Die Geschichte des DLR-Standorts Oberpfaffenhofen – von 1937 bis 2004
Vorgeschichte und Wiederaufbau bis 1968
Zeitgleich mit der Errichtung der Dornier Flugzeugwerft siedelt sich 1937 in Oberpfaffenhofen die juristisch selbstständige Forschungseinrichtung „Flugfunk Forschungsinstitut Oberpfaffenhofen (FFO)“ an. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges (1939-1945) ändert sich die Aufgabenstellung des FFO. Die Forschungsarbeiten werden gestoppt, an ihre Stelle treten Entwicklungen kriegswichtiger Verfahren und Geräte, die bereits in kleinen Vorserien erstellt werden müssen. Mit dem Kriegsende endet auch die erste Phase der Forschung in Oberpfaffenhofen.
Die einrückenden Besatzungsmächte übernehmen das unversehrt gebliebene FFO. Bibliothek, Geräte, Maschinen, etc. werden in die USA überführt bzw. zu Besatzungsdienststellen. Die Gebäude werden als Kaserne für militärischen Flugbetrieb verwendet. Mithilfe der Verkehrs- und Wirtschaftsminister der Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen sowie der mit der Wiederaufnahme einer hauptsächlich auf Flugsicherungsaufgaben ausgerichteten Flugfunkforschung im Münchner Raum beauftragten DVL wird 1954 am Flughafen München-Riem der frühere Verein FFO e. V. wieder ins Leben gerufen. Am 28. Oktober 1956 können die Einrichtungen der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V (DVL) nach Oberpfaffenhofen verlagert werden.
Ab 1957 nutzt die Erprobungsstelle und Musterprüfstelle für Luftfahrtgeräte der Bundeswehr die Hälfte der instand gesetzten Räumlichkeiten in Oberpfaffenhofen. 1958 werden die DVL-Institute für Mikrowellen und für Steuer- und Regeltechnik nach Oberpfaffenhofen verlagert. Weitere Verlagerungen von DVL-Instituten stehen zwar an (z.B. das Institut für Flugmechanik aus Essen-Mühlheim, Einrichtungen der Flugmeteorologie und der Segelflug vom Flughafen München-Riem), es fehlen jedoch die Räumlichkeiten. Den damaligen finanziellen Verhältnissen angepasst, beginnt die Neu- und Umbauaktivität. Mitte der 60er-Jahre entstehen große neue Bürogebäude (heute Institut für Physik der Atmosphäre bzw. Institut für Nachrichtentechnik) sowie die erste Ausbaustufe des Raumfahrtkontrollzentrums.
Mit der Zusammenführung unterschiedlicher DVL-Institute an einem Standort ergibt sich eine Forschungskapazität für neue Aufgaben - vor allem für die Beteiligung der Bundesrepublik an nationalen und internationalen Raumfahrtprojekten. Es entstehen das Galileo Kontrollzentrum (German Space Operation Center), die Einrichtung der Bodenstation in Weilheim sowie die MORABA (Mobile Raketenbasis) (MoRaBa). 1969 liegt die Personalstärke des DVL am Standort bei 800 Personen sowie zusätzlichen 100 externen Mitarbeitern (Kontraktoren). Zum Vergleich: Beim „Wiedereinzug“ Ende 1955 lag sie bei 30 Mitarbeitern.
Die Jahre der Konsolidierung in der DFVLR (1968 bis 1977)
Die Phase des fulminanten Aufbaus von Forschungs- und Betriebseinrichtungen neigt sich 1968 dem Ende zu. Nach dem Zusammenschluss von DFL, DVL, AVA und GfW zu einer „Einheitsgesellschaft“ sind viele Forschungsrichtungen doppelt und dreifach besetzt. Eine „Konsolidierung in Konkurrenz“ wird notwendig. Zunächst stehen jedoch die ersten großen Satellitenprojekte AZUR, Symphonie und die Sonnensonde Helios im Vordergrund, die die Bündelung aller Aktivitäten verlangen. Schon vor dem Abschluss der ersten großen Raumfahrtprojekte ist aber klar, dass dem Standort Veränderungen und Umorientierungen bevorstehen: Das frühere DVL-Institut für Flugmechanik wird aufgelöst und zusammen mit dem Institut für Steuer- und Regeltechnik wird ein neues Institut für Dynamik der Flugsysteme geschaffen. Teile der Institute für Satellitenelektronik und Flugfunk und Mikrowellen bilden ein neues Institut für Nachrichtentechnik.
