Das Projekt: Eine visionäre Idee
Raumsonden ermöglichen fundamentale Einblicke in unsere kosmische Nachbarschaft und damit auch unsere Herkunft. Europa setzte sich mit der Mission Rosetta ein ehrgeiziges Ziel: die Beobachtung eines Kometen aus nächster Nähe über fast zwei Jahre hinweg – inklusive Landung.
Noch während der Mission Giotto zum Kometen Halley in den Jahren 1985/86 wurde eine gewagte Idee geboren: Die Wissenschaftler wollten einen Kometen nicht nur während eines raschen Vorbeifluges untersuchen, sondern ihn mit einem Orbiter über einen längeren Zeitraum im inneren Sonnensystem begleiten. Der Komet sollte erreicht werden, bevor er seine Aktivität entwickelt, um dann mit ihm bis zu seinem sonnennächsten Punkt zu fliegen, wo er am meisten Staub und Gas verliert. Danach kann die Raumsonde die wieder abnehmenden Staub- und Gasausbrüche untersuchen.
Der ursprüngliche Plan sah sogar vor, zusammen mit der NASA vom Kern des Kometen Proben einzusammeln und diese zur Erde zu bringen, um sie im Labor untersuchen zu können. Diese kühne Vision musste jedoch verworfen werden.
Das neue Konzept war aber kaum minder ehrgeizig: Ein Labor sollte mit einem Landegerät auf dem Kometen abgesetzt werden, um diesen Kometen über mehrere Wochen vor Ort zu untersuchen. Als wissenschaftliche Hauptziele wurden die Erforschung der kometaren Aktivität und die Gewinnung neuer Erkenntnisse zur Entwicklung des Sonnensystems formuliert. Eine solche Mission würde auch im Wissenschaftsprogramm der Europäischen Weltraumorganisation ESA eine herausragende Rolle spielen.
1994 beschloss die ESA, dass es zu einem mehrmonatigen Rendezvous mit einem Kometen kommen soll, mit der Möglichkeit zur Mitnahme von ein oder zwei kleinen Landegeräten. Die Mission Rosetta war geboren.
Tour durchs innere Sonnensystem
Da Rosetta nicht einfach nur schnell an einem Kometen vorbeiflog (wie etwa Giotto), sondern diesen auf seiner Bahn um die Sonne begleitete, musste die Bahn an die des Kometen angepasst werden. Dies erforderte große Änderungen in der Geschwindigkeit und Richtung. Sie wurden praktisch erzielt, indem die Sonde durch nahe Vorbeiflüge an Erde und Mars Schwung holte – also durch ein sogenanntes Swing-by-Manöver: Dabei überträgt der massereiche Planet einen unmerklich kleinen Teil seiner Bewegungsenergie auf das vergleichsweise winzige Raumschiff.
Dadurch ergab sich jedoch eine sehr lange Flugzeit von circa zehn Jahren. Rosetta umrundete dabei auf ähnlichen Bahnen wie die der Planeten mehrfach die Sonne und näherte sich dabei immer wieder mit hoher Geschwindigkeit einem der inneren Planeten an. Dreimal holte Rosetta auf diese Art bei den genau berechneten, sehr nahen Vorbeiflügen Schwung an der Erde und einmal beim Mars.
Die Bahn der Sonde wurde nun stark exzentrisch und führte immer tiefer ins Sonnensystem. Das mehrmalige Durchkreuzen des Asteroidengürtels konnte dabei genutzt werden, um zwei Asteroiden – Šteins und Lutetia – während kurzer Vorbeiflüge zu untersuchen. Außerdem gelang es 2005, Aufnahmen vom Kometen Tempel 1 zu machen und damit die Deep Impact-Mission der NASA zu unterstützen. Rosetta hat bis zur Ankunft bei 67P/Churyumov-Gerasimenko etwa 6,4 Milliarden Kilometer zurückgelegt und den Kometen bis September 2016 auf weiteren 1,6 Milliarden Kilometern begleitet.
Vorbeiflug an Šteins und Lutetia
Am 10. Juli 2010 flog Rosetta in einer Entfernung von 3.169 Kilometern an dem Asteroiden (21) Lutetia vorbei. Mit einem Durchmesser von circa 106 Kilometern ist Lutetia einer der größten Asteroiden, groß genug, um die Zusammenstöße im Asteroidengürtel zu überstehen. Seine hohe Dichte (3,4 Gramm pro Kubikzentimeter) legt nahe, dass er einen schwereren, mit Metall angereicherten Kern und eine etwas leichtere Gesteinskruste und -oberfläche hat. Damit stellt dieser Kleinkörper einen Übergang dar zu den größten Asteroiden wie Vesta und zu den Gesteinsplaneten im inneren Sonnensystem.
