19. Oktober 2020

20 Jahre Institut für Methodik der Fernerkundung

Ein persönlicher Rückblick anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Instituts für Methodik der Fernerkundung (IMF) von Prof. Richard Bamler

In den letzten beiden Jahren wurde die gesamte Forschung in der Helmholtz-Gemeinschaft einer aufwändigen wissenschaftlichen und strategischen Evaluierung unterzogen. Unser Programmthema Erdbeobachtung wurde dabei in allen Begutachtungspunkten mit der Bestnote bewertet. Ich zitiere gerne die Aussage des Gutachtersprechers: “Earth Observation is actually a diamond in the crown [of DLR’s Space Program]”. Ein wichtiges Erfolgskriterium ist dabei unsere Systemfähigkeit, also die wissenschaftliche und technologische Beherrschung der gesamten Kette von Sensor- und Missionsentwicklung und -betrieb bis hin zur geowissenschaftlichen Forschung. Diese Systemkette setzt sich aus der komplementären Expertise mehrerer DLR-Institute zusammen. Wir als Institut für Methodik der Fernerkundung (IMF) sind, wie das DFD, Teil davon, mit einer Rolle, die in unserem Mission Statement beschrieben ist:

Unsere Mission ist die Gewinnung von geophysikalischen Variablen und relevanter Geoinformation aus Fernerkundungsdaten. Wir machen uns zur Aufgabe, Qualität und Verfügbarkeit der abgeleiteten Information immer weiter zu verbessern, um neue Anwendungen zu erschließen. Dazu entwickeln wir labortechnische, physikalische, mathematische und informationstechnische Verfahren und Algorithmen, validieren diese in wissenschaftlichen Anwendungsprojekten und implementieren sie in operationelle Prozessorsysteme zur Integration in Bodensegmente (z. B. des DFD und der Industrie). Mit dem damit gewonnenen Wissen unterstützen wir darüber hinaus die Entwicklung neuer Sensor- und Missionskonzepte.

Wir verstehen uns somit als Mittler zwischen den Fernerkundungssensorsystemen und den Nutzern der aus Fernerkundungsdaten abgeleiteten Geoinformation und tragen damit zur Beförderung der Erdbeobachtung bei.

Unsere aktuellen Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte sind

  • SAR
  • abbildende optische Fernerkundung
  • passive und aktive Atmosphärenspektrometrie
  • Data Science und künstliche Intelligenz

und damit, bis auf das neue Thema Data Science und künstliche Intelligenz, die drei Fernerkundungs-Technologielinien, mit denen das Institut vor 20 Jahren gestartet ist. Aber der Reihe nach …

Kein Y2K Bug: Das IMF wurde zeitgleich mit dem Milleniumfeuerwerk zum 1.1.2000 aus

  • der Abteilung „Algorithmen und Prozessoren“ und weiteren Mitarbeiter*innen des damaligen DFD
  • dem Großteil des Instituts für Optoelektronik und
  • der Abteilung „Marine Ökosysteme“ des Instituts für Weltraumsensorik

gegründet. Als englischen Namen haben wir uns Remote Sensing Technology Institute gegeben. Das Institut bildete zusammen mit dem Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) und einer gemeinsamen Controlling-Einheit das Cluster Angewandte Fernerkundung, das seit 2010 unter dem Namen Earth Observation Center (EOC) firmiert. Die kollegiale Kooperation von IMF und DFD im EOC hat sich über die 20 Jahre als ausgesprochenes Erfolgsmodell bewährt; in praktisch allen großen Projekten, Anträgen und Missionen bündeln wir unsere jeweilige Expertise zu einem meist „unschlagbaren“ Paket.

Das IMF war vom Gründungskonzept her als „Algorithmen-Institut“ geplant, lange bevor Algorithmen in der öffentlichen Diskussion angekommen waren. Es sollte Verfahren entwickeln, um aus Sensordaten unterschiedlicher Fernerkundungstechnologien Information zu extrahieren, also z.B. aus Rohdaten hochwertige Bilddaten zu erzeugen oder geophysikalische und geobiochemische Parameter zu gewinnen. Damit positionierte sich das IMF in der o.g. Systemkette zwischen den Instituten, die optische und Radar-Sensoren entwickelten, und z.B. dem DFD, das mit den gewonnenen Informationen hochwertige Anwendungsprodukte entwickelte und geowissenschaftliche Forschung betrieb. Soweit die Theorie.

