Erste konsistente Waldstrukturerhebung für Deutschland von 2017 bis 2022
8. Februar 2024
Erste konsistente Waldstrukturerhebung für Deutschland von 2017 bis 2022
Der deutsche Wald ist in schlechter Verfassung. Ein neues Verfahren des EOC zeigt nun erstmals räumlich und zeitlich hochaufgelöst, wie sich seine horizontale und vertikale Struktur in den letzten Jahren verändert hat.
Trockenheit und Hitzewellen haben dem deutschen Wald seit 2018 stark zugesetzt. Schädlinge wie der Borkenkäfer und Stürme taten ihr Übriges. In der Folge mussten Försterinnen und Förster zahlreiche erkrankte und geschädigte Bäume frühzeitig fällen, um einer Ausbreitung von Schädlingen vorzubeugen. Durch den Baumverlust wird das Kronendach des Waldes lichter und niedriger. Der Wald wird anfälliger und verliert an oberirdischer Biomasse. Vor allem Nadelholzbestände aus Fichte und Kiefer sind davon betroffen, die etwa die Hälfte der deutschen Waldfläche ausmachen. Besonders diese Wälder zeigen eine einfache Kronenstruktur. Während sich in zwei- oder mehrschichtigen Wäldern mehrere abgegrenzte Kronenräume finden, verfügen einschichtige Wälder nur über ein Kronendach. Wälder mit komplexer Kronenstruktur sind jedoch robuster gegenüber Störungen, wie z.B. Stürmen oder Klimaänderungen.
Jetzt haben Forschende des EOC erstmals mit Verfahren des maschinellen Lernens die Waldstruktur und ihre Veränderung für die gesamte Waldfläche Deutschlands im Zeitraum 2017 bis 2022 kartiert. Mit einer räumlichen Auflösung von 10 Metern lassen sich hier die jüngsten, durch Trockenheit verursachten Störungen erkennen und solche Gebiete identifizieren, die vorrangig erhalten werden sollten. Durch die konsistenten Datenprodukte können Veränderungen in der Höhe und Dichte des Kronendachs sowie der oberirdischen Biomasse (AGBD) quantifiziert werden.
Das mehrjährige Monitoring zeigt seit 2018 für große Teile der deutschen Wälder erhebliche Verluste in allen abgeleiteten Waldstruktureigenschaften. 2017 wiesen Waldlandschaften im Harz, Siegen-Wittgenstein und im südlichen Thüringer Wald noch große Kronenhöhen (> 20 m), dichte Kronenbedeckungen (> 80 %) und eine hohe oberirdische Biomasse (> 250 Mg/ha) auf. Werte, die sich in den Folgejahren, besonders 2020, drastisch veränderten. Die genannten Regionen weisen nicht nur massive Rückgänge in der Kronenhöhe (< 10 m), sondern auch in der Dichte des Kronendachs (< 20 %) und in der oberirdischen Biomasse (< 100 Mg/ha) auf. Diese quantitativen Erkenntnisse stehen im Einklang mit früheren EOC-Kartierungen der Flächenverluste deutscher Wälder im gleichen Zeitraum.
Möglich wurde der Einblick in die Waldstruktur, indem die Daten mehrerer Sensoren kombiniert wurden. So liefert die NASA-Mission GEDI (Global Ecosystem Dynamics Investigation) mit drei auf der Internationalen Raumstation ISS installierten Lasern eine detaillierte dreidimensionale (3D) Karte der Höhe der Baumkronen und der Verteilung von Ästen und Blättern. Allerdings nur punktuell. Den europäischen Copernicus-Satelliten Sentinel-1 und Sentinel-2 fehlt dagegen der hochauflösende Einblick in die vertikale Waldstruktur. Ihre Optiken und Radarsensoren liefern stattdessen jedoch ein lückenloses, geschlossenes Bild des Waldes. Die Entwicklung des EOC nutzt diese flächendeckenden Daten nun, um die hochgenauen Lasermessungen auch für die nichtkartierten Bereiche zu modellieren.