Zuvor fand am 5. September 2008 der Vorbeiflug an dem Asteroiden (2867) Šteins in einer Entfernung von etwa 800 Kilometern statt. Šteins ist einer von Millionen Asteroiden, die im Sonnensystem zwischen Mars und Jupiter zu finden sind. Mit einem Durchmesser von 4,5 Kilometern zählt er schon zu den größeren dieser Kleinkörper. Seine Form, die er durch schnelle Rotation bekommen hat, ähnelt einem geschliffenen Diamanten. Deutlich sichtbar ist ein großer Einschlagskrater nahe der Rotationsachse. Die Oberfläche aus Geröll, dem sogenannten Regolith, ist mit Einschlagskratern übersät. Dem menschlichen Auge präsentiert sich Šteins unspektakulär grau mit einer leichten rötlichen Tönung.
Überwinterung und Aufwachen
Trotz der riesigen Solargeneratoren mit einer Fläche von 64 Quadratmetern war von vorn herein klar, dass für die sonnenfernsten Abschnitte der Reise nicht genug elektrische Leistung zur Verfügung stehen würde, um Rosetta aktiv zu halten. Daher wurde die Sonde für etwa zweieinhalb Jahre in eine Art Winterschlaf (Hibernation) versetzt. Nur das Heizsystem, ein „Wecker“ und der Radioempfänger blieben in Betrieb.
Die Sonde war während dieser Zeit spin-stabilisiert, das heißt, Rosetta rotierte um ihre Längsachse und behielt dann wie ein Kreisel eine stabile Lage im Raum bei. Das war notwendig, um das Maximum an Stromerzeugung in dieser großen Entfernung zur Sonne zu ermöglichen.
Kontakt mit der Erde gab es in diesem Zeitraum nicht. Am 20. Januar 2014 kam es zu einem der emotionalsten Momente der Mission: Würde auf Rosetta „der Wecker klingeln“ und das Raumschiff automatisch wieder den Betrieb aufnehmen? Und sich und dann mit einem vorgegebenen Funksignal auf der Erde melden?
Alles funktionierte reibungslos: Rosetta erwachte wie erwartet, nahm seine Systeme autonom in Betrieb und orientierte sich zuerst mit seinen Sternenkameras am Fixsternhimmel. Die Sonde wusste dadurch, wo die Sonne, ihre Energiequelle, stehen würde und dreht die Solarpanele in ihre Richtung. Nachdem die Akkus genug Energie hatten, wurde die Hauptantenne zur Erde ausgerichtet und der Funkverkehr nach 31 Monaten Pause wieder aufgenommen. Als das erste Trägersignal über eine Stunde später, um 19.18 Uhr, im Kontrollzentrum der ESA in Darmstadt eintraf war der Jubel grenzenlos.
Annäherung und Ankunft
Nun war Rosetta fast am Ziel. Schon lange vor dem Rendezvous am 6. August 2014 wurde „Tschuri“ aus Millionen von Kilometern Entfernung von der OSIRIS-Kamera erfasst. Aus einer Distanz von 570.000 Kilometern konnte der Kern zum ersten Mal auf den Bildern aufgelöst werden. Völlig überraschend zeigte sich ein Körper mit einer komplexen Gestalt.
Mit der Annäherung wurden immer mehr Details auf dem Kern sichtbar. Er rotiert mit einer Periode von 12,4 Stunden, also ist der Kometentag nur halb so lang wie ein Erdtag. Die Rotationsachse ist um 52 Grad gegenüber der Umlaufbahn geneigt, das verursacht starke Jahreszeiten. Vor und nach der Ankunft war nur der Norden zu sehen, der Süden lag zunächst in der Finsternis einer „Polarnacht“.
Rosetta war mit unglaublicher Präzision auf Kurs. Zuletzt musste die Sonde weit ausholen, um sich der Umlaufbahn des Kometen mit möglichst geringem Geschwindigkeitsunterschied anzunähern. Später wurde sie von dem winzigen Gravitationsfeld des Kometen „eingefangen“, um ihn fortan wie ein Satellit zu umkreisen. Allerdings waren dabei ständig Korrekturen mit Hilfe der Steuerdüsen notwendig. All diese komplizierten Manöver meisterte die ESA bravourös. Auch die Instrumente an Bord lieferten große Mengen wertvoller Daten. Mit hoher Priorität wurde die detaillierte Kartierung des Kometen begonnen. Schon in etwas mehr als drei Monaten sollte die Landung auf Tschuri erfolgen.
Anfang November 2014: „Grünes Licht“ vom Kontrollzentrum für die Landevorbereitungen der Philae-Sonde.
