Die seismische Aktivität des Mars

Um die seismischen Aktivität eines Planeten zu beschreiben, muss man fünf Fragen nachgehen: Warum gibt es Beben? Wo ereignen sie sich? Wie viele finden statt? Wie stark sind sie? Wann treten sie auf?

Aufgrund der an der Oberfläche des Mars sichtbaren geologischen Dehnungs- und Stauchungsstrukturen und durch mathematische Modelle für die Abkühlung des Planeten seit seiner Entstehung kann abgeschätzt werden, dass der Mars aktiver ist als der Mond, jedoch weniger aktiv als die Erde. Eine schon 2006 am DLR entwickelte Arbeitshypothese macht dabei die Annahme, dass heutige Marsbeben entlang der an der Oberfläche sichtbaren Bruchzonen stattfinden und ihre Stärke durch die Ausdehnung dieser Bruchzonen begrenzt wird. Eine kürzlich vom DLR publizierte neue Modellierung macht die Stärke von der mechanischen Beanspruchung der Lithosphäre (die Gesteinsphäre, äußere Schale der Erde) durch die Konvektionsströme im Mantel abhängig und geht davon aus, dass die sichtbaren Bruchzonen zu alt sind, um noch eine Rolle zu spielen.

Warum gibt es Beben?

Anders als auf der Erde gibt es auf dem Mars keine Plattentektonik, das heißt die Lithosphäre des Mars besteht nur aus einer einzigen zusammenhängenden Schale anstatt, wie bei der Erde, aus vielen, sich gegeneinander bewegenden und sich teils übereinander schiebenden Platten, welche auf der Erde die Ursache für die meisten Beben sind.

Mathematischen Modellen zufolge ist die wichtigste Ursache für Marsbeben hingegen die Abkühlung des Planeteninneren: Der Mantel des Mars kühlt langsam ab und zieht sich dabei zusammen (wobei der Planetenradius aktuell um zirka 0,002 Millimeter pro Jahr abnimmt). Die Abkühlrate beträgt derzeit etwa 67 Grad in einer Milliarde Jahre – es wird also noch viele Milliarden Jahre dauern, bis der derzeit vermutlich etwa 1.600 Grad Celsius heiße Kern sich auf die Temperatur der Oberfläche abgekühlt hat. Die Oberflächentemperatur selbst ist durch die Strahlung der Sonne festgelegt und bleibt, von den täglichen und jahreszeitlichen Schwankungen abgesehen, gleich. Dadurch kommt es zu thermoelastischen Spannungen in der Lithosphäre, die sich in Form von Marsbeben schlagartig entladen können. Physikalisch ist das der gleiche Effekt der zum Beispiel Glas bei plötzlicher Abkühlung zerspringen lässt.

Dieser Mechanismus wurde bereits Anfang der 1990er Jahre als These vorgeschlagen und liegt auch den aktuellen Modellen des DLR zugrunde.

Wo ereignen sie sich?

Auf der Oberfläche des Mars sind Bruchzonen erkennbar, die überwiegend entweder eine Dehnung oder eine Stauchung der Kruste anzeigen. Sehr selten sind dagegen sogenannte Blattverschiebungen, bei denen es nur zu einer seitlichen Verschiebung kommt; das prominenteste Beispiel einer Blattverschiebung auf der Erde ist die San-Andreas-Verwerfung in Kalifornien, entlang der es häufig zu starken Erdbeben kommt.

Die Dehnungszonen auf dem Mars, tektonisch überwiegend Grabenbrüche, konzentrieren sich auf die Tharsis-Aufwölbung, die durch ihre gigantischen Vulkane auffällt (allen voran der über 20 Kilometer hohe Olympus Mons) sowie das Bruchsystem des Valles Marineris, welches in Ausdehnung und Funktionsweise etwa vergleichbar mit dem Grabenbruch des ostafrikanischen Rift Valley ist. Die Aufwölbung der Kruste in Tharsis hat zu einem ungefähr sternförmigen System von Rissen in der Oberfläche geführt, die teils mehr als 1.000 Kilometer lang sind.

Die Stauchungszonen sind diffuser über fast den gesamten Planeten verteilt und an der Oberfläche meist als sogenannte wrinkle ridges (Runzelrücken) erkennbar. Hier ist das Gestein entlang von geneigten Bruchflächen übereinander geschoben.

