekt USMILE (Understanding and Modelling the Earth System with Machine Learning), das vom Forschungsrat der EU (ERC) gefördert wird, entwickelt das DLR gemeinsam mit anderen Forschungseinrichtungen maschinelle Lernverfahren. Sie sollen das Verständnis und die Modellierung des Erdsystems weiter steigern. Hier geht es zum Beispiel um Wolkenprozesse. „Die Darstellung von kleinskaligen Vorgängen wie Wolkenbildung kann weiter verbessert werden“, erklärt Veronika Eyring. „Darüber hinaus arbeiten wir daran, Klimaschwankungen und Extremereignisse wie Dürren mit Methoden wie Deep Learning auf ursächliche Zusammenhänge hin zu untersuchen. Wir erhoffen uns, durch die Brücke zwischen Physik und maschinellem Lernen die Modellierung und Analyse des Erdsystems zu revolutionieren und langfristig zu robusten Klimaprojektionen beizutragen, auch auf der regionalen Skala.“
Jetzt wartet ein neues spannendes Projekt auf die Abteilung. Hier werden die Ansätze von USMILE erweitert und es wird erforscht, wie Quantencomputer eingesetzt werden können, um Klimamodelle weiter zu verbessern. Das Projekt KLIM-QML (Verbesserung von Klimamodellen durch Quantum-Machine-Learning) im Rahmen der DLR-Quantencomputing-Initiative (QCI) ist gerade gestartet. Ziel ist es, einen Prototyp eines auf Quantum Machine Learning basierenden Klimamodells zu entwickeln.
Die nächste Generation
„Künstliche Intelligenz liefert schon heute wichtige Beiträge für die Klimamodellierung, es gibt aber noch viel Potenzial nach oben“, sagt Veronika Eyring. „Dafür braucht es eine neue Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die KI und Klimafragen zusammenbringen. Diese auszubilden, ist eine meiner wichtigsten Aufgaben in den kommenden Jahren.“ Im Moment betreut sie etwa ein Dutzend Doktorandinnen und Doktoranden. 1995 begann sie selbst mit ihrer Promotion an der Universität Bremen und kombinierte ihre Faszination für die theoretische Physik mit der Klimaforschung. Schon damals warnten Forschende vor dem Klimawandel. Und schon damals nutzten sie Klimamodelle – die aber bei Weitem nicht so aussagekräftig waren wie heute.
Veronika Eyring habilitierte im Jahr 2008 an der Universität Bremen und ist als Wissenschaftlerin auch in den USA und in Großbritannien tätig. Sie ist hervorragend international vernetzt. Als die Organisatoren der COP27 anfragten, ob sie bei der Eröffnungsveranstaltung die Stimme der wissenschaftlichen Gemeinschaft vertreten wolle, stand ihre Entscheidung schnell fest.
Die Kernaussagen der Rede waren für Veronika Eyring sofort klar. Ihre DLR-Abteilung, das IPCC-Sekretariat und das Deutsche Klimarechenzentrum unterstützten bei der Vorbereitung und erstellten gemeinsam unter anderem die Animation der Klimavorhersagen. Die Klimaprognosen setzten ein klares Signal für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. „Jeder kleine Anstieg der Erwärmung führt zu weiteren Auswirkungen des Klimawandels“, sagt Veronika Eyring und ergänzt: „Die nächsten Jahre sind kritisch.“
Ein Beitrag von Katja Lenz aus dem DLRmagazin 172