Natürlich stellte sich von Anfang an die Frage, wo bei dieser Sandwich-Position die Entwicklungsmöglichkeiten des Instituts lägen. Auch war abzusehen, dass es einen gewissen Druck von beiden Seiten geben würde: die Sensorentwicklung wird sich in Richtung Auswertung der Daten bewegen, die geowissenschaftliche Forschung wird auch starke methodische Elemente entwickeln müssen. Es hätte also durchaus sein können, dass das IMF im Institutsgefüge des DLR nach einigen Jahren marginalisiert worden wäre. Drei Aspekte haben es ermöglicht, dass wir uns trotzdem prächtig entwickelt haben: Wir haben unsere Themenbreite ausgebaut (also quer zum Sandwich), uns mit Alleinstellungsmerkmalen positioniert und schließlich hat der Boom in der Erdbeobachtung (v.a. durch das europäische Copernicus-Programm) viel Raum für methodische Forschung eröffnet und eine Schwerpunktverlagerung zur modernen Auswertealgorithmik hin eingeleitet – also genau dem Thema des IMF. Einige unserer wissenschaftlichen Kennzahlen belegen den Erfolg und die Entwicklung des Instituts in zwei Jahrzehnten, wie ich meine, sehr eindrücklich:

  • bei Gründung des Instituts waren zwei Mitarbeiter Professoren, also promotionsberechtigt, heute sind es 13 (berufene, Gast- und Honorar-Professor*innen, Privatdozenten) am IMF und unseren beiden assoziierten Lehrstühlen
  • die Zahl der Promovierenden stieg von etwa 15 auf aktuell 60
  • während zu Beginn kaum 30 Veröffentlichungen im Jahr entstanden, liegt das IMF nun mit jährlich über 200 referierten Publikationen im Spitzentrio der DLR-Institute
  • Wissenschaftler*innen des IMF gewinnen viele attraktive wissenschaftliche Preise
  • IMF und die beiden TUM-Lehrstühle lehren heute in über 20 verschiedenen Vorlesungsmodulen an mehreren deutschen und internationalen Hochschulen, sind in vielen Beratungs-, Steuer- und Gutachtergremien vertreten und engagieren sich als Editoren bei Fachzeitschriften

Bei Gründung hat sich das IMF folgende Themenschwerpunkte gegeben: Atmosphärenfernerkundung, SAR-Prozessoren, digitale Höhenmodelle aus SAR und Photogrammetrie, Datenfusion, Data Mining und Ozeanographie. Diese wurden durch die damaligen Abteilungsleiter Dr. Tom Rother, Prof. Manfred Schroeder, Dr. Peter Haschberger und Dr. Andreas Neumann (2012 verstorben) vertreten. Auch heute, 20 Jahre und drei Institutsüberprüfungen später, spiegeln sich die Themen noch in unseren fünf Abteilungen

  • Atmosphärenprozessoren (Prof. Thomas Trautmann)
  • SAR Signalverarbeitung (Prof. Michael Eineder)
  • Photogrammetrie und Bildanalyse (Prof. Peter Reinartz)
  • EO Data Science
  • Experimentelle Verfahren (Dr. Peter Haschberger)

im Wesentlichen wider. Vieles ist seitdem inhaltlich dazugekommen, wie unser Engagement im DLR-Schwerpunkt Verkehr, die große Copernicus-Atmosphären-Linie, die SAR-Interferometrie für Bodensenkungsmessungen, das von uns etablierte Forschungsthema SAR Imaging Geodesy, die maritime Sicherheit mit der neuen Außenstelle in Bremen, die Hyperspektralfernerkundung mit eigenen Instrumenten und das Boom-Thema Data Science, KI und maschinelles Lernen in der Erdbeobachtung („AI4EO“), das mit Datenfusion und Data Mining schon in Grundzügen angelegt war.

Aus dem ehemaligen Institut für Optoelektronik hat das IMF zwei Labore „geerbt“, eines für Spektroskopie von Gasen, ein zweites für die Charakterisierung abbildender Spektrometer (heute u.a. in der Funktion als ESA Calibration Homebase (CHB) für das Hyperspektralinstrument APEX). Zuerst scheinbar Fremdkörper, haben sich beide Labore als wichtige Elemente des Institutsportfolios erwiesen, gerade was die sensornahe Datenanalyse betrifft. So erzeugt das Institut spektroskopische Referenzdaten aus den im Labor vermessenen Spurengasspektren, charakterisiert und kalibriert u.a. unsere eigenen Flugzeug- und Feldgeräte und setzt in beiden Themen Qualitätsstandards.

Die großen Entwicklungsschübe im IMF wurden häufig durch deutsche und europäische Missionen ausgelöst, bei denen das Institut Verarbeitungsalgorithmen und -software – also Prozessoren – für das Bodensegment beisteuern konnte. So haben wir die operationellen Prozessoren für sämtliche zivilen deutschen SAR-Missionen entwickelt, einschließlich SRTM, TerraSAR-X und TanDEM-X, ebenso für den spanischen PAZ, die Hyperspektralmissionen DESIS und EnMAP und die deutsch-französische Methan-Mission MERLIN. Bei den Prozessorentwicklungen für die europäischen Atmosphärenmissionen GOME, SCIAMACHY, GOME-2A -B -C, Aeolus, TROPOMI/Sentinel-5p, Sentinel-4 und Sentinel-5 sind wir zum unverzichtbaren Player geworden und zeichnen mittlerweile für den Großteil des Spurengasprodukt-Portfolios verantwortlich. Darüber hinaus waren und sind wir in vielen weiteren Missionen involviert, sei es in der Konzeptphase oder durch Entwicklung von Prozessoren und Komponenten. Strahlungstransport-Codes, Inversionsalgorithmen, Atmosphärenkorrektur, hochgenaue Geolokalisierung, SAR-Interferometrie oder Stereoverarbeitung, die auch erfolgreich an die Industrie lizenziert wurden, sind nur einige Beispiele.