Ein Bild von einem Kometen
Wissenschaft und Öffentlichkeit waren fasziniert von den Aufnahmen, die Rosetta zur Erde funkte. 67P/Churyumov-Gerasimenko offenbarte eine exotische, bizarre Kometenwelt.
Sofort ins Auge fallen die beiden durch eine Art „Hals“ getrennten Teile, die zur besseren Orientierung als „Kopf“ und „Körper“ bezeichnet werden. Derart ausgeprägt kannte man dies von keinem anderen Kometen oder Asteroiden. Die gesamte Oberfläche zeigt erstaunlich unterschiedliche Landschaftsformen. Neben glatten, staubbedeckten Ebenen ragen schroffe, zerklüftete Steilwände und Grate empor. Zahlreiche Gruben und Senken sind das Ergebnis der bei jedem Umlauf in Sonnennähe einsetzenden Aktivität von Tschuri. Staub, der sich mit dem verdampfenden Eis löst, wird offensichtlich nicht vollständig ins Weltall mitgerissen, sondern fällt zum Teil auf die Kometenoberfläche zurück und bildet dort sanft gewellte, gelegentlich an Dünen erinnernde Flächen.
Vielerorts liegen große fels- oder staubbedeckte Brocken bis zur Größe von kleinen Häusern wie Findlinge in der Landschaft. Am Fuß mancher Abhänge haben sich Geröllfelder gebildet. Blankes Eis dagegen findet sich nur an wenigen Stellen. Mancherorts spalten mehrere hundert Meter lange Risse die Landschaft, vermutlich das Ergebnis großer Temperaturunterschiede, die zu Spannungen im Körper des Kometen geführt haben. Wegen der sich durch die Aktivität ständig verändernden Oberfläche sind Krater von Meteoriteneinschlägen nicht sichtbar.
Suche nach einem Landeplatz
Die unerwartet raue Oberfläche ließ rasch Bedenken aufkommen, ob man auf dem Kometenkern sicher würde landen können. Im August 2014, nach der ersten Erkundung aus dem Orbit, begann die Diskussion über geeignete Landestellen. Zunächst wählte das Lander-Team, das vom DLR und dem französischen CNES angeführt wurde, zehn mögliche Kandidaten aus, die auch von der ESA aus raumfahrttechnischer Sicht als „machbar“ eingestuft wurden. Diese wurden Ende August 2014 in Toulouse dem Philae-Wissenschaftsteam vorgestellt. Das Team verringerte diese Zahl auf fünf, die dann nochmal genauestens untersucht werden sollten, um drei Wochen später eine endgültige Auswahl zu treffen.
Für die Ingenieure war eine möglichst sichere Landung das oberste Ziel. Deshalb sollte die Landestelle möglichst wenige Hindernisse aufweisen. Darüber hinaus waren Sonnenscheindauer und Ausrichtung zur Sonne von Bedeutung für die Energieversorgung des Landers. Für die Forscher galten etwas andere Prioritäten, denn die Landestelle sollte auch wissenschaftlich möglichst spannend sein. So wollten sie die Kometenaktivität aus nächster Nähe untersuchen und allen Instrumenten gute Beobachtungschancen bieten. Mitte September wurden die endgültige Landestelle Agilkia und eine Reservelandestelle ausgewählt. Acht Wochen später war es so weit.
Wie sich im Nachhinein herausstellte, war Agilika eine ausgezeichnete Wahl. Allerdings gelang die Landung am 12. November nicht wie geplant.
Abtrennung und Abstieg
Mittwoch, 12. November 2014 – der Tag X: Auf diesen Tag haben die Teams jahrelang hingearbeitet. Das Landemodul Philae soll auf dem Kometen aufsetzen.
Um 6:06 Uhr MEZ wurde Rosetta aus der 30 Kilometer hohen Umlaufbahn auf einen Beinahe-Kollisionskurs mit Tschuri gebracht, um Philae in Richtung der vorgesehenen Landestelle Agilkia abstoßen zu können. Um 9:35 Uhr MEZ wurde Philae bei einer Kometenentfernung von 22,5 Kilometern vom Orbiter getrennt und schwebte Tschuri mit einer Geschwindigkeit von zunächst 19 Zentimetern pro Sekunde entgegen. Der Abstieg erfolgte ballistisch, also im freien Fall und dauerte sieben Stunden. Das Manöver konnte jetzt nicht mehr beeinflusst werden, zumal Signale von der Erde zum Ort des Geschehens 28 Minuten benötigten.
