Das Ende einer Epoche - ERS-2 geht nach 16 Jahren in den Ruhestand
Ein bewegender Moment. Am 04.07.2011 um 09:17 Uhr mitteleuropäischer Zeit (MESZ) war es soweit:
Die DLR-Bodenstation in der Antarktis empfängt zum letzten Mal die Daten des europäischen Erdbeobachtungssatelliten ERS-2. Kurz zuvor, um 06:28 Uhr, sendete der European Remote Sensing Satellite die letzten Daten nach Chetumal in Mexiko, wo das DLR ebenfalls eine Bodenstation betreibt.
Seit dem Nachmittag des 04.07.2011 fehlen die vertrauten Lebenszeichen des Satelliten. Nach 16 Jahren und 84720 Erdumkreisungen wurden die Erdbeobachtungsinstrumente an Bord von ERS-2 abgeschaltet. Der Satellit hat seine geplante Lebensdauer bei Weitem überschritten. Nach mehrfacher Verlängerung der Missionsdauer schicken die Kollegen der Europäischen Raumfahrtagentur ESA den Satelliten nun endgültig in den Ruhestand. Dazu begannen am 06.07.2011 Orbitmanöver, um die Umlaufbahn von ERS-2 von derzeit 800 km Höhe auf ungefähr 570 km abzusenken. So wird erreicht, dass ERS-2 innerhalb von 25 Jahren in der Atmosphäre verglüht. Damit entspricht die ESA europäischen Vereinbarungen zur Verringerung von Weltraumschrott.
Die 20-jährige Geschichte der DLR-Bodenstation am Nordzipfel der Antarktischen Halbinsel ist ganz besonders mit den Erdbeobachtungssatelliten ERS-1 & ERS-2 verknüpft. Eigens für den Empfang ihrer Daten hat das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) des DLR die Empfangsstation in der Antarktis 1991 in Betrieb genommen. Dies erfolgte gemeinsam mit dem Institut für Angewandte Geodäsie - dem heutigen Bundesamt für Kartographie und Geodäsie - und mit Hilfe der chilenischen Partner. Die German Antarctic Receiving Station (GARS) O'Higgins zeichnete im September 1991 die ersten Antarktisaufnahmen des kurz zuvor gestarteten ERS-1 auf.
Ein Großteil unseres heutigen Wissens über die Veränderungen des antarktischen Eisschilds verdanken wir ERS-1 & ERS-2. Gerade die Daten des wetter- und beleuchtungsunabhängigen Synthetic Aperture Radars (SAR) boten hier vollkommen neue Einblicke. Doch die Satelliten verfügten nicht über ausreichend Speicher, um die Radardaten an Bord zu speichern. Die Aufnahmen mussten also dort empfangen werden, wo sie auch entstanden – in der unwirtlichen Eiswüste der Antarktis. Zuletzt konnten auch die Daten der anderen ERS-Instrumente nur noch über die DFD-Empfangsstation GARS O'Higgins gewonnen werden, nachdem 2003 ein Bandrekorder von ERS-2 ausgefallen war.
So basieren unsere Kenntnisse über den Zerfall der Schelfeisgebiete im Bereich der Antarktischen Halbinsel, die Abnahme der Eishöhe in der Westantarktis, die Lage der Grenzlinie zwischen Inlandeis und schwimmenden Schelfeis und das antarktische Ozonloch – auch auf dem Betrieb der Empfangsstation in O'Higgins. Bis zur Abschaltung der Erdbeobachtungssensoren am 04.07.2011 haben unsere DFD-Kollegen in der Antarktis fast zehn ERS-2-Pässe täglich aufgenommen.
Ende Februar 2011 änderte die ESA die Umlaufbahn des Satelliten schließlich derart, dass nicht nur alle 35 Tage, sondern alle drei Tage SAR-Aufnahmen der Antarktis unter exakt gleichem Blickwinkel ermöglicht wurden. Eine einzigartige Gelegenheit, um differentielle SAR Interferometrie zu betreiben. Dabei werden Laufzeitunterschiede zwischen den Radarsignalen dreier Aufnahmen verglichen. Dadurch können Geländemodelle erstellt und Eisbewegungen abgeleitet werden. Ohne die ganzjährige Verfügbarkeit der Station GARS O'Higgins wäre dieser wahre "Goldschatz" an Daten in der letzten Missionsphase von ERS-2 nicht denkbar gewesen.
Die historisch letzten ERS-2 Daten aus GARS O'Higgins wurden am 06.07.2011 aus der Antarktis ausgeflogen. Per Skidoo hat das Team der benachbarten chilenischen Militärbasis "General Bernardo O'Higgins" die Datenbänder zu der etwa drei Kilometer entfernten Gletscherpiste gebracht. Per Twin Otter DHC-6 der chilenischen Luftwaffe gelangten die Daten nach King George Island. Von dort hat sie eine Hercules C-130 der brasilianischen Luftwaffe, nach Punta Arenas transportiert. Als kommerzielle Luftfracht gelangen sie schließlich nach Oberpfaffenhofen zur Prozessierung und Archivierung am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum.
Hochinteressante Daten, sozusagen ein letzter "Gruß" von ERS-2 …
Seine Daten werden sowohl der Wissenschaft als auch den Anwendern fehlen. Bis zuletzt wurden am DLR-Standort Neustrelitz ERS-Daten aufgezeichnet und in Nahe-Echtzeit verarbeitet. Schwerpunkt waren hier Anwendungen für die maritime Sicherheit.
Doch auch ohne die Geburtshelfer ERS-1 und ERS-2 wird keine Ruhe in der Station in der Antarktis einkehren.
Auch die deutsche Radarmission TanDEM-X erfordert mit ihren enormen Datenmengen Empfangskapazität in der Antarktis, acht bis neun Satellitenpassagen, Tag für Tag im ganzjährigen Betrieb von GARS O'Higgins.