Artikel aus DLRmagazin 172: Das DLR untersucht globale Methanquellen

Kuh ist nicht gleich Kuh

Die Landwirtschaft in Deutschland trägt maßgeblich zur Emission klimaschädlicher Gase bei
Wenn Forschende die Methanemissionen bestimmen möchten, errechnen sie diese in erster Näherung aus vorhandenen Daten. Das nennt man Bottom-up-Schätzung. So wird der Methanausstoß der Viehhaltung mit den Emissionen pro Kuh und der Anzahl der Kühe berechnet.
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GettyImages/Catherine Falls Commercial

Methan ist der Hauptbestandteil des fossilen Energieträgers Erdgas. In den Nachrichten begegnet es uns in Zusammenhang mit dem Bau neuer LNG-Terminals oder Nordstream-Leckagen. Gleichzeitig ist es nach CO2 das zweitwichtigste anthropogene Treibhausgas und beschleunigt den Klimawandel. Die atmosphärische Konzentration ist heute 2,6 Mal so hoch wie zu Beginn der Industrialisierung – das atmosphärische CO2 ist im Vergleich dazu „nur“ um die Hälfte gestiegen. Gleichzeitig ist seine Lebensdauer mit knapp zehn Jahren um mindestens eine Größenordnung geringer als die von CO2. Insgesamt trägt Methan derzeit mit etwa einem Viertel zum menschengemachten Strahlungsantrieb durch langlebige Treibhausgase bei. Die gute Nachricht ist: Wir hätten eine echte Chance, die globale Erwärmung zu bremsen, indem wir die Methanemissionen reduzieren. Und das auf einer kurzfristigen Zeitskala. Allerdings sind die Quellen, aus denen Methan austritt, derzeit noch unzureichend erforscht. Die DLR-Forscherinnen und -Forscher möchten diese Wissenslücke schließen.

Dr. Anke Roiger
Die DLR-Atmosphärenforscherin forscht schon seit langem an den Quellen von Methanemissionen und deren Auswirkungen. Dazu unternimmt sie gemeinsam mit ihrem Team Forschungsflüge in verschiedenste Regionen – von Oberschlesien bis Zentralafrika.

Der „Global Methane Pledge“, den die Europäische Kommission 2021 gemeinsam mit den Vereinigten Staaten auf der Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow ausrief, rückte das Thema in den Fokus der Politik. Die Vereinbarung hat das Ziel, die Methanemissionen bis 2030 um mindestens 30 Prozent gegenüber 2020 zu senken und gleichzeitig mehr Transparenz bei den Emissionen zu schaffen. Inzwischen unterstützen über 100 Nationen die Vereinbarung. „Was uns beunruhigt, ist, dass die Methankonzentration in der Atmosphäre 2020 und 2021 schneller gestiegen ist als je zuvor in unseren Aufzeichnungen und wir bislang noch keine schlüssige Erklärung dafür haben“, sagt Dr. Anke Roiger, Leiterin der Abteilung Atmosphärische Spurenstoffe im DLR-Institut für Physik der Atmosphäre. Die Konzentration des Treibhausgases stieg in den letzten Jahrzehnten nicht immer gleichförmig: In einer Phase zwischen 1999 und 2006 stagnierte der Anstieg des Methangehalts sogar. Mögliche Gründe werden in der Wissenschaft immer noch kontrovers diskutiert. Seit 2007 steigt die Konzentration in der Atmosphäre wieder. „Wir nähern uns mit schnellen Schritten dem wärmsten Szenario des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) und sind meilenweit weg vom 1,5- beziehungsweise 2-Grad-Szenario“, ergänzt Roiger.

Methan entsteht sowohl auf natürliche Weise, durch anaerobe Prozesse von Bakterien in den Sümpfen und Feuchtgebieten der Erde, als auch durch menschliche Aktivitäten: Organische Abfälle auf Müllhalden, die von methanproduzierenden Bakterien zersetzt werden, Wiederkäuer in der Landwirtschaft wie Kühe, die Methan in ihren Mägen produzieren, und auch die Öl-, Gas- und Kohleindustrie setzen große Mengen frei. Die Emissionen schwanken je nach Region, Jahreszeit oder Aktivität. Es ist schwierig, genau zu ermitteln, welche Quelle gerade welche Mengen freisetzt. Wissenschaftliche Studien gelangen zu verschiedenen Ergebnissen, wenn es darum geht, welche dieser Quellen für den Anstieg der letzten Jahre verantwortlich ist. Eine der ersten Hypothesen betraf die unkonventionelle Gasförderung, genannt Fracking, die in den USA seit 2005 vermehrt betrieben wird. Neue Studien zeigten, dass Emissionen aus biologischen Quellen wie Feuchtgebieten, aber auch aus der Viehhaltung oder Mülldeponien dafür verantwortlich sein könnten. Forschungsergebnisse aus 2020 und 2021 zeigten außerdem, dass die natürlichen Emissionen aus der Arktis aufgrund der Wetterextreme unverhältnismäßig hoch waren.

Beobachtete Methankonzentrationen im Vergleich zu den IPCC-Zukunftsszenarien
Die schwarze Kurve zeigt die Ergebnisse von globalen Methanmessungen über die Jahre. Es wird deutlich, dass die Methankonzentration seit 2014 schneller ansteigt. Die bunten Kurven zeigen Projektionen des Sachverständigenrats für Klimaänderungen (IPCC –Intergovernmental Panel on Climate Change), welche die Auswirkung von unterschiedlichen Emissionsszenarien auf die globale Temperaturerhöhung darstellen. Wir nähern uns deutlich dem wärmsten Szenario des IPCC. Die blaue Kurve spiegelt das Szenario des Pariser Klimaabkommens wider.
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Source: The Global Methane Budget 2000–2017 (2020)

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Exakte Methanemissionen sind schwierig zu messen

Wenn Forschende die Methanemissionen bestimmen möchten, errechnen sie diese in erster Näherung aus vorhandenen Daten. Das nennt man Bottom-up-Schätzung. So wird der Methanausstoß der Viehhaltung mit den Emissionen pro Kuh und der Anzahl der Kühe berechnet, die Methanemission aus der Abfallwirtschaft in erster Näherung anhand der Menge an organischem Abfall oder das Methan beim Abfackeln des Erdgases anhand der Menge an verbranntem Erdgas. Das ist eine erste Schätzung, aber natürlich ist Kuh nicht gleich Kuh, Mülldeponie nicht gleich Mülldeponie, und auch die Effizienz beim Abfackeln ist nicht immer vollständig. Letzteres zeigten 2022 Messungen im Golf von Mexiko. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass dabei größere Mengen von Methan in dieser Region freigesetzt werden als bislang angenommen. Unbeabsichtigte Emissionen, zum Beispiel durch Leckagen, sind noch schwieriger einzuschätzen. Natürliche Emissionen sind wiederum äußerst komplex, da sie von Niederschlag, Bodenfeuchtigkeit, Bodentemperatur, solarer Einstrahlung und anderen täglich wechselnden meteorologischen Parametern abhängen. Hinzu kommt, dass Feuchtgebiete oft in abgelegenen Regionen wie in der Arktis, in Zentralafrika oder in der Amazonasregion liegen, wo nur wenige Messungen durchgeführt werden.

Quellstärken von Methan
Aus statistischen Daten hochgerechnet
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Source: The Global Methane Budget 2000–2017 (2020)

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Erdfernerkundungssatelliten können bei der Aufgabe, die Emissionen präzise zu lokalisieren, bisher nur teilweise unterstützen. Ein Grund dafür ist die lange Lebensdauer der Treibhausgase. Dadurch reichern sich Kohlendioxid, Methan oder Lachgas in der Atmosphäre an. So ist selbst bei einer starken Methanquelle die Konzentration nur in unmittelbarer Nähe dieser Quelle eindeutig erhöht.

Auch die neuesten global messenden Erdfernerkundungssatelliten detektieren in Europa häufig nur die äußerst starken Emissionen des oberschlesischen Kohlereviers, kürzlich identifizierten sie auch sehr starke Emissionen einer Müllhalde nahe Madrid. Alle anderen, mittelstarken Quellen gehen unter. „Ich vergleiche das gerne mit einem Swimmingpool voll Wasser, in den Sie an einer Stelle etwas blaue Farbe hineintropfen lassen, um eine Methanquelle nachzustellen. Sobald Sie den Wellengenerator starten, symbolisch für unsere atmosphärischen Windsysteme, wird die Farbe schnell wegtransportiert und gleichzeitig verdünnt. Jetzt haben wir aber eine Vielzahl von anthropogenen und natürlichen Quellen mit zeitlich variierenden Emissionsstärken weltweit, das heißt, die ganze blaue Farbe, respektive das Methan, vermischt sich und es ist unglaublich schwer, die Beiträge zu trennen“, erklärt DLR-Forscherin Roiger.

Flugzeugmessungen geben ein genaueres Bild

Blick aus dem Helikopter beim Anflug auf die Kohleminen in Oberschlesien
Mit sensiblen Messgeräten ausgestattet, fliegen der Helikopter gezielt über verschiedene Quellen und scannen die Methan-Abgasfahnen, welche sich in den untersten Kilometern der Atmosphäre mit dem Wind ausbreiten.

Gemeinsam mit ihrem Team untersucht sie einzelne Gebiete mit starken Methanquellen, in denen es bisher keine oder nur unzureichende Daten gibt. Dazu nutzen sie meist DLR-Forschungsflugzeuge. Mit sensiblen Messgeräten ausgestattet, fliegen diese gezielt über verschiedene Quellen und scannen die Methan-Abgasfahnen, welche sich in den untersten Kilometern der Atmosphäre mit dem Wind ausbreiten. Die Daten geben ein genaues Bild der Emissionsstärken. In Gebieten mit vielen verschiedenen Quellen helfen Messungen von anderen Spurengasen, sogenannten Tracern wie Ethan, oder Isotopenmessungen. Mit ihnen können die Forschenden die Emissionen verschiedenen Anlagen oder Prozessen zuordnen. Auf den Forschungsflügen testen sie auch neue Messmethoden. Die Ergebnisse helfen ihnen zu verstehen, wie hoch die Emissionen sind und wie diese sich verbreiten. 2022 führten DLR-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler die ersten Methanmessungen der Offshore-Ölförderung vor der Westküste Zentralafrikas durch. Das mitgeförderte Erdgas, das in Angola, Gabun, aber auch in vielen anderen Regionen der Welt nicht weiterverwendet wird, wird meist abgefackelt. Dadurch entsteht das weniger wirksame Treibhausgas CO2, was den Vorgang weniger klimaschädlich macht, als das Methan direkt in die Atmosphäre zu entlassen. Manchmal ist die Verbrennung allerdings unvollständig, was Messungen eindeutig belegen. Teilweise wird Methan abgelassen, damit der Druck in der Anlage schnell reguliert werden kann, teilweise entweicht es aus Leckagen. „Gerade beim Ablassen und bei den Leckagen sehen wir großes Potenzial, die Emissionen zu mindern, wenn die Anlagen regelmäßiger überprüft werden oder Technologien für die Rückeinspeisung installiert werden. Die Industrie könnte das gewonnene Gas weiterverkaufen, der Aufwand lohnt sich also“, ergänzt Roiger.

Im selben Jahr untersuchte das DLR-Team auch Kohleemissionen in Oberschlesien, der Region mit den größten Methanemissionen in Europa, und die Emissionen aus den Nordstream-Leckagen, um den Einfluss dieses außerordentlichen Ereignisses besser zu verstehen. Im Sommer 2023 sind die ersten Messungen von Emissionen aus der Viehwirtschaft geplant. Dann werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dem DLR-Forschungsflugzeug Cessna Caravan in den Niederlanden unterwegs sein.