Diese Abhängigkeit von neuen Missionen stellte aber auch immer ein Risiko dar, das wir selbst kaum beeinflussen konnten. So gab es seit über zehn Jahren keinen Launch eines deutschen Erdbeobachtungssatelliten mehr. Die geplanten Missionen EnMAP und MERLIN sind um viele Jahre verzögert. Wir sind deshalb zunehmend zweigleisig gefahren: Einerseits bauen wir nachhaltig und mit langem Atem Wissen in Form von Softwaresystemen auf, die kontinuierlich verbessert und als operationelle Prozessoren in Bodensegmenten bei DFD, EUMETSAT, ESA oder Industrie eingesetzt werden. Parallel dazu betreiben wir Forschung zu neuen Auswertealgorithmen und eher explorativen Themen, die häufig erst nach mehreren Jahren operationell einsatzfähig sind. Beide Linien befruchten und ergänzen einander; sie können – in Grenzen und in überschaubaren Zeitskalen – wie in kommunizierenden Röhren je nach Bedarf und „Auftragslage“ hochgefahren oder reduziert werden.

„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben“. Dieses Zitat von Albert Einstein ist mir in den Sinn gekommen, noch bevor ich die ersten Zeilen dieses Geburtstagsbeitrags geschrieben hatte. Daher jetzt noch ein paar Worte zu dem, was aktuell Spaß macht und unsere Zukunft bestimmen wird:

Seit einigen Jahren erfährt die Erdbeobachtung mit Satellitenfernerkundung eine nie dagewesene Dynamik und Bedeutung. Das europäische Copernicus-Programm hat mit seiner mächtigen Sentinel-Satellitenflotte Beobachtungskapazitäten geschaffen, die alles Bisherige weit übertreffen – und das mit einer Langzeitperspektive bis über 2040 hinaus. Mit diesem Programm wurde Europa der größte Erzeuger von Erdbeobachtungsdaten und -information.  Die free-and-open-Datenpolitik und die Copernicus-Dienste haben zu einer breiten Akzeptanz von Fernerkundungsinformation über die Wissenschaft hinaus in Behörden, Politik und Wirtschaft geführt. NewSpace-Firmen positionieren sich mit kreativen neuen Satellitenkonzepten auf dem Markt, Internetgiganten wie Google und Amazon steigen in das Thema mit ihren Cloud-Kapazitäten und Start-Ups mit KI-Algorithmen ein – die Erdbeobachtung wird bunter, diverser und schneller.

Dies ist eine spannende Zeit des Umbruchs, und wir gestalten sie in unseren Themen mit. Nur ein paar Beispiele: Bodensegmente werden zunehmend Cloud-basiert und weltweit verteilt; mit dem DESIS-Prozessor (in der Amazon-Cloud) haben wir diesen Schritt schon vollzogen, auch unsere Atmosphärenprozessoren für Sentinel-5p sind Cloud-fähig, die SAR-Prozessoren werden folgen. Auswertealgorithmen nutzen KI und maschinelles Lernen, verarbeiten riesige Datenmengen und benötigen große Rechenkapazitäten; mit dem massiven Ausbau unserer Data Science- und KI-Forschung am IMF und der TUM waren wir Pioniere in dem Thema und halten heute eine Spitzenposition. Open Data und Open Software ist zur selbstverständlichen Erwartung der Nutzergemeinde, aber auch zum Beschleuniger in der wissenschaftlichen Forschung, geworden; wir stellen wertvolle riesige Referenzdatensätze und Algorithmen frei zur Verfügung.

All dies klingt nach ausschließlich technologischen Zielen. Wir vergessen dabei aber nie, dass wir mit unseren Anstrengungen, immer bessere und damit immer relevantere Information und Wissen aus Fernerkundungsdaten abzuleiten, einen Beitrag zur Lösung drängender Probleme leisten wollen, und zwar überall dort, wo Geoinformation benötigt wird. Das können die oft zitierten Grand Challenges sein, wie sie sich u.a. aus dem globalen Wandel ableiten oder in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen benannt sind, aber auch ganz praktische und planerische Fragestellungen, wie Mobilität, Sicherheit auf den Meeren, Luftqualität oder geologische Naturgefahren.

Ich bin – wie auch die Strukturkommission, die 2018 über die Zukunft des Instituts Empfehlungen erarbeitet hat – überzeugt, dass wir sehr gut für die nächsten 20 Jahre erfolgreicher und aufregender Arbeit gerüstet sind. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Forschung, Entwicklung, Technik, Projektleitung, Administration und Assistenz bilden ein engagiertes Team mit fantastischer Expertise und Professionalität, auf das ich jeden Tag stolz sein darf. Vielen Dank!

Die Mitarbeiter*innen des IMF in Oberpfaffenhofen, aufgenommen anlässlich der Strukturkommission 2018. Weitere Gruppen des Instituts arbeiten in Berlin-Adlershof, Bremen, Neustrelitz und an der TUM.