Surf-Zone am Rand zum Weltraum: wo Luftwellen brechen
Wellen prägen nicht nur die Dynamik des Wassers im Ozean, sondern auch die der Luft in der Atmosphäre. Besonders im Höhenbereich der oberen Mesosphäre / unteren Thermosphäre (etwa 80 bis 100 Kilometer Höhe) findet man so genannte Schwerewellen.
Die Abbildung oben zeigt eine Filmsequenz unserer Messungen. Deutlich erkennt man die hohe Wellendynamik. Diese Schwerewellen sind für unser Verständnis der Vorgänge in der Atmosphäre von gewisser Bedeutung: sie werden häufig in der unteren Atmosphäre, also in den oberflächennahen Bereichen angeregt, etwa durch Konvektion oder durch das Überströmen von Gebirgen. Einmal entstanden, können sich diese Wellen bis in große Höhe ausbreiten. Der entscheidende Punkt: durch die Bildung dieser Wellen wird der unteren Atmosphäre Energie entzogen und anschließend in andere Bereiche der Atmosphäre transportiert. Erst wenn diese Wellen brechen, geben sie diese Energie an die Umgebung ab. Schwerewellen tragen auf diese Weise sehr effektiv zur Umverteilung von Energie in der Atmosphäre bei. Die Konsequenzen sind vielfältig: so wird z.B. die Atmosphäre in den Bereichen, in denen Wellen brechen, aufgewärmt. Eine andere Wirkung besteht darin, dass selbst globale Windsysteme durch brechende Wellen abgebremst oder auch beschleunigt werden können. Wir wissen heute: beides bleibt nicht immer ohne Folgen. Grund genug also, diese Vorgänge näher zu studieren, um die ablaufenden Prozesse besser zu verstehen.
Zum besseren Verständnis der atmosphärischen Dynamik wurden über 20 Millionen Kamera-Aufnahmen ausgewertet. Die Daten stammen von der Nahinfrarotkamera FAIM, die 2014 vom DLR in Oberpfaffenhofen jede Nacht die Schwerewellen in 90km Höhe erfasste und 2015 bis 2017 am Partnerobservatorium am Hohen Sonnblick in Österreich in Betrieb war.
Dieses Observatorium ist, wie das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum des DLR, ebenfalls Teil des Virtuellen Alpenobservatoriums (VAO). Das Netzwerk umfasst mittlerweile Forschungsgruppen und Observatorien aus acht Ländern, die gemeinsam im Alpenraum komplexe wissenschaftliche Fragestellungen beantworten wollen. Aus der dreijährigen Messdatenreihe wurden nun die horizontale Bewegungsrichtung und die jeweilige Wellenlänge der Schwerewellen abgeleitet. Mit der Ausbreitungsrichtung kann unter anderem die Richtung des Impulsflusses bestimmt und dadurch der Einfluss auf die globalen Zirkulationsmuster abgeschätzt werden.
In den Daten zeigt sich (Abb. 3), dass die Schwerewellen im Sommer an beiden Stationen eine klare horizontale Ausbreitungsrichtung nach Nordosten aufweisen. Diese nördliche Vorzugsrichtung wurde auch an anderen Standorten der Nordhalbkugel beobachtet. Im Winter ist die vorherrschende Ausbreitungsrichtung für beide Stationen allerdings unterschiedlich. Für die Daten von Oberpfaffenhofen aus kehrt sich die Richtung nach Südwesten um. Die vom Sonnblick Observatorium aus aufgezeichneten Schwerewellen bewegen sich allgemein in Richtung Westen, eine südliche Vorzugsrichtung wie von Oberpfaffenhofen aus, ist hier kaum zu erkennen.
Abbildung 3: Die Ausbreitungsrichtung der Schwerewellen für Oberpfaffenhofen (a) und Sonnblick (b), jeweils für Sommer und Winter. Die Farbe gibt den Bereich der horizontalen Wellenlängen an. Quelle: Hannawald et al. (2019), CC-BY-4.0.
Dieser Befund zeigt eindrucksvoll die Kopplung der unterschiedlichen Atmosphärenschichten bis hinauf in 90 km Höhe: Die Wissenschaftler des EOC führen das gefundene sommerliche Ausbreitungsmuster in östlicher Richtung und winterliche Muster in westlicher Richtung nämlich auf Windfelder in der Stratosphäre zurück, welche Wellen aus der Troposphäre in einer Weise absorbieren, dass dieses Muster zustande kommt.
Wellen, welche oftmals in der Troposphäre generiert werden, bewegen sich nach oben und horizontal gesehen, in gemischte Himmelsrichtungen. Diejenigen Wellen, welche sich in die gleiche Richtung wie die stratosphärischen Winde bewegen, werden von diesen am ehesten absorbiert, so dass selbige die höher liegenden Atmosphärenschichten nicht mehr erreichen und dort nicht mehr zu beobachten sind. Das sichtbare Ausbreitungsmuster entspricht also genau dem Gegenteil der jahreszeitlich abhängigen Windrichtungen. Die Absorption der Schwerewellen wiederum beeinflusst auch die Windfelder selbst, wodurch eine wechselseitige Beeinflussung entsteht. Während diese Windfelder gut die West-Ost-Komponente der beobachteten Ausbreitungsrichtung zeigt, ist der Grund für die nördliche Vorzugsrichtung im Sommer nicht abschließend geklärt und Gegenstand aktueller Forschung.
Mittlerweile betreibt das deutsche Fernerkundungsdatenzentrum des DLR in Oberpfaffenhofen (EOC) im Alpenraum zeitgleich vier solcher Kamerasysteme, verteilt im Alpenraum, um dieser und weiteren Fragen in Zusammenhang mit der atmosphärischen Dynamik nachzugehen. So wird ein Beitrag zur Untersuchung der globalen Zirkulationsmuster und deren Veränderung geliefert und der lokale Einfluss der Alpen in diesem Szenario spezifiziert.
Die Arbeit wurde finanziert vom bayerischen Staatsministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz mit den Projekten LUDWIG und VoCaS-ALP.