Erste Umorientierung: Ausrichtung auf Raumfahrtnutzung (1977 bis 1985)
Die deutsche Entscheidung, in der Raumfahrt sich zukünftig sehr stark in die amerikanisch-europäische Zusammenarbeit bei Shuttle und Spacelab einzubringen, lässt die Erwartungen der Betriebseinrichtungen in OP auf weitere große nationale Aufgaben schwinden. Die im militärischen Bereich beschlossenen großen Beschaffungsprogramme wie Tornado oder AWACS verringern die finanzielle Unterstützung für Forschung und Aufklärung deutlich. Eine Umorientierung des Standortes steht an.
Die mehr auf Nutzerwünsche, insbesondere im Erdbeobachtungsbereich ausgerichtete Datenverarbeitung wird organisatorisch vom Raumflugbetrieb getrennt und eine neue Hauptabteilung hierfür geschaffen. Die Forschungsinstitute richten sich auf die Tatsache ein, dass in "ihren" Anwendungsgebieten Großprojekte entstehen, in denen sie bei Vorbereitung und Durchführung eine wichtige Rolle spielen können. Die Forschungsinstitute werden neu organisiert: Aus Teilen des Instituts für Nachrichtentechnik und des Instituts für Dynamik der Flugsysteme, sowie aus der Arbeitsgruppe Extraterrestrische Sensorsysteme wird eine neues Institut für Optoelektronik. Die „operationelle Datenverarbeitung“ führt man im neu geschaffenen Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums (DFD) (DFD) zusammen. Die Betriebsaufgaben für Höhenforschungsraketen und Raumfahrtmissionen werden in einer Hauptabteilung (Raumflugmissionen) vereinigt.
Die mit dem europäischen Meteosat-Programm verbundenen neuen Möglichkeiten, Raumfahrtdaten in der Meteorologie einzusetzen, bringen nicht nur neue Forschungsthemen in das Institut für Physik der Atmosphäre, sie verlangen auch nach intensiver Zusammenarbeit mit den an Erdbeobachtung arbeitenden Paralleleinrichtungen. Zwei Großgeräte werden dazu für den Standort angeschafft: das meteorologische DLR-Forschungsflugzeug Falcon und das stationäre Wolkenradar auf dem Dach des Instituts.
Aufbauend auf den Ergebnissen des Flugzeugmessprogramms und auf den Erfahrungen aus der Arbeit an modernsten elektronischen und optischen Aufklärungssystemen bringt der Standort zwei Experimente mit in den ersten Spacelab-Flug ein. Zudem ist ein raumflugtaugliches Lasersensor-System in Vorbereitung. Alle drei Projekte und ihre Nachfolgearbeiten legen die Arbeitsrichtung vieler Mitarbeiter auf Jahrzehnte fest. Aus der Metrischen Kamera auf Spacelab entsteht zusammen mit dem bei der deutschen Industrie vorbereiteten Multispektral-Scanner MOMS ein Kameraentwicklungsprogramm, aus dem später alle stereotauglichen Kamerasysteme entstehen werden. Das auf dem Spacelab leider nicht erfolgreiche Mikrowellenexperiment MRSE ist Anlass, in Oberpfaffenhofen verbesserte, raumflugtaugliche Radarsysteme bis hin zum X-SAR-System zusammen mit der deutschen Industrie zu entwerfen und zu bauen.
Zweite Umorientierung: Betonung der bemannten Raumfahrt in Oberpfaffenhofen (1985 bis 1995)
Der 5. November 1985 leitet die Phase der Umorientierung in Oberpfaffenhofen ein. An diesem Tag ist Ministerpräsident Franz Josef Strauß während der deutschen Spacelab Mission D-1 zu Gast und verkündet ein großes Investitionsprogramm zur Förderung der Rolle Oberpfaffenhofens in der europäischen Raumfahrt.