Historische und aktuelle Waldstruktur, globaler Klimawandel, Störungen
Die heutige Waldstruktur ist durch die historische Waldbewirtschaftung geprägt. Meist wurden schnellwachsende Baumarten in Monokulturen angepflanzt, seit Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem gleichaltrige, großflächige Fichten- und Kiefernpflanzungen. Unter natürlichen Bedingungen würden die Wälder in Deutschland von der Rotbuche dominiert. Nach dem jährlichen Waldzustandsbericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft beträgt der Anteil der Rotbuche allerdings nur 16 Prozent. Stattdessen nehmen Nadelholzbestände über die Hälfte der deutschen Waldfläche ein. In diesen wachsen vor allem Kiefern (23 %) und Fichten (25 %). Gerade letztere können zwar großer Kälte trotzen, sind jedoch besonders anfällig gegenüber Trockenheit. Natürliche Vorkommen sind auf kalte Höhenlagen beschränkt, weshalb durch die Trockenperioden seit 2018 außergewöhnliche viele Fichten an den standortfremden, niedrigen Lagen abgestorben sind. Doch nicht nur die Nadelbäume sind betroffen. Seit 1984 deutet bei allen Hauptbaumarten eine zunehmende durchschnittlichen Kronenverlichtung auf einen verschlechterten Gesundheitszustand hin. Auch der Borkenkäferbefall ist vielerorts durch die aktuellen Klimabedingungen begünstigt worden und führte zu dem großflächigen Absterben von Fichtenbeständen. Vorbeugende Sanitärhiebe waren und sind die Folge, bei der befallene Bäume und Totholz großflächig entfernt werden. Die dabei entstandenen Kahlschlagflächen sind heute charakteristisch für die Wälder im Harz, in Siegen-Wittgenstein und Südthüringen.
Überwachung der Waldstruktur durch Satellitendaten
Das neue Produkt bietet wichtige Indikatoren zur Bewertung von Waldflächen. So gibt die Höhe des Kronendachs Einblick in die vertikale Struktur von Wäldern. Intakte Waldflächen lassen sich damit von gestörten Flächen unterscheiden. Darüber hinaus ist die vertikale Struktur ein Indikator für das Alter und die Widerstandsfähigkeit eines Waldes gegenüber Störungen. Auch die Dichte des Kronendachs, d. h. die horizontale Waldstruktur ist für die Waldbewirtschaftung relevant. Sie gibt Aufschluss über die am Boden einfallende Sonneneinstrahlung und die einhergehende Trockenheit. Das dritte modellierte Attribut, die oberirdische Biomasse, kombiniert wiederum die Informationen über die vertikalen und horizontalen Eigenschaften eines Waldes und erlaubt so abzuschätzen, wieviel Kohlenstoff im Wald gespeichert ist.
Mit den Produkten des EOC stehen nun für Deutschland kontinuierlich Informationen sowohl über den Verlust des Kronendachs als auch über die Waldstruktur zur Verfügung. Diese erlauben erstmals nach Stürmen oder Schädlingsbefall Strukturveränderungen wie z.B. stehendes Totholz und Kahlflächen großflächig mit einem hohen Detailgrad (10 m) zu untersuchen. Künftig sollen solche Störstrukturen sicher identifiziert und z.B. auch Flächen mit stehendem Totholz erkannt werden. Hierzu soll die Zeitserie operationell auch in Zukunft weitergeführt werden.
Mit der konsistenten und zeitnahen Bereitstellung von satellitengestützten Waldzustandsprodukten über den EOC Geoservice erhalten Ministerien und Forstämter eine wertvolle Datengrundlage, um neue Waldbewirtschaftungsstrategien zu entwickeln. Ziel ist, Kahlschläge zu vermeiden, komplexe Waldstrukturen zu erhalten und die Wälder durch erhöhte Baumartenvielfalt an Laubhölzern widerstandsfähiger zu machen.