Die OSIRIS-Kamera an Bord von Rosetta funkte währenddessen Bilder zur Erde, die zeigten, dass die drei Landebeine vollständig ausgeklappt sind. Die geringe Anziehungskraft des Kometen beschleunigte Philae auf einen Meter pro Sekunde, das ist knapp Schrittgeschwindigkeit. Exakt wie berechnet setzte Philae um 16:34 Uhr in Agilkia auf, nur etwa hundert Meter neben dem vorgesehenen Landeplatz. Der Empfang des sogenannten Touchdown-Signals um 17:03 Uhr, das den Bodenkontakt anzeigt, löste im Kontrollzentrum zunächst großen Jubel aus. Auch die Harpunen, die Philae im Eis des Kometen verankern sollten, schienen funktioniert zu haben. Der Funkkontakt blieb zunächst stabil.
Dennoch: Etwas stimmt nicht … Philae war noch in Bewegung!
Was ist mit Philae passiert?
Schon bald nach Philaes erstem Kontakt mit dem Kometen wurde bemerkt, dass etwas nicht ganz wie geplant verlaufen war. Das zeigten Telemetriedaten des Solargenerators sowie Messungen des Magnetometers und des MUPUS-Sensors: Philae bewegte sich. Was war geschehen?
Die Harpunen, die Philae an der Landestelle Agilkia hätten verankern sollen, haben nicht funktioniert. Auch die Eisschrauben an den Füßen konnten sich nicht in den Boden drehen. Wegen der geringen Gravitation übt die 100-Kilogramm-Sonde auf dem Kometen eine Gewichtskraft aus wie eine zwei Gramm schwere Masse auf der Erde. Daher prallte Philae wieder ab, wenn auch mit sehr niedriger Geschwindigkeit. Die Sonde stieg auf, berührte wieder den Boden, hüpfte ein zweites und drittes Mal und landete zwei Stunden später etwa einen Kilometer weiter südlich am Außenrand der großen Senke Hatmehit. Die Stelle wurde später Abydos getauft.
Zwar konnte das Philae-Team die endgütige Landestelle auf wenige zehn Meter genau eingrenzen, aber auf den Fotos von OSIRIS war der Lander zunächst nicht zu sehen. Immerhin schien Philae nicht beschädigt zu sein, auch der Funkkontakt über Rosetta zur Erde blieb stabil. Das erste Philae-Bild von Abydos zeigt Strukturen, die an eine dunkle Felsspalte erinnern.
Abydos war ein sehr schlecht beleuchteter Ort, der im Verlauf des zwölfstündigen Kometentages nur etwa 80 Minuten von der Sonne beschienen wurde: Das war jedoch zu kurz, um die Batterien wieder aufzuladen, aber immerhin ausreichend, um alle Instrumente zumindest einmal in Betrieb zu nehmen.
Spektakuläres Ende der Mission
Philae konnte nur 64 Stunden mit dem Strom der Primärbatterie arbeiten. Das ermöglichte wichtige Messungen. So wurde die erste Landung auf einem Kometen ein großer Erfolg.
Danach fiel Philae in eine Art Winterschlaf. Zwar näherte sich der Komet nun der Sonne an, sodass Philae mehr Strom produzieren konnte. Und tatsächlich sendete Philae am 13. Juni 2015 doch noch ein Lebenszeichen! Es kam jedoch nur zu wenigen sporadischen Kontakten, dem letzten am 9. Juli 2015. Weitere Experimente waren aber nicht möglich.
Der Rosetta-Orbiter funktionierte weit über die geplante Missionsdauer hinaus. Die Sonde zeichnete die Zunahme der Kometenaktivität bis zum sonnennächsten Punkt auf – und danach auch die nachlassende Aktivität.
Im Sommer 2016 waren Rosetta und der Komet bereits weit jenseits der Marsbahn. Bald würden die Solarpanele nicht mehr genügend Strom liefern. Für das Missionsende plante die ESA ein weiteres spektakuläres, noch nie durchgeführtes Manöver: Rosetta sollte, wie Philae, auf dem Kometen landen. In Vorbereitung des letzten Manövers und für Beobachtungen aus nächster Nähe wurde Rosetta bis auf zwei Kilometer an 67P/Churyumov-Gerasimenko herangelenkt.
Dies ermöglichte Aufnahmen mit der OSIRIS-Kamera in extrem hoher Auflösung. Dabei wurde Philae am 2. September 2016 doch noch entdeckt! Der Lander stand in Abydos hochkant in einer dunklen Spalte.
Am 30. September 2016 wurde Rosetta auf Kollisionskurs gebracht und setzte sanft am selben Tag auf dem Kometen auf, den die Sonde 786 Tage lang aus der Nähe untersucht hatte. Um 13:19 Uhr MESZ erreichte das letzte Funksignal das Kontrollzentrum in Darmstadt. Rosetta übermittelte bis zur letzten Sekunde Messdaten und Fotos.