Detektion unterkühlter Wassertropfen im Flug
- In Vereisungswindkanälen und Flugversuchen haben die Forschenden zehn neuartige Technologien getestet.
- Beste Resultate ergab die Kombination von Detektion der atmosphärischen Vereisungsbedingungen mit dem Identifizieren des tatsächlichen Eisansatzes am Flugzeug unterstützt durch das Monitoring der Flugleistung.
- Die erfolgreich erprobten Sensoren und Systeme eröffnen weitreichende Anwendungsmöglichkeiten.
- Schwerpunkt: Luftfahrt
Wenn große unterkühlte Wassertropfen während des Fluges an Flugzeugen vereisen, stellt das oft eine besondere Herausforderung für den Flugbetrieb dar. Denn die daraus entstehende Vereisung kann sich an Positionen des Flugzeugs befinden, die die bekannten Schutzsysteme nicht erreichen können. Zusätzlich wächst das Eis in der Regel auch schneller als bei anderen Vereisungstypen, wie etwa mit kleineren Wassertropfen. Im EU-Projekt SENS4ICE (SENSors and certifiable hybrid architectures for safer aviation in ICing Environment) hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit 16 weiteren Projektbeteiligten neuartige Technologien zur Detektion der so genannten Supercooled Large Droplets (SLD) untersucht.
Fünf Jahre lief das Projekt, in dem die Forschenden zehn Technologien zur direkten Eiserkennung im Flug entwickelt und erfolgreich zunächst in Vereisungswindkanälen mit SLD-Bedingungen getestet haben. Einer der neuen Ansätze ist der vom DLR-Institut für Systemleichtbau erarbeitete Local Ice Layer Detector (LILD), der in Flugzeugstrukturen wie Flügel oder Leitwerk integriert werden kann. Dafür werteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Ultraschallwellen aus, die durch Flugzeugvereisung beeinflusst werden.
Andere Projektbeteiligte entwickelten Technologien für Flugzeugsensoren, die auf thermischen, optischen oder elektrischen Prinzipien basierten. Eine weitere untersuchte Methode arbeitete mit Satellitendaten: Die Forschenden konnten durch Fernerkundung atmosphärische Vereisungsbedingungen identifizieren und meteorologische Prognosen verbessern.
Software überwacht Vereisungszustand
Am DLR-Institut für Flugsystemtechnik verfolgten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen neuartigen, flugzeugbasierten Ansatz. Sie entwickelten eine Software mit einem Überwachungs-Algorithmus, der die Flugleistung kontinuierlich überprüft und dadurch Rückschlüsse auf den Vereisungszustand zieht. Vereist ein Flugzeug, führt dies zu Abweichungen vom normalen Flugzustand und kann so auf indirekte Weise detektiert werden. Neu ist, dass das Projekt einen hybriden Ansatz verfolgt: Die Forschenden kombinierten verschiedene Detektionsmöglichkeiten miteinander, um durch die Vorteile der jeweiligen Sensorik, wie zum Beispiel Schnelligkeit und Genauigkeit, SLD-Vereisung am Flugzeug schnell und fehlerfrei zu erkennen. „Die hybride Eiserkennung ist ein vielversprechender Ansatz zur frühzeitigen und zuverlässigen Warnung bei den seltenen SLD-Vereisungsbedingungen“, erklärt Projektleiter Carsten Schwarz vom DLR-Institut für Flugsystemtechnik.
Technologiedemonstration im Flugversuch in Wolken mit unterkühlten großen Tropfen
Zwei Flugversuchskampagnen wurden unter speziellen SLD-Vereisungsbedingungen durchgeführt. Diese treten selten auf und sind schwer vorherzusagen. Daher koordinierte das DLR-Institut für Physik der Atmosphäre eine Gruppe von Meteorologen und Wissenschaftlern, die vor und während der Kampagnen durch Wettervorhersage entscheidend unterstützten, insbesondere auch während der Flüge. Sie vermaßen bei beiden Versuchsflugzeugen die atmosphärischen Bedingungen mit Hilfe von präzisen Wolken-Instrumenten. Die so gewonnenen Daten bildeten die Referenz für die Bewertung der neuen Technologien zur Eisdetektion.
Flugversuche in Nordamerika und Europa
Eine von Embraer betriebene Phenom 300 führte 15 Flüge mit insgesamt 25 Flugstunden in Nordamerika im Februar und März 2023 durch. Im Europäischen Luftraum führte das französische ATR 42 Forschungsflugzeug von Safire im April 2023 ebenfalls 15 Flüge mit etwa 50 Flugstunden in Südfrankreich durch. Insgesamt flogen die Forschenden in beiden Kampagnen über 14 Stunden in Vereisungsbedingungen und über zweieinhalb Stunden in SLD-Bedingungen. Wertvolle Zeit, in der sie Daten sammeln und ihre Technologien erfolgreich testen konnten.
Die erfolgreich erprobten Sensoren und Systeme eröffnen weitreichende Anwendungsmöglichkeiten – nicht nur für die Zulassung und den sicheren Betrieb zukünftiger Verkehrsflugzeuge und in Anbetracht der Herausforderungen der zukünftigen energieeffizienten und nachhaltigen Luftfahrt – sondern auch für neuartige Fluggeräte, wie in den Bereichen UAV (unmanned aerial vehicle) oder UAM (urban air mobility). „Beste Resultate ergab die Kombination von Detektion der atmosphärischen Vereisungsbedingungen mit dem Identifizieren des tatsächlichen Eisansatzes am Flugzeug, zusätzlich unterstützt durch das Monitoring der Flugleistung“, bewertet Schwarz die Projektergebnisse. „Mit den gesammelten Daten und Erfahrungen wurde sehr deutlich, dass noch mehr Untersuchungen der speziellen SLD-Vereisungsbedingungen für ein erweitertes Verständnis erforderlich sind. Bereits jetzt ist aber klar, dass nicht nur das Wissen über atmosphärische Bedingungen und Eisansatz am Flugzeug, sondern vor allem auch die Auswirkungen auf die Flugcharakteristik von entscheidender Bedeutung für das Gewährleisten eines sicheren Flugbetriebs sind.“
Das Projekt SENSE4ICE
Das DLR leitete das EU-Forschungsprojekt SENS4ICE und untersuchte gemeinsam mit 16 internationalen Forschungseinrichtungen und Unternehmen das Thema SLD-Vereisung. Begleitet wurde das Projekt von einem externen Beratergremium (Advisory Board) unter Beteiligung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit EASA, der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FAA (Federal Aviation Administration) und weiteren internationalen Einrichtungen. Das Projekt wurde über das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 unter der Nummer 824253 gefördert.