Vielleicht sind die Herde der Marsbeben entlang dieser Bruchzonen verteilt. Das neueste Modell des DLR lässt aber zu, dass sich überall Beben ereignen – dies sind zwei konkurrierende Hypothesen, die durch InSight einem Praxistest unterzogen werden.

Wie viele finden statt?

In die Berechnung der Abkühlung des Mars gehen verschiedene Größen ein, die derzeit nur unzureichend bekannt sind – ihre Ermittlung gehört zu den Zielen der Mission InSight. Dazu gehört der Wärmefluss an der Oberfläche, das heißt die Wärmemenge, die der Mars tatsächlich abgibt, aber auch die Dicke seiner Kruste, da diese eine Wärmedämmung darstellt. Eine ungeklärte Frage ist auch, wie stark Marsbeben eigentlich werden können.

Alle derzeitigen Modelle für die seismische Aktivität des Mars gehen davon aus, dass schwache Beben viel häufiger auftreten als starke, und dass die relativen Häufigkeiten ähnlich verteilt sind wie auf der Erde, denn dies scheint eine grundlegende Eigenschaft von Bruchprozessen zu sein. Als Faustregel wird angenommen, dass Beben einer bestimmten Magnitude (Richter-Skala) etwa zehnmal häufiger auftreten als Beben, die eine Magnitudeneinheit stärker sind.

Modelle des DLR deuten darauf hin, dass während der zweijährigen Missionsdauer etwa zehn Beben mit einer Magnitude von mindestens 4 auftreten – bei optimistischeren Annahmen aber vielleicht auch mehrere hundert.

Wie stark sind die Beben?

Wie stark können Erdbeben werden? Die Stärke von Erdbeben wird durch die Magnitude angegeben – grob gesagt gilt, dass die Erhöhung der Magnitude um 1 einer Vergrößerung der freigesetzten Energiemenge um den Faktor 30 entspricht und einen etwa zehn mal längeren Bruch erfordert. Das verheerende Erdbeben vor der Küste Sumatras im Jahr 2004 beispielsweise hatte eine Magnitude von MW=9,3 und eine Bruchlänge von zirka 1.200 Kilometern. Aber instrumentelle Aufzeichnungen gibt es erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Also haben wir das größtmögliche Beben vielleicht einfach noch nicht in unseren Aufzeichnungen? Andererseits müsste ein Beben der Magnitude 11 wahrscheinlich alle Subduktionszonen (wo die schwerere ozeanische Kruste unter die leichtere kontinentale Erdkruste gezogen wird) des sogenannten Pazifischen Feuerrings einbeziehen, und ein Beben der Magnitude 15 würde den ganzen Planeten Erde buchstäblich in Stücke reißen. Im langjährigen Mittel entsprechen alle Erdbeben eines Jahres zusammengenommen in etwa einem einzelnen Beben der Magnitude MW=8.5.

In einem Analogieschluss, welcher das stärkste zu erwartende Ereignis mit dem langjährigen Mittel vergleicht, stellt sich heraus, dass das stärkste Beben auf dem Mars wahrscheinlich eine Magnitude zwischen 5 und 7,5 haben wird.

Wann treten sie auf?

Die Abkühlung des Mars ist ein gleichmäßig fortschreitender Vorgang, die Abkühlrate sinkt im Laufe der Zeit nur sehr langsam. In dieser Hinsicht ähnelt die Ursache der Marsbeben der Ursache der Erdbeben: auch die Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung der Lithosphärenplatten auf der Erde ändert sich nach alltäglichen Maßstäben nur sehr langsam oder gar nicht. Auch hat dieser Mechanismus – mit Ausnahme von Nachbeben großer Ereignisse – praktisch kein Gedächtnis dafür, wann das letzte Erdbeben stattfand, denn bei jedem Beben ändert sich die elastische Spannung im Gestein nur um wenige Prozent.

Wir nehmen daher an, dass die zeitliche Abfolge von Marsbeben ebenso wie die Abfolge von Erdbeben rein zufällig ist und nur statistische Eigenschaften wie die durchschnittliche Anzahl von Beben pro Jahr vorhersagbar sind.

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Planetenphysik
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Ulrich Köhler

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin