Studienergebnisse eröffnen Menschen mit Einkammerherz neue Möglichkeiten
- Gemeinsame Studie von Universitätsklinikum Bonn, DLR und weiteren Beteiligten untersucht die Auswirkungen von Flugreisen und Höhenluft auf Patientinnen und Patienten mit Fontan-Kreislauf.
- Im :envihab wurden für 18 Probandinnen und Probanden Bedingungen wie in 2.500 Meter Höhe oder in einem Passagierflugzeug hergestellt.
- Das Forschungsteam konnte mit der Studie eine Wissenslücke schließen.
- Schwerpunkte: Luftfahrt, Medizin, Gesundheit
Eine lange Flugreise oder eine Übernachtung in den Bergen: Für viele Patientinnen und Patienten mit Fontan-Kreislauf (Einkammerherz) war das bisher unvorstellbar, weil die Auswirkungen auf ihr Herz-Kreislauf-System nicht ausreichend erforscht waren. Eine Studie des Universitätsklinikums Bonn (UKB) gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Deutschen Sporthochschule Köln hat jetzt gezeigt, dass ein Höhenaufenthalt von 24 bis 30 Stunden inklusive Übernachtung möglich ist. Die Studienergebnisse ermöglichen Betroffenen in Absprache mit ihren Ärztinnen und Ärzten mehr Teilhabe an Aktivitäten. Während der Untersuchungen herrschten im :envihab, dem medizinischen Forschungszentrum des DLR, Bedingungen wie in 2.500 Meter Höhe – beziehungsweise wie in einem Passagierflugzeug.
18 Probandinnen und Probanden haben vier Tage und drei Nächte im DLR verbracht. Die Forschenden haben den Einfluss von Hypoxie (Sauerstoffmangel) in der simulierten Höhe auf verschiedene kardiologische und stoffwechselbedingte Parameter untersucht. Dazu haben sie unter anderem den Druck im Herzen gemessen und den Blutfluss in der Lunge mit Echtzeit- Magnetresonanztomographie ausgewertet. Die Ergebnisse zeigten, dass sich weder der Blutdruck noch der Blutfluss in der Lunge signifikant veränderten. Das bedeutet laut Forschungsteam, dass klinisch stabile Patientinnen und Patienten mit Einkammerherz „einen Aufenthalt in einer Höhe von 2.500 Metern für 24 bis 30 Stunden tolerieren“.
Patientenorientierte Forschung unter kontrollierten Bedingungen
„Das :envihab bietet einzigartige Möglichkeiten für die patientenorientierte Forschung. Die Untersuchungen sind in der Höhe unter realen Bedingungen nicht durchführbar. Im :envihab konnten wir die Fontan-Betroffenen über mehrere Tage und Nächte unter sehr komfortablen Bedingungen untersuchen und sie sicher einer sauerstoffreduzierten Atmosphäre aussetzen. Wir hoffen sehr, dass wir in Zukunft noch weitere Studien gemeinsam durchführen können“, sagt Prof. Jens Tank vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln.
Fontan-Patientinnen und -Patienten haben einen komplexen angeborenen Herzfehler und nur eine funktionierende Herzkammer, die das Blut in den Körperkreislauf pumpt. In mehreren Eingriffen, die bereits im Säuglings- und Kindesalter erfolgen, werden das Herz und die Gefäße so operiert, dass das sauerstoffarme venöse Blut direkt in die Lunge fließt. Deswegen können das Herz und die Lunge den Körper bei Anstrengung nur eingeschränkt mit Sauerstoff versorgen. In Deutschland kommen etwa 200 Menschen pro Jahr mit diesem komplexen Herzfehler zur Welt. Die erste lebensrettende Operation ist nach dem Chirurgen Francis Fontan benannt.
An der HypoFon-Studie (eine Kombination aus „Hypoxie“ und „Fontan“) nahmen 18 Patientinnen und Patienten im Alter zwischen 16 und 40 Jahren teil. Unter der Betreuung im :envihab konnten sie kontrolliert bis an ihre körperlichen Leistungsgrenzen gehen. Die Teilnehmenden sind zum Beispiel auf einem Ergometer gefahren oder haben Sprung- und Stehtests gemacht. Nach einer Eingewöhnungsphase wurde der Sauerstoffgehalt im Labor von 21 auf 15,2 Prozent Sauerstoff gesenkt. Dieser Wert ist vergleichbar mit der Höhenluft in den Bergen bei 2.500 Meter oder einem Passagierflugzeug in Reiseflughöhe.
Während der Herzkreislauf-Untersuchungen mit Magnetresonanztomographie trugen die Teilnehmenden eine Atemmaske. So blieben die Atemluft-Bedingungen konstant. Das gesamte Forschungsteam mit unterschiedlichen medizinischen Schwerpunkten hat während der Studie eng zusammengearbeitet. Die Probandinnen und Probanden hatten außerdem die Gelegenheit, sich über ihre Erfahrungen im Alltag auszutauschen.
Veränderte Atmung im Schlaf
Die Forschenden haben auch die Sauerstoffsättigung des Blutes im Schlaf ausgewertet – ein wichtiges Thema für die Betroffenen: „Das Atemmuster beim Schlafen in der Höhe ist grundsätzlich ein anderes. Auch bei gesunden Menschen kommt es dabei zu einer veränderten Atmung mit kurzen Pausen. Die Auswertungen zeigten erfreulicherweise, dass die Sauerstoffsättigung auch beim Schlafen ausreichend und die Veränderung sogar mit der von gesunden Personen vergleichbar ist“, erklärt Dr. Nicole Müller von der Abteilung Kinderkardiologie am UKB. „Vorher gab es nur Studiendaten darüber, wie sich eine kurzfristige Hypoxie auf ihr Herz-Kreislauf-System auswirkt. Daten über eine längere Hypoxie inklusive Übernachtung haben bisher gefehlt. Viele Betroffene haben sich noch nie in ihrem Leben einen längeren Höhenaufenthalt, wie beispielsweise eine Flugreise nach Australien oder eine Übernachtung in den Bergen, zugetraut. Unsere Studie zeigt jetzt, dass dabei unter bestimmten Voraussetzungen keine gesundheitliche Gefahr besteht.“
„Das ist eine großartige Entwicklung für die Medizin und trägt zu besseren Lebensumständen aller Patientinnen und Patienten mit angeborenem Herzfehler bei“, ergänzt Sylvia Paul, Vorständin der Stiftung KinderHerz, die die Studie unterstützt hat. Die Studienergebnisse wurden jetzt in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Circulation veröffentlicht.