In dem seit 1989 „DLR“ heißenden Standort entsteht ein neues Kontrollzentrum für die Aufgaben der bemannten Raumfahrt. Zudem wird ein Labor für die Simulation der Kopplung insbesondere bemannter Raumfahrzeuge und für die Unterbringung missionswichtiger Simulationsanlagen eingerichtet. Das DFD wird endgültig zum nationalen Datenzentrum. Eine ganz auf Institut für Robotik und Mechatronik ausgerichtete Arbeitsgruppe wird mit den notwendigen Rechnern und Geräten ausgestattet.
Auch die Rolle der Forschungsinstitute am Standort gewinnt in der Zwischenzeit immer mehr an Bedeutung. In einer ganzen Reihe von Projekten übernehmen sie zum Teil federführende Funktionen. So involvieren sich etwa die Erdbeobachtungsinstitute zusammen mit dem DFD in der Vorbereitung und Durchführung technologie-orientierter Raumfahrtmissionen zum Einsatz der Radar- und Multispektralscanner-Technik. Die Satellitenmeteorologie ist inzwischen im Institut für Physik der Atmosphäre fest etabliert. Sie stellt eine der wichtigsten Eingangsgrößen für die Modellierung des globalen Wettergeschehens mit den vom DLR angeschafften leistungsfähigen Großrechnern dar.
Die deutsch-französischen Fernsehrundfunksatelliten (TV-SAT/TDS) und deutsche Fernmelde-Satelliten (DFS) bestimmen die Arbeiten im Institut für Nachrichtentechnik sowie im Raumfahrtkontrollzentrum. Die Challenger-Katastrophe und der Fehlschlag einer Ariane-Rakete im Jahr 1985 sowie die daraus resultierenden mehrjährigen Programmverzögerungen dämpfen die weitere nachhaltige positive Standortentwicklung. Zudem ist der Fehlschlag des ersten deutschen Fernsehrundfunksatelliten TV-Sat 1 Anlass für politische Entscheidungen, nationale oder bi-nationale Programme zugunsten von Projekten internationaler Organisationen zurückzustellen. Dennoch ist diese Phase auch die der größten in der Öffentlichkeit mitverfolgten Erfolge.
Die mittlerweile im DLR installierte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit lässt jeden Satellitenstart, insbesondere aber die 14-tägige Spacelab-Mission D2, zu einem Großereignis werden. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland nach dem Verschwinden des „Eisernen Vorhangs“ stößt ebenfalls auf großes öffentliches Interesse. Zehn Jahre lang ist die direkte Satellitenübertragungsstrecke zwischen Moskau und Oberpfaffenhofen die „Nabelschnur“ für die deutsch-russische Zusammenarbeit.
Ausrichtung auf die veränderten Forschungsbedingungen (1995 bis 2004)
Veränderungen in der deutschen Forschungslandschaft führen auch zu wesentlichen Änderungen am Standort. Schon während der D2-Mission war spürbar geworden, dass der Standort auf finanzielle und zeitliche Probleme des Raumstationprojekts Columbus zu reagieren hat. Arbeitsteilung zwischen nationalen und internationalen Organisationen wird vereinbart. Die Forschungsinstitute stellen sich externen Beurteilungskriterien, da nach Schaffung der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (DARA) eine größere Mitverantwortung bei großen Raumfahrtprojekten nicht mehr gegeben ist. Es folgt nur noch eine nationale Kurzmission zur MIR-Station.
Der Nutzlastbetrieb der ESA-EUROMIR Mission 1995 wird bereits im Auftrag der ESA durchgeführt und kann bereits als Demonstration der Arbeitsteilung im COLUMBUS-Programm gesehen werden. Das DLR erhält 2003 von der ESA den Auftrag für den Betrieb des Columbus-Moduls, das 2008 mit dem Shuttle zur Internationalen Raumstation ISS gebracht wird. In Oberpfaffenhofen wird dafür ein eigenes Columbus-Kontrollzentrum eingerichtet.
Auch die Forschungsinstitute am Standort stellen sich auf die neuen Randbedingungen ein. In den Instituten für Robotik und Mechatronik sowie für Physik der Atmosphäre ist es gelungen, weltweite wissenschaftliche Anerkennung auch für nicht mehr über Großprojekte definierte Forschung zu bekommen. Die Einrichtungen der Nachrichtentechnik und Fernerkundung, denen inzwischen Aufgaben der Satellitennavigation hinzu gewachsen sind, haben sich neu organisiert.
Quelle: Dr. Franz Schlude