Der Rettungshubschrauber 2030
Perspektive:
Zukünftige Rettungshubschrauber können erstmals witterungsunabhängig rund um die Uhr im Einsatz sein
Bedarf: Menschenleben schneller und jederzeit retten
Von den Rettungshubschraubern der Zukunft wird erwartet, dass sie rund um die Uhr auch über große Distanzen und bei jedem Wetter schnell, sicher, leise und flexibel ihren Einsatzort erreichen. Verkehrsunfälle geschehen sehr häufig nachts und bei schlechter Sicht. Die schnelle vorklinische Versorgung ist für das Überleben schwerverletzter Unfallopfer äußerst wichtig. Die Rettung sollte unbedingt innerhalb der ersten 60 Minuten nach Unfalleintritt – in der sogenannten Golden Hour of Trauma – eintreffen. Die Statistik zeigt, dass traumatisierte Patienten und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit jeweils 30 % in Summe die klare Mehrheit aller Rettungseinsätze auslösen. Lebensbedrohliche Herz-Kreislauf-Notfälle treten häufig in den frühen Morgenstunden nach dem Aufwachen auf. Rettungsflüge jedoch starten in Deutschland zumeist nur zwischen Sonnenauf- und -untergang, was zudem bedeutet, dass sich die tägliche maximale Flugzeit im Winter noch einmal deutlich reduziert. Ein weiterer Aspekt tritt hinzu: Die heute zumeist zur Rettung eingesetzten kleinen Hubschraubermodelle haben in der Regel kein Enteisungssystem, was ihre Einsatzmöglichkeit weiter einschränkt. Es leuchtet ein, dass Rettungshubschrauber für witterungs-, jahres- und tageszeitunabhängigere Einsätze dringend fit gemacht werden müssen.
Menschliches Versagen minimieren
Hubschrauberpiloten wird sehr viel abverlangt: Neben den mitunter sehr häufigen Einsätzen in kurzer Zeit, stellen Hindernisse wie Hochspannungsleitungen und schwierige Topografien im Gebirge oder auch eng besiedelten Stadträumen große Herausforderungen dar. So kommt es heute immer noch zu Hubschrauberunfällen durch menschliches Versagen oder mangelndes Situationsbewusstsein.
Rettungsflug-Nachfrage steigt
Die Anzahl der Rettungsflüge aber wird künftig weiter zunehmen; immer häufiger wird der Rettungshubschrauber in sogenannter HEMS-Mission (Helicopter Emergency Medical Services) den landläufigen Krankenwagen ersetzen. Wesentlicher Grund ist die schon heute sichtbare und sich künftig weiter steigernde Konzentration medizinischen Spezial-Know-hows auf wenige, besonders hochqualifizierte Kliniken. Neue technische Systeme, die Hubschrauberflüge bei schlechter Sicht und Minusgraden mit hohen Reichweiten und Fluggeschwindigkeiten verbinden, sind für die Weiterentwicklung unseres hohen medizinischen Standards daher unerlässlich.
Notarzt im Alleinflug
Dabei gilt das Forschungs- und Entwicklungsinteresse nicht nur dem klassischen Rettungshubschrauber. Auch neue Varianten, die allein den Notarzt zum Unfallort transportieren, werden untersucht. Denn schon heute wird die Mehrzahl aller Rettungsflüge ohne anschließenden Patientenflug absolviert. Der schnellen notärztlichen Erstversorgung folgt meist die Krankenfahrt im Rettungswagen. Ein eigens für dieses häufige Szenario entwickelter Notarzthubschrauber kann also sehr sinnvoll sein. Denn ein solcher Helikopter wäre vermutlich nicht nur deutlich kleiner und leichter – und damit für den Einsatz im urbanen Umfeld weit besser geeignet – er wäre auch weniger laut und bräuchte weniger Landefläche. Ein weiterer Vorteil wären deutlich geringere Kosten. Ein solcher kleiner und zudem elektrisch angetriebener Hubschrauber würde den klassischen Rettungshubschrauber ideal ergänzen.
Forschung mit klaren Anforderungen
In einer DELPHI-Studie mit 59 fliegenden Notärzten und Notfallsanitätern wurden im Konsens insgesamt 63 medizinische Anforderungen identifiziert. Dieser Input ist eine wesentliche Grundlage für den nutzerorientierten Entwicklungsansatz des DLR.
Hubschrauber retten Leben. Das DLR will sie für die Zukunft besser rüsten.
Ziel: Fliegende Lebensretter: Konfigurationen entwerfen, Konzepte entwickeln
Im DLR sollen Hubschrauberkonfigurationen entworfen werden, die speziell auf die oben angesprochenen Missionen ausgerichtet sind. Die Großanlagen des DLR werden dabei eingesetzt, um ausgewählte Technologien zu erproben: Das reicht von Versuchen im Windkanal über die Nutzung der Systemsimulatoren bis hin zur praktischen Flugerprobung. Gerade beim Notarzthubschrauber sind ganz neue elektrische Antriebskonzepte denkbar, die den erforderlichen Schub über zahlreiche, verteilte Propeller erzeugen.
Neue Assistenzsysteme: mehr Sicherheit, mehr Autonomie
Für den sichereren, flexiblen Rund-um-die-Uhr-Einsatz von Rettungshubschraubern müssen neue Pilotenassistenzsysteme entwickelt werden: Systeme, die den Piloten bei seinen Aufgaben unterstützen, indem sie Flugregelungsfunktionen übernehmen, Sensordaten zusammenführen und sogar Hindernisse erkennen. Sie helfen dem Piloten beim Ausweichen – und können das im Extremfall sogar autonom tun. Im Zusammenhang damit werden nicht nur die die bislang gängigen und künftige Flugprozeduren, sondern auch die Auswirkungen von Schicht- und Nachtdiensten auf die Kondition beziehungsweise eine eventuelle Ermüdung von Piloten gründlich untersucht.
Kein Eis, mehr Reichweite, weniger Gewicht
Die weitgehende Witterungsunabhängigkeit bei Rettungsflügen erfordert leistungsfähige Enteisungssysteme speziell für Hubschrauber der Gewichtsklasse von 3 bis 4 Tonnen. Solche leichteren Rettungshubschrauber sind leistungsfähiger: Sie haben einen größeren Aktionsradius und können mehr sowie bessere medizinische Ausrüstung transportieren. Das geringere Gewicht wird wesentlich durch die stärkere Verwendung leichter Faserverbundstoffe erzielt. Dazu gilt es, die strukturelle Integrität solcher Leichtbaumaterialien etwa bei Crashes oder bei Vogelschlag genau zu erforschen.
Leise, energiesparend, vibrationsarm
Neben lärmoptimierten Anflugbahnen, die die subjektive Lärmbelastung für die Anwohner mildern, tragen vor allem auch neue, aeroakustisch und aerodynamisch verbesserte Rotorblätter zu deutlich weniger Lärm bei gesteigerter Leistung bei. Dabei müssen die Rotoren trotz ihrer ungewöhnlichen Blattgeometrie immer statisch und dynamisch stabil bleiben – und dürfen nur geringe Vibrationen auf die Fluggastzelle übertragen. Solch multidisziplinäre Anforderungen an die Entwürfe, stellen Ingenieure vor neue, spannende Herausforderungen.
Die Zukunft wird zeigen, welche der angesprochenen Missionen mit welcher Geschwindigkeit Bedeutung gewinnen wird. Erst dann wird sich entscheiden, wie die Rettungshubschrauber der Zukunft genau aussehen – und in welche Richtung sie sich weiterentwickeln werden. Das DLR legt dafür heute schon die Grundlagen.