Das Weltraumstrahlungsexperiment MARE auf der Mission Artemis I
Außerhalb des schützenden Erdmagnetfelds ist der Mensch einer sehr hohen Strahlung ausgesetzt. Die Strahlenbelastung auf dem Mond ist zum Beispiel rund 800 Mal höher als auf der Erde. Die kosmische Strahlung kann das Krebsrisiko erhöhen oder das Sehvermögen schädigen. Hinzu kommt die Gefahr durch solare Teilchenereignisse – diese werden durch Explosionen auf der Sonne hervorgerufen und setzen den Menschen in sehr kurzer Zeit einer extrem hohen Dosis Strahlung aus, was zur Strahlenkrankheit führen kann. Deshalb ist es für zukünftige Missionen entscheidend, das Strahlenrisiko zu kennen und Schutzmaßnahmen für die Astronautinnen und Astronauten zu entwickeln. Das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) geleitete MARE-Experiment (Matroshka AstroRad Radiation Experiment) hat mittels zweier baugleicher Messpuppen, die mit der ersten Mission Artemis I der NASA zum Mond geflogen sind, die Strahlenbelastung während des gesamten Fluges untersucht.
Die „Messpuppen-Zwillinge“ sind weiblichen Körpern samt seinen Fortpflanzungsorganen nachempfunden, sodass die Strahlungsdosis in den besonders strahlungsempfindlichen Organen gemessen werden kann. Eine von ihnen – Helga – flog ungeschützt zum Mond, die andere – Zohar - trug eine neu entwickelte Strahlenschutzweste. Die Weste deckt den Oberkörper, die Gebärmutter sowie die blutbildenden Organe ab. Im Vergleich der beiden Datensätze lässt sich dann ermitteln, in welchem Ausmaß die Weste eine Astronautin vor schädlicher Strahlenbelastung schützen würde.
Helga und Zohar –
zwei Phantom-Astronautinnen messen die Strahlenbelastung auf dem Weg zum Mond
Die beiden Messkörper, sogenannten Phantome, bestehen aus jeweils 38 Scheiben, sind 95 Zentimeter groß und 36 Kilogramm schwer. Zohar wiegt mit der Schutzweste sogar 62 Kilogramm. Im Inneren der beiden befinden sich Organe und Knochen aus Kunststoff unterschiedlicher Dichte. Dort und auf der Oberfläche sind über 6000 passive Strahlungsdetektoren aus kleinen Kristallen sowie 16 aktive Detektoren an den strahlenempfindlichsten Organen des Körpers - Lunge, Magen, Gebärmutter und Knochenmark - eingebaut. Die passiven Strahlungsmessgeräte (Dosimeter) messen kontinuierlich und liefern so einen über die gesamte Missionszeit summierten Wert der Strahlung. Mit dem Auslesen der Kristalle entsteht ein dreidimensionales Abbild des menschlichen Körpers, das zeigt, wie hoch die Strahlenbelastung während eines Mondfluges insgesamt auf Knochen und Organe an unterschiedlichen Stellen ist.
Die aktiven, batteriebetriebenen Detektoren erfassen zusätzlich die aktuelle Strahlenbelastung mit einer zeitlichen Auflösung von fünf Minuten. So können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachvollziehen, unter welchen Bedingungen und in welchen Phasen der Mission welche Strahlenbelastung auf die Körperteile einwirkt.
Mit MARE wurde auch erstmals die Strahlenbelastung auf den weiblichen Organismus außerhalb der Umlaufbahn der Internationalen Raumstation ISS gemessen. Frauen haben ein allgemein höheres Risiko als Männer, an Krebs zu erkranken. Daher ist es wichtig, die Schutzmaßnahmen für die Besatzungen zukünftiger Langzeitmissionen auf Grundlage dieser Daten zu entwickeln.
Zum ersten Mal wurden mit MARE auch kontinuierlich Messdaten erfasst, mit denen sich bestimmen lässt, wie hoch die Strahlungsbelastung zu bestimmten Zeitpunkten während des Flugs zum Mond innerhalb des Raumschiffs war. Dies erfolgte unter anderem mit 16 vom DLR entwickelten Strahlungsmessgeräten, den sogenannten DLR M-42.
Messungen der kosmischen Strahlung auf der ISS
Die Strahlenbelastung, der die Astronautinnen und Astronauten an Bord der ISS ausgesetzt sind, wird seit Jahren vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin untersucht. Ab 2004 war für eineinhalb Jahre eine „männliche“ Messpuppe (Matroshka) an der Außenwand der ISS angebracht, um zu ermitteln, wie hoch die Strahlenbelastung während eines Außenbordeinsatzes ist. Später wurde mit ihr auch im Inneren der ISS in verschiedenen Modulen die kosmische Strahlung erfasst. Seit 2012 misst das DLR-Experiment DOSIS 3D im Columbus-Labor der Raumstation. Mit den Ergebnissen wird ein 3D-Modell der Strahlenbelastung auf der Raumstation erstellt.
Während der Artemis-I-Mission hat sich das Orion-Raumschiff fast über eine halbe Million Kilometer weit von der Erde entfernt – das ist weiter als jemals zuvor ein Crew-Raumschiff geflogen ist. Beste Voraussetzungen, um mithilfe der Testpuppen jede Menge Daten zu sammeln, die die Reise für die zukünftigen „leibhaftigen“ Besatzungen sicher machen.
MARE: Größtes Experiment außerhalb des erdnahen Orbits
Das Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) leitet das Experiment. Hauptprojektpartner sind die israelische Raumfahrtagentur ISA, der israelische Industriepartner StemRad, der die AstroRad-Schutzweste entwickelt hat, sowie Lockheed Martin und die NASA. MARE stellt in seiner Komplexität und in seiner internationalen Zusammenarbeit mit zahlreichen Universitäten und Forschungseinrichtungen aus Europa, Japan und den USA das größte Experiment zur Bestimmung der Strahlenbelastung für Astronautinnen und Astronauten dar, das jemals den erdnahen Orbit verlassen hat. Die während Artemis I durchgeführten Messungen lieferten wertvolle Daten zur Risikobewertung und -minderung für künftige Erkundungsmissionen und ermöglichen eine für den Menschen sichere Erforschung des Weltraums.