Die Untersuchungen laufen im Rahmen des Messnetzwerks IMEO (International Methane Emissions Observatory). Es wurde im Rahmen des „Global Methane Pledge“ vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen und der Europäischen Kommission ins Leben gerufen, um mit unabhängigen Messungen die anthropogenen Methanemissionen besser quantifizieren zu können. In IMEO arbeiten Forschende eng mit Politik und Industrie zusammen. „Unsere Aufgabe ist es, verlässliche Daten zu liefern und aufzudecken, wo wieviel Methan erwartet oder auch unerwartet freigesetzt wird“, beschreibt Anke Roiger die Rolle des DLR und ergänzt: „So schaffen wir eine Grundlage, auf der wirksame politische Maßnahmen entwickelt werden können, um die anthropogenen Emissionen zu reduzieren.“ Eine geplante EU-Verordnung zur Verringerung der Methanemissionen fokussiert sich auf die oben genannten Prozesse: Das Abfackeln und Ablassen von Erdgas sollen demnach bald nur noch in Ausnahmefällen erlaubt sein. Dies soll auch für importierte fossile Brennstoffe gelten. Auch wenn ein aktives Eingreifen nur bei Emissionen möglich ist, die vom Menschen produziert werden, ist es für Roiger wichtig, die natürlichen Methanemissionen besser zu verstehen. Viele Abhängigkeiten wie die Frage, wie stark sich der Methanausstoß aus tropischen oder arktischen Feuchtgebieten durch höhere Temperaturen oder durch mehr Regenereignisse erhöht, sind noch nicht klar. Wenn diese Abhängigkeiten geklärt sind, verbessern sich auch die Vorhersagen.

Anflug auf die Nordstream-Leckagen
Der Helikopter trägt eine mit DLR-Instrumenten bestückte Schleppsonde der TU Braunschweig.
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TU Braunschweig/Falk Pätzold

Neue Satelliten können Quellen präziser überwachen

„Mittelfristig werden vor allem Satellitenbeobachtungen das zentrale Werkzeug zur Überwachung von Emissionen aus dem Weltraum sein, da sie langfristige und globale Datensätze liefern können“, sagt Anke Roiger. Dazu bereitet das DLR eine eigene Kleinsatellitenmission vor. CO2Image fokussiert sich primär auf CO2-Punktquellen wie Kraftwerke und soll deren Emissionen weltweit bestimmen. Gleichzeitig wird die Mission auch Methanquellen überwachen können. Mehrere Institute des DLR sind daran beteiligt – geplanter Start ist 2026. Ab 2028 wird die deutsch-französische Methanmission MERLIN mit Lasern Methangradienten global messen. Mit den Ergebnissen werden die Forscherinnen und Forscher ihre Modelle von regionalen Methanemissionen und so unser Wissen über Methan und seine Quellen weiter verbessern können.

Erdgas – Eine saubere Brückentechnologie?

Erdgas besteht fast ausschließlich aus Methan und hat eine höhere Energiedichte als andere fossile Brennstoffe, zudem besitzen Gasturbinen einen verhältnismäßig hohen Wirkungsgrad. Bei der Verbrennung entsteht weniger CO2 pro Kilowattstunde als bei anderen fossilen Energieträgern. Allerdings kommt es innerhalb der gesamten Kette, von der Gewinnung bis hin zur Nutzung, ungewollt zum sogenannten Methanschlupf. Dabei tritt unverbranntes Erdgas aus, meist aufgrund von Leckagen. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Methanleckagen sowohl bei der Förderung und beim Transport als auch in städtischen Gasverteilernetzen auftreten; sogar aus stillgelegten Produktionsstätten kann noch Methan entweichen. Wenn man das austretende Methan mitberücksichtigt, ist Erdgas als Energiequelle nicht zwingend klimafreundlicher als Kohle und Öl.

Ein Beitrag von Dr. Anke Roiger aus dem DLRmagazin 172

Kontakte

Dr. Anke Roiger

Abteilungsleiterin Atmosphärische Spurenstoffe
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Physik der Atmosphäre
Münchener Straße 20, 82234 Weßling

Julia Heil

Redaktion DLRmagazin
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation und Presse
Linder Höhe, 